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Außer Fußball geht nichts

Inmitten eines selten zuvor erlebten Mangels schicken sich Georgiens Fußballer an, einem WM-Viertelfinalisten Paroli zu bieten  ■ Aus Tbilissi Klaus-Helge Donath

„Vor dem Spiel und nach dem Spiel“, so lautet unsere Zeitrechnung, meint Mariadschwani. Er ist kein Niemand, sondern ein wichtiger Mitarbeiter des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse. Mariadschwani kämpft gewöhnlich auf internationaler Bühne für die territoriale Integrität seines Landes, in Genf bei der UNO oder sonstwo. Als kürzlich neue UEFA-Cup-Regeln erlassen wurden und Georgien hinten runterfiel, sah er die Verschwörung des ungeliebten Bruders jenseits des Kaukasus am Werk. Er rief den nationalen Fußballchef zu sich und gab ihm eine Lektion im Antichambrieren: „Wie ich es in internationalen Organisationen gelernt habe.“ Eine Lobby müsse man sich züchten – wie die Russen. In Georgien sei schließlich mehr zu holen als in Luxemburg!

Mariadschwani bestätigt geradezu idealtypisch die Legende, Georgien sei Fußball und Fußball sei Georgien. Mag auch alles drunter und drüber gehen, verfeindete Clans sich Shootouts liefern – die Waffen schweigen, sobald ein Spiel angepfiffen wird. Die Olympische Idee siegt. „Kein einziges Gefecht passiert währenddessen“, meint der Redakteur des Freien Georgien. „Die sitzen alle im Stadion.“

Bis zum heutigen EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland (18 Uhr, ZDF) wird nun überhaupt nichts mehr getan, allein die Mannschaftsaufstellung diskutiert. Man kann nur hoffen, daß darüber nicht ein neuer Bürgerkrieg ausbricht. Auf jeden Fall wird es ein Fest, obwohl die Straßen von Tbilissi nie so trist und farblos wirkten wie in diesem Frühling. Mangel, den Georgier nur aus russischen Erzählungen kannten, hat sich in dem kaukasischen Sonnenflecken eingenistet. Aussichten auf Besserung sind rar. Die politische Elite ringt um den Zusammenhalt des Landes und miteinander. Die Wirtschaft liegt brach, trotz allem hat man sich arrangiert und die Hoffnung noch nicht ganz aufgesteckt. Immerhin steht der Sommer ins Haus, und im Kaukasus hat man etwas übrig fürs Märchenerzählen.

Für die Georgier ist das EM- Qualifikationsspiel mehr als ein Match. Endlich haben sie die Chance, der Welt zu zeigen, wer sie sind. Denn wer sieht sonst schon freiwillig auf den Kaukausus. Ihr Debüt auf heimischem Platz gegen Moldawien ging allerdings mit 0:1 gleich in die Hose. Im Nationaltrikot, mit eigener Hymne und unter selbständiger Flagge – das war zuviel. Die psychologische Belastung, die gebeutelte Nation aus dem Dreck zu schießen, wurde zum Hemmschuh. Gegen Wales haben sie dann gezeigt, was sie können. Mit 5:0 spielten sie die Waliser an den Rand Europas. In Bulgarien gab es eine Niederlage, aber „in Sofia kann man ruhig verlieren, nicht wahr“, schmunzelt Mariadschwani.

Georgiens traditionreichster Klub ist Dynamo Tbilissi. Während des Kommunismus, als ausreichend Geld vorhanden war, leistete sich das Innenministerium den Verein. Heute spielt er immer noch auf dessen Rechnung, aber ohne private Sponsoren geht es nicht mehr. Wer wen womit finanziert, läßt sich schwer ausmachen. Eigentlich funktioniere in Georgien nichts mehr, und keiner arbeite, meint ein Einheimischer: „Warum ausgerechnet der Ball noch läuft?“ Erklären kann er es nicht richtig. Doch es gibt diese Geschichten von fußballbesessenen Provinzpappnasen, die für eine Saison mal eben ein Team zusammenkaufen, um Meisterschaftsabonnent Dynamo den Schneid abzulaufen.

Die Seele der Nationalmannschaft ist die Familie Arweladse mit den Zwillingen Schota und Artschil und dem älteren Bruder Rewas. Letzterer spielt bei Tennis Borussia in Berlin, die Zwillinge bei Trabzonspor in der Türkei, wo sie den Ruf „georgischer Teufel“ genießen. Die meisten Nationalspieler sind im Ausland, obwohl noch sehr jung, im Schnitt um die 21 Jahre. Nicht so recht glücklich scheint Kapitän Kachaber Zchadadse bei Eintracht Frankfurt zu sein. Immerhin reichte sein Geld, um für die Mannschaft zwei Sätze Trikots mitzubringen.

Bundestrainer Berti Vogts ließ gehörigen Respekt vor den Georgiern erkennen, die er gern als „Brasilianer des Kaukasus“ lobt. Der Gegner sei gefährlich und hochmotiviert, das Spiel gegen Deutschland für ihn ein „Jahrhundertereignis“. Außerdem seien die Kaukasier technisch versiert und mit Begeisterung dabei, was er von seinen Leuten ja nicht unbedingt behaupten kann. Nebenbei teilte Vogts noch seine Eindrücke von Land und Menschen mit: „Hoffnungsvoll, in diesem Land steckt eine große Zukunft.“

Ob ihm diese kolossale Fehleinschätzung das Auswärtige Amt gesteckt hatte, behielt er für sich. Klinsmann und Helmer sahen es realistischer. Die Fahrt vom Flughafen reichte: „Katastrophale Verhältnisse.“ In Tbilissi funktioniert nichts mehr. Seit Monaten fehlt es an Energie, selbst Abgeordnete hocken in dicke Mäntel gewickelt im Parlament und laufen sich zwischendurch warm. Der Strom ist rationiert. Ob der DFB Notaggregate für Flutlicht eingepackt hat, war nicht in Erfahrung zu bringen.

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