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■ Die Windsors werden immer bürgerlicherEine schrecklich normale Familie

Dublin (taz) – Als die englische Königin Elizabeth II. mit ihrem Premierminister John Major über die Rede beriet, mit der sie jedes Jahr die neue Sitzungsperiode des Parlaments eröffnet, kamen die beiden ins Plaudern. „Was macht denn die Familie?“ fragte die Queen höflich. „Danke, es ist alles bestens“, antwortete Major, „Norma ist gesund, James hat einen guten Job im Kaufhaus und bringt jeden Tag verbilligten Kuchen mit nach Hause ...“ Da brach die Monarchin in Tränen aus, kramte ein Taschentuch aus ihrem brokatbestickten viktorianischen Kleid und schluchzte: „Ach, haben Sie es gut!“

Ob es sich in Wirklichkeit so zugetragen hat, weiß man nicht. Die Szene stammt aus „Spitting Image“, einer respektlosen britischen Puppenshow, in der PolitikerInnen, Royals und andere Personen des öffentlichen Lebens erbarmungslos karikiert werden. Die Königin hat besonders wenig zu lachen: Ihre Latexpuppe tritt mit stets schriller Stimme und Pferdegesicht auf, ihre Verwandten kommen auch nicht besser weg – immer knapp an der Majestätsbeleidigung vorbei. So wird Elizabeth über die Nachricht, daß die Satiresendung im Herbst eingestellt wird, nicht besonders traurig sein – wohl aber über die Begründung dafür: Die Mätzchen der königlichen Familie seien inzwischen so bizarr, daß es kaum noch lohne, sie zu imitieren.

So richtig froh wird die Queen nur noch auf Auslandsreisen, wo diese Mätzchen nicht so genau bekannt sind – wie zum Beispiel in Südafrika, das sie in dieser Woche zum erstenmal seit fast 50 Jahren besuchte, weil es in den Schoß des britischen Commonwealth zurückgekehrt ist. Bei der Gedenkmesse für die Opfer des Sharpville-Massakers habe sie zweimal zur Musik des afrikanischen Chors mit dem Fuß gestampft, behaupteten die Paparazzi, die auch vorgestern zum Abschluß des Staatsbesuchs auf ihre Kosten kamen: Als sie gemeinsam mit dem südafrikanischen Präsidenten auf dem Friedhof in Soweto einen Kranz für die Toten des Ersten Weltkriegs niederlegte, brüllten die einheimischen Kinder: „Hey, Mandela, ist das deine Freundin?“

Zu Hause sind die „Freundin“ und ihre Familie dem „Royal Ratpack“ gnadenlos ausgeliefert. Die „Rattenmeute“ – das sind die JournalistInnen und FotografInnen, die sich auf Geschichten aus dem Königshaus spezialisiert haben.

Für die „Tabloids“, jene kleinformatigen Schmutzkübel, die gegen sinkende Auflagen zu kämpfen haben, geht es immer wieder aufs neue darum, die Konkurrenz zu überbieten. Ein Foto der barbusigen Queen-Schwiegertochter Lady Sarah Ferguson ist ein Glückstreffer ebenso wie Prinzessin Dianas abgehörte Telefonturteleien oder die mitgeschnittenen infantilen Phantasien ihres Noch- Ehemannes Charles, der sich vorstellte, als Tampon seiner langjährigen Geliebten Camilla Parker- Bowles wiedergeboren zu werden.

Als der Daily Mirror ein Pin-up- Foto von Prinzessin Diana in knappem Turnanzug abdruckte, schäumten die anderen „Tabloids“ vor Wut und beschimpften den Mirror als unmoralisch – am verwerflichsten empfanden sie freilich die bedauerliche Tatsache, daß ihnen die Fotos durch die Lappen gegangen waren. Der Mirror reagierte prompt: Er veröffentlichte weitere Fotos der turnenden Diana. Die Prinzessin von Wales ist seitdem vorsichtig geworden. Sie hat sich einen seitlich-rückwärtigen Krebsgang angewöhnt, um die Fotografen zu ärgern. Außerdem trägt sie jeden Tag das gleiche T-Shirt: Es ist mit der US-amerikanischen Fahne bedruckt.

Noch vor zehn Jahren hatte es das „Ratpack“ einfacher. Man dichtete sich ein paar unglaubliche Geschichten zurecht, garnierte sie mit ein paar mehr oder weniger gehässigen Bildern – fertig war die auflagensteigernde „Royal story“ der Woche. Heutzutage ist die Wirklichkeit bizarrer als die verdorbenste Phantasie. Das zerstrittene Ehepaar Wales mischt beim Zeitungswettstreit kräftig mit. Steckt Diana der Presse, daß Charles ein geniales, aber ethisch fragwürdiges System zur legalen Steuerhinterziehung ersonnen hat, so kontert der Thronfolger mit der Nachricht, daß Diana im Jahr umgerechnet 400.000 Mark für Kleidung und Schönheitspflege ausgebe – noch nie hing ein Haussegen so öffentlich schief.

Längst sind es aber nicht nur die „Tabloids“, sondern auch die Buchverlage, die sich ihre lukrative Scheibe vom royalen Kuchen abschneiden. Auch sie können auf die Mithilfe der verfeindeten Eheleute zählen, die sich bei ihren jeweiligen Lieblingsautoren ausheulen. Dabei zog Charles den kürzeren: Verschiedene Boulevardblätter haben ihre Leser gefragt, ob sie einen Waschlappen zum König wollen.

Dianas Stiefoma Barbara Cartland, Verfasserin unzähliger belangloser Romane, bescheinigte Charles, „einen furchtbaren Fehler“ gemacht und die Zukunft der Monarchie aufs Spiel gesetzt zu haben. „Die königliche Familie benimmt sich plötzlich wie normale Menschen“, sagte sie. „Das wollen wir nicht. Wenn wir nicht aufpassen, verlieren wir sie, und was haben wir dann noch? Wir sind eine ziemlich langweilige, dumme kleine Insel und haben sonst nichts zu bieten.“

Das glauben wohl auch die „quality papers“: War der Independent vor acht Jahren mit dem Versprechen angetreten, die Leserschaft, komme was da wolle, mit Storys aus dem Königshaus zu verschonen, so hielt man das nicht lange durch. Inzwischen hat sich das Blatt auf den weiteren Familienkreis der Windsors eingeschossen – die „königlichen Schmarotzer“, die einzig von ihrer Verwandtschaft mit der Königin leben.

Die Zeitung untersuchte gnadenlos, wie es um die Berufsaussichten der Mischpoke stünde, wäre sie in eine stinknormale Familie hineingeboren. Das Ergebnis war niederschmetternd. Prinz Edward, der Jüngste der Queen, wäre wohl „Platzanweiser im Theater oder Motorradkurier für Bühnenmanuskripte“ geworden. Elizabeths Schwester Margaret mit „ihrer Schwäche für Gin und Zigaretten“ hätte noch schlechtere Karten: „Wäre ihr Vater nicht der König gewesen, wäre aus ihr eine liederliche Geschiedene geworden, die von der Stütze lebt und sich Samstag abends in der Kneipe amüsiert.“

Die Labour Party haut nun in dieselbe Kerbe und fordert eine „Schlankheitskur“ für die Königsfamilie. Die Partei, die mit ziemlicher Gewißheit in zwei Jahren an der Macht sein wird, will das Haus Windsor im Stile skandinavischer Monarchien einschrumpfen und die gekürzte Apanage auf die königliche Kleinfamilie beschränken. Auch der Karikaturist des Guardian nahm das Thema dankbar auf: In seiner respektlosen Zeichnung sitzt Elizabeth – nackt bis auf die Krone – mit ihrem Sohn Andrew in einer skandinavischen Sauna und schwitzt. Noch schlanker könne er nicht werden, mault der dickbäuchige Prinz Andrew, während sein Bruder Charles vor der Saunatür radfährt und sich einen „bløødy Vølvø“ wünscht.

Elizabeth wird ihren Karikaturen immer ähnlicher. Bei öffentlichen Auftritten macht sie den Eindruck, als würde sie sich am liebsten die Haare raufen und alles hinschmeißen. Doch an einen Rücktritt ist nicht zu denken. Seit ihr der Erzbischof von Canterbury zur Krönungsfeier den Kopf mit heiligem Öl einrieb, stehe sie geistig über dem Rest der Menschheit, behauptete sie einmal. Eine ordinäre Pensionierung käme deshalb einer Entweihung der Königswürde gleich – zumal ihr designierter Nachfolger dem Ansehen des Amtes wohl umgehend den Rest geben würde.

John Majors innerparteiliche Probleme, die das Haus Windsor jetzt häufig aus den Schlagzeilen verdrängen, und die Corgi-Hündchen sind Elizabeths einziger Trost. So sieht es jedenfalls „Spitting Image“: Nachdem die Königin ihre Tränen getrocknet hatte, kraulte sie gedankenverloren einen Corgi und sagte voller Neid zu John Major: „Sie wissen gar nicht, was das für ein Gefühl ist, wenn einen die gesamte Nation verachtet.“ Da begrub der Premierminister das Gesicht in seinen Händen und fing bitterlich zu weinen an. Ralf Sotscheck

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