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Ideal deutsch

■ Ein Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold, Herausgeber von "Text + Kritik" und von 1960 bis 1962 Ernst Jüngers Sekretär

taz: Sie waren Jüngers Sekretär. Wie kam es dazu?

Heinz Ludwig Arnold: Ich studierte Jura, später Literaturwissenschaft in Göttingen und arbeitete in den Semesterferien für Jünger. Ich war 19 Jahre alt, verehrte Jünger sehr, schrieb ihm und erhielt einen sehr schönen dreiseitigen Brief von seiner ersten Frau. Ich schrieb noch einmal und erhielt eine Postkarte von Jünger, die ich wie eine Reliquie aufbewahrte. Ich muß dazu sagen, daß ich ihn auch heute noch achte, denn ich habe immer das Empfinden, da ist einer, der macht, was er will. Ich habe dadurch allerdings auch gelernt, unabhängig zu denken, und weil ich das lernte, entfernte ich mich von ihm.

Es gibt im Jünger-Umfeld häufiger dieses Phänomen des Schwärmens.

Ich kann es nur für mich erklären. Ich war jung, unbeleckt, noch unkritisch und von der durchaus eindrucksvollen Figur des Schriftstellers Ernst Jünger fasziniert. Interessant ist für mich im Rückblick, daß ich in meiner Zeit als Jüngers Sekretär das Konzept von Text + Kritik entwickelte, im ersten Band aber nicht etwa Jünger, sondern Günter Grass vorstellte.

Gibt es einen Punkt, an dem ihre Distanz zu Jünger unüberbrückbar wurde?

Im Persönlichen wäre sie es nicht; aber er verzeiht nicht. Im intellektuellen, moralischen ja: als er sich von Arnold Breker, der Hitler durch das eroberte Paris führte, modellieren ließ. Dann 1988, als ich einen Text + Kritik-Band zu Ernst Jünger machte und mir aus Wilflingen bedeutet wurde, sein großer französischer Übersetzer, Henri Plard, mit dem er im Streite lag, möge nicht in diesem Band schreiben, da man das im Hause Jünger als unfreundlichen Akt sehen würde. Das sind kleinliche Verhaltensweisen. Von Plard stehen zwei Aufsätze im Band.

Man stößt in den Tagebüchern immer wieder auf Stellen, die als antisemitische Äußerungen verstanden werden können. Ist Jünger Antisemit?

Das würde ich auf keinen Fall sagen. Er hat sich allerdings gegen Ende der Weimarer Rebublik dem Zeitgeist angepaßt. Da schrieb er etwa: „Im gleichen Maße jedoch, in dem der deutsche Wille an Schärfe und Gestalt gewinnt, wird für den Juden auch der leiseste Wahn, in Deutschland Deutscher sein zu wollen, unvollziehbarer werden, und er wird sich vor seiner letzten Alternative sehen, die lautet, in Deutschland entweder Jude zu sein, oder nicht zu sein.“ Das ist doch scheußlich und Wasser auf die Mühlen des Antisemitismus. Was ich bei Jünger vermisse, ist der Satz: „Ich habe das damals geschrieben, heute tut es mir leid.“

Ernst Jünger erlebt im Moment nicht nur wegen seines bevorstehenden 100. Geburtstages eine Renaissance. Könnte es sein, daß Botho Strauß', Heiner Müllers, Rolf Hochhuths und Martin Walsers Interesse an Jünger auch etwas mit Langeweile zu tun hat?

Vieles, was Jünger in den 20er und 30er Jahren schrieb, war Ausdruck eines Gefühls in dieser Zeit. Er hatte die bürgerliche Sicherheit und Gewißheit satt, er begann mit einer neuen Sinnsuche, die als Affekt gegen die Aufklärung daherkam. Jünger haßte die Weimarer Republik „wie die Pest“ und bekämpfte die Aufklärung als eine Macht, die diese Demokratie ermöglicht hatte. Heute, da Jünger wieder aus der Requisite geholt wird, hat das, abgesehen vom Phänomen seiner 100 Jahre, schon etwas mit gegenwärtiger literarischer Langeweile zu tun. Im Vordergrund steht aber, daß man sich auch heute wieder nach etwas anderem jenseits der Kälte der bürokratischen, durchrationalisierten Welt sehnt.

Irritierend ist allerdings die Art und Weise, wie Jünger heute überall wieder hochkommt: Zum Beispiel steht in der französischen Literaturzeitschrift Lire der Satz, Jünger sei erhobenen Hauptes durch die Widrigkeiten des Nationalsozialismus geschritten und habe sich nicht auf die komfortable Schutzinsel des Exils zurückgezogen. Das ist das altbekannte Muster, wonach der Mörder zum Opfer stilisiert wird und in diesem Fall Autoren wie Thomas Mann, Bertolt Brecht und viele andere denunziert werden. Exil-Schriftsteller wie Arnold Zweig und Ernst Toller brachten sich um, weil sie das Exil nicht aushielten, während Jünger mit französischen Kollaborateuren in Pariser Salons verkehrte und eher nur am Rande registrierte, daß Juden plötzlich gelbe Sterne trugen. Zum anderen berufen sich die neuen deutschen Rechten auf einen Jünger, der für sie die deutschen Ideale verkörpert: Boden, Heimat, stramme Haltung usw.

Wenn in Jüngers Tagebüchern der Judenstern zur Sprache kommt, hat man den Eindruck, das sei ihm peinlich gewesen und habe ihn gestört. Das paßte nicht in sein Bild vom heroischen Leben.

Er versteht sich als kühler Seismograph, und der hat keine moralische Position, die, so Jünger, die Beobachtung trüben würde. Deswegen spricht man von der Modernität seiner Texte. Was daran modern sein soll, ahne ich zwar, für mich ist diese Haltung aber eher Resultat eines persönlichen Defizits. Oberste Maxime bei Jünger war schon immer: Wenn es auch Querelen gibt, Hauptsache, es tut meiner Prosa keinen Abbruch.

Es gibt das Bild von Jünger, dem Anarchisten.

Er war nie Anarchist! Er wollte 1932 im „Arbeiter“ die bürgerliche Welt vernichten, führte aber selbst schon immer ein ganz normales Leben. Interessant wird die Trennung von Werk und Leben bei Jünger dort, wo er als Schriftsteller die Gewitter und Erdbeben des Nationalsozialismus mitinszenierte, nachher aber in den „Strahlungen“ sagte, er sei nur Seismograph dieser Erdbeben. Er war aber nicht nur Seismograph, er war einer der Auslöser. Jünger ist ein hochmütiger Schriftsteller — der natürlich Mut hatte, der hat den „Pour le Mérite“ nicht ohne Grund bekommen. Aber nach den bedeutenden „Stahlgewittern“ hat er ein scheußliches Buch geschrieben: „Der Krieg als inneres Erlebnis“ reflektiert nicht nur, sondern propagiert die Ideologie der „Bestie Mensch“, im Krieg freigelassen, als Eigentliches des Menschen.

Wie war seine Wirkung in dieser Zeit?

Die „Stahlgewitter“ erreichten von 1920 bis 1939 eine Auflage von 60.000. Dann, zwischen 1939 und 1945 wurden sie 170.000mal verkauft. Das ist doch interessant, diese Konjunktur im Zweiten Weltkrieg. Nun kann man sagen, ein Schriftsteller lebt von seinen Schriften. Dagegen kann ich nur sagen, andere sind ausgewandert, weil sie an diesem System auf keine Weise teilhaben wollten. Das relativiert zumindest die Bedeutung des Widerständigen, die das Erscheinen von „Auf den Marmorklippen“ durchaus signalisierte.

Man kann bei der Diskussion, die sich gerade wieder an Jünger entfacht, den Eindruck bekommen, daß die wenigsten außer „Stahlgewitter“ und den „Marmorklippen“ etwas von ihm gelesen haben?

Den Eindruck habe ich auch. Was mich aber vor allem an dem Reden über Jünger heute stört, ist diese Entschuldungshaltung: Man solle Jünger doch nicht dauernd sein Frühwerk vorhalten. Aber das Frühwerk ist doch das Interessante bei ihm, nicht nur, weil da plötzlich auch dieser überschießende Nationalismus zutage tritt und er bis 1933 an die 130 Aufsätze geschrieben hat, die im Sinne der Vorbereitung auf eine nationale Erhebung nicht zu unterschätzen sind. Immerhin hat Jünger zwischen 1925 und 1933 eifrig in rechtsradikalen Publikationen geschrieben, die man heute natürlich nirgends mehr findet. In diese Zeit fällt allerdings auch sein bedeutendes poetisches Werk, die erste Fassung von „Abenteuerliche Herzen“ von 1929, der „Sizilische Brief an den Mann im Mond“ ein Jahr später und die vom „Arbeiter“ abgespaltene Schrift „Über den Schmerz“. Jünger war halt von den beiden Hauptideologien des 20. Jahrhunderts fasziniert, dem totalitären Bolschewismus und dem totalitären Nationalsozialismus. Der „Arbeiter“ ist im Grunde eine Verbindung von beiden, ein nationalbolschewistisches Buch. Das Problem für mich heute mit Jünger ist, daß er sich noch immer positiv auf dieses ziemlich wirre und antizivilisatorische Machwerk als sein Opus magnum bezieht und es unentwegt in der Welt bestätigt findet.

Noch 1963, im Vorwort zu einer Neuausgabe des „Arbeiter“, meint Jünger, wenn Hitler und die Seinen sich an seinen Entwurf gehalten hätten, wären sie besser gefahren. Meines Wissens distanziert er sich an keiner Stelle vom Nationalsozialismus, sondern ärgert sich lediglich darüber, daß man ihn, Jünger, nicht als Vordenker akzeptierte.

Vom Nationalsozialismus hat er sich schon entschieden distanziert, aber eben nicht von seinem nationalistischen Werk. Das ist sein Hochmut, daß er das nie wiederrufen hat. Das Gespräch führte

Jürgen Berger

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