: Der Umweg nach oben
GeisteswissenschaftlerInnen mit Zusatzqualifikationen haben auch in der Wirtschaft gute Karten ■ Von Matthias Fink
Stellenanzeigen aus der „freien Wirtschaft“ gelten bei Studierenden klassischer akademischer Disziplinen nicht gerade als lohnende Lektüre. Wer Karriere machen will, studiert – so das Klischee – schließlich Betriebswirtschaft. Wer die Gesellschaft scharfer Analyse und ätzender Kritik unterzieht, weist den Gedanken an Nadelstreifen und Führungsqualitäten empört von sich. Trotzdem finden sich unter den Inseraten großer Unternehmen Stellenangebote, die ganz allgemein „ein abgeschlossenes Hochschulstudium“ voraussetzen. Bereits 1990 plädierte Herbert Henzler, deutscher Chairman des Unternehmensberatungsinstituts McKinsey, in einem Zeitungsinterview für die Integration von Geisteswissenschaftlern: „Ein Philosoph, Sozialwissenschaftler oder Philologe kann Fähigkeiten mitbringen, die gerade heute im Unternehmen dringend benötigt werden.“
Der direkte Einstieg von GeisteswissenschaftlerInnen in eine Firma ist eher selten. Doch der Weg über eine – gemessen am Studium – kurze Fortbildung verspricht gute Chancen für einen Quereinstieg. Zu den Einrichtungen, die derartige Fortbildungen anbieten, gehört das Seminarzentrum Göttingen, mit Geschäftsstellen in Berlin und München. 1989 wurden dort zunächst vor allem Fortbildungen für LehramtsstudentInnen angeboten. In einjährigen Lehrgängen wurden mehr als 5000 TeilnehmerInnen zu EG- FachreferentInnen ausgebildet. „Zu einem großen Teil sind sie bei mittelständischen Betrieben gelandet", berichtet Susanne Sievert von der Geschäftsführung des Seminarzentrums. Auch der Bereich von Beratungsstellen und Verwaltungen – gerade in den neuen Bundesländern – habe sich als sehr aufnahmefähig erwiesen. An den Kursen über „Social Management“ des Seminarzentrums in Berlin-Marzahn haben, so Koordinatorin Elke Klar, überwiegend AbsolventInnen aus nichtwirtschaftlichen Fächern teilgenommen: „Psychologie, Pädagogik, Soziologie waren dabei“. Nur wenige schaffen den Abschluß nicht. Ungefähr jeder zehnte ist nach Klars Einschätzung später bei der Firma beschäftigt, in der er das Praktikum während des Kurses gemacht hat. „Die Wege, die den Absolventen einzelner Fächer offenstehen“, sagt Anke Biesenbach, Geschäftsstellenleiterin in Berlin-Steglitz, „sind sehr unterschiedlich“. Gute Berufschancen im Wirtschaftsleben bieten vor allem Sprachstudiengänge. Neben den Fremdsprachenkenntnissen wird von den Unternehmen auch die Aufgeschlossenheit gegenüber fremden Kulturen geschätzt. Wer aus sozialwissenschaftlichen Fächern kommt, sei zudem generell aufgeschlossener für neue Ideen. Dazu kommt nach Beobachtung von Susanne Sievert noch eine notgedrungene Flexibilität: „Die Leute wissen: ,Wenn ich Geisteswissenschaften studiert habe, finde ich erstmal keinen Job.‘“ Folglich wendeten sie sich eher neuen Arbeitsgebieten zu. Zudem seien Geisteswissenschaftler oft mobiler als Absolventen wirtschaftswissenschaftlicher Fächer, auch was Auslandsaufenthalte angehe.
Die fehlende Nähe zu betriebswirtschaftlichen Kenntnissen gleichen viele GeisteswissenschaftlerInnen durch praktische Annäherung an das Arbeitsgebiet aus. Auf den Fragebögen, mit denen das Göttinger Seminarzentrum bei den Praktikumsstellen nachhakte, fanden sich, so Susanne Sievert, „im allgemeinen sehr positive Aussagen“. Die Fortgebildeten seien vielseitig einsetzbar gewesen – gerade bei mittleren Unternehmen eine oft benötigte Eigenschaft. Auch wo Organisationstalent und Kommunikationsfähigkeit gefragt sind, hätten die fachfremden AkademikerInnen oft besser abgeschnitten als die KonkurrentInnen mit wirtschaftswissenschaftlicher Laufbahn.
Bundesweit ist der Anteil der GeisteswissenschaftlerInnen, die in der Wirtschaft untergekommen sind, trotz alledem nicht erkennbar gestiegen. Markus Scheuer vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen verweist auf Erhebungen des Statistischen Bundesamtes. Der Anteil der Absolventen aus nicht wirtschaftswissenschaftlichen Fächern im produzierenden Sektor ist demnach von 1980 bis 1991 in Westdeutschland von knapp einem Drittel auf weniger als ein Viertel zurückgegangen. Aber die doch in die Wirtschaft eingedrungenen GeisteswissenschaftlerInnen dürften im Studium schließlich gelernt haben: Mit Statistik kann man alles beweisen!
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