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■ Nur zwei Deutsche haben versucht, Adolf Hitler mit Gewalt aufzuhalten. Der eine, Oberst Graf Stauffenberg, ist das geehrte Symbol des Widerstands - er steht für deutsche Ehre. Der andere, Georg Elser..."Ich sprenge die Regierung in..."

Mein Gott, es wird immer schlimmer, dieses Gefühl, das ihn aufregt, ihm keine Ruhe läßt und ihn ganz langsam auffrißt. Seinen Frieden, sagt der alte Mann, wird er erst da unten haben – in Itzelberg, auf dem Friedhof.

Gleich nach dem Krieg, da war es noch nicht so schlimm: Da hat er gehofft, daß die Mitmacher und Jasager sich schämen würden und daß der Georg nun geehrt wird, daß er ein Denkmal kriegt. Ein schlichter Stein im Kirchhof, das hätte doch genügt.

Auch schläft der alte Mann jetzt viel schlechter als früher. Er träumt zu schwer. Da sind Sätze, die er nicht loskriegt. „Solange ich lebe, wird für deinen Bruder nichts gemacht, für diesen elenden Lump.“ Das hat ein angesehener Königsbronner zu ihm gesagt, direkt nach der Hitlerzeit. Ein fanatisches Braunhemd war der gewesen, wie so viele andere, die nun wieder im Gemeinderat saßen und wieder obenauf waren – nur jetzt in Zivil.

Hätte er vielleicht zu denen gehen sollen, um für Georg etwas zu erbitten? Zum Bürgermeister Karl Burr, der auf einer nationalsozialistischen Eliteschule war? Der „ein begeisterter Soldat“ war, wie sein Amtsnachfolger erzählt?

Der alte Mann sitzt da, etwas zusammengesunken in seinem altmodischen Sessel. Auch die Augen wollen nicht mehr so recht mit 82 Jahren, und wenn er über seinen Bruder redet, atmet er schwer. Da drüben, das Zimmer, in dem hat der Georg an seiner „Höllenmaschine“ gebastelt. Erst gestern hat Leonhard Elser wieder, wie so oft in letzter Zeit, von Georg geträumt: Da sitzt er dann vor mir, und ich sehe ihn so, wie er früher ausgesehen hat. Ich würde gern mit ihm reden, ihn ausfragen, was mit ihm los ist. Aber ich sag' nur zu ihm: „So, bist du auch wieder da? Wie geht's dir?“ Aber der Georg sagt nichts.

II. DANK AN GOTT

Der 9. November 1939 war ein schöner Tag, die Sonne schien, und der Führer war zufrieden – „die Vorsehung“ hatte es gut mit ihm gemeint. In den Kirchen brausten die Orgeln und Gesänge stiegen auf; in den Schulen versammelten sich Lehrer und Schüler, ein Choral wurde angestimmt: „Nun danket alle Gott!“ Die Oberen der Kirche sandten ein Telegramm nach Berlin, direkt an Adolf Hitler, den Reichskanzler: „Mit dem ganzen deutschen Volk dankt die Evangelische Kirche dem allmächtigen Gott für Ihre gnädige Bewachung vor dem verbrecherischen Anschlag in München. Sie betet zu ihm, daß er Sie auch fernerhin in seinen treuen Schutz nehme.“

III. DER ALTE SCHULTES

38 Jahre lang war Karl Burr in Königsbronn Bürgermeister, war er „der Schultes“, wie es auf der Schwäbischen Alb heißt. Eine stattliche Person, ein passionierter Jäger, und so schritt er auch früher gern durch seine Gemeinde: Im Lodenmantel, die Flinte leger über der Schulter, den Jagdhund an seiner Seite. Hinüber zum See, Wildenten schießen.

Der Schultes hat sich schon immer für Geschichte interessiert. Er hat mehr als ein halbes Dutzend Bücher geschrieben über Leben und Leute in seinem Dorf, hat akribisch alte Quellen studiert und die Bürger gebeten, ihm historische Fotos zu schicken. Und heute noch, wenn immer es etwas zu gedenken gibt, dann schreibt er Berichte für die lokale Presse.

An Georg Elser, der hier mehr als ein Vierteljahrhundert gewohnt hat, hier zur Schule ging und seine Lehre machte, hat der rührige Ortskundler all die Zeit in seinen Büchern nicht viele Worte verloren – genau sechs Sätze.

„Schämt sich der Bürgermeister von Königsbronn, daß der Hitler- Attentäter Georg Elser in der Gemeinde gelebt hat?“ hieß es in einem Leserbrief der „Süddeutschen Zeitung“ vor sechs Jahren: „Keine Straße, kein Platz sind hier nach ihm benannt.“

Der Schultes mag nicht darüber reden, das hat er noch nie gemocht. Einem Fernsehteam des SDR, das 1989 zum 50. Jahrestag des Anschlags in Elsers Heimatdorf kam, hat er jedes Gespräch verweigert: „Berichten Sie auch über die acht Toten und die 63 Verletzten?“

Und wenn man sich heute beim pensionierten Burr in dieser Sache meldet? „Warum“, knarzt es da unwirsch aus der Telefonmuschel, „rufen Sie denn mich an? Ich hab' nichts mitgekriegt, der hat mich nie interessiert. Ich hab' den doch gar nicht gekannt. Das ist doch gar kein Königsbronner! Beim Jahrestag '89, nein, nein, da ist bei uns nichts passiert. In Heidenheim, glaub' ich, da haben sie damals einen Film gezeigt, oder?“

IV. DER FILM

An den Film erinnert sich Leonhard Elser genau. Das war schon aufregend, er geht ja nicht oft aus, schon gar nicht ins Kino, in die Kreisstadt, nach Heidenheim. Und nun so etwas, sogar eine Welturaufführung. Stolz, nein, stolz war er nicht, aber so etwas wie Genugtuung empfand er – von nun an würden sie seinen Bruder respektieren müssen. Viel Prominenz war da, und mittendrin der Hauptdarsteller und Regisseur Klaus Maria Brandauer. Freundlich war der zu ihm und hat gesagt, daß er einen Bildhauer kennt, einen Künstler; und hat versprochen, daß er dafür sorgen wird, daß endlich etwas passiert in Königsbronn, ein Denkmal aufgestellt werde – das müsse doch sein! Seitdem hat der alte Mann nichts mehr gehört von dem Star: Der hat Geld gemacht, und sonst war da nichts.

V. NEUER WIND

„Ach, Sie rufen aus Berlin an? Dann kann es ja nur um den Elser gehen – was ist denn sonst bei uns interessant?“ Michael Stütz ist der neue Bürgermeister von Königsbronn. „Nein, kein Problem, kommen Sie vorbei, ich bin da ganz offen, ich hab' da keine Berührungsängste.“

Und dann sitzt der 33jährige da, im Büro mit seinen modernen schwarzen Stahlrohrmöbeln, mit der Palme im Eck, und wenn er aus dem schmucken Barock-Rathaus blickt, sieht er, wie der Schnee auf den kleinen Teich des Brenzursprungs fällt. Mit ihm kann man über alles reden. Ja, sagt er, die Sache mit Elser, die muß aus der Grauzone raus. Es hat ja zu viele negative Presseberichte gegeben in der Vergangenheit. Königsbronn muß Farbe bekennen. Aber man muß sich fragen, was hätte Elser sich gewünscht? Er war ja so bescheiden. Sicher, es sind Überlegungen da, irgendwas zu machen. Bloß, ein „Täfele“ irgendwo hinzuhängen zur Erinnerung, davon hält er nichts. Ein Denkmal, ja mein Gott, was für ein bürokratischer Aufwand, da müsse man „zum Liegenschaftsamt und und und...“ Und eine Straße nach Elser zu benennen? Das schafft doch bloß Ärger, da müssen sich die Leute neue Stempel und Briefköpfe machen lassen.

Außerdem, es ist ja etwas getan worden, gleich zu Beginn seiner Amtszeit. Und da reicht er das Protokoll von der Sitzung des Gemeinderats über den Tisch, mit Datum 8. 11. 1990. Vom Bürgermeister Stütz heißt es da: „Er spricht sich gegen einen Heldenstatus bzw. gegen ein Denkmal aus.“ In der Jugendbücherei, steht da noch, soll eine Georg-Elser- Ecke „mit umfangreicher Literatur“ eingerichtet werden und später eine Art Museum mit zwei Räumen. Vor fünf Jahren war das, nur: Über eine Konzeption des Museums, sagt Stütz, hat man bisher nicht nachgedacht. „Aber gehen Sie doch mal rüber in die Bücherei.“

VI. DIE GEORG-ELSER-ECKE

Ein schmales Regal, fünf Bretter, vier Bücher zu je fünf Exemplaren, eine Uhr, die der Schreiner Elser gebaut hat, und als Erinnerungsfoto die Aufnahme der Gestapo, die ihn nach Verhör und Folterung zeigt – alles ohne ein Wort der Erklärung: Das ist die Königsbronner Elser-Ecke in der Jugendbibliothek. Wer dieser Elser war und warum man sich für ihn interessieren soll, steht nirgends. Links hängen bunte Bilder von Dinosauriern, „Tiere in ihrem Lebensraum“, rechts davon stapeln sich Spiele: Flottenmanöver, Monopoly, Börsenspiel, Ponyhof.

„Das ist ja lächerlich, eine Alibisache“, sagen zwei Angestellte vom Rathaus, die zum ersten Mal im Leben hier sind. „Als wollte man den Elser verstecken.“

VII. ORT DER GESCHICHTE

Drüben im Klosterhof, ein paar Gehminuten entfernt, pflegt die Gemeinde sorgsam ihre Vergangenheit. Neben der Kirche, an der 500 Jahre alten Mauer der Zisterzienseranlage, in einem wuchtigen Bau, ist der Stolz des Ortes untergebracht: das Torbogenmuseum.

Beim Tritt durch die Tür grüßt am Ende des Flurs Karl Burr von der Höhe herab, majestätisch, in Öl, mit weißem Kinnbart. Darunter hängt an der Wand ein „Täfele“ aus Messing, in das die Tatkraft des alten Schultes geprägt ist: „Gründer des Torbogenmuseums 1971. Gründer der Wildschützenabteilung 1982. Gründer des Landesfischereimuseums 1989.“

Es gibt eine Menge zu sehen. Räume voller Aquarien, urweltlicher Biotope, präparierter Wassertiere, Schaukästen mit glänzenden Blinkern, bunten Fliegen und als kleiner Höhepunkt: die kleine Holztür in der Wand, die beim Öffnen automatisch einen versteinerten Mondfisch illuminiert.

Im oberen Stockwerk die Zimmer mit der Geschichte des örtlichen Hüttenwerks, traditionelle Uniformen der Bergleute. Daneben, mit viel Liebe zum Detail, die Abteilung der Wildschützen: Gewehre, Geweihe, Hirschfänger, Tierfallen aller Art, Reusen, Holzkäfige, ausgestopft stehen Wiesel, Dachs und Reh. Vierzig Fotografien von Gedenksteinen erschossener Forstleute sind aufgehängt, ihre Lebensgeschichte so wie die Todesumstände akribisch festgehalten.

Wer wollte, könnte sich auch die Schöllhorn- und Neubrandzimmer anschauen, in denen die Bilder der beiden Landschaftsmaler hängen, die sich zeitweise im Dorf aufhielten – geborene Königsbronner sind beide nicht.

Natürlich ließe sich in diesem Gebäude, in dem Geschichte festgehalten wird, auch an den Schreiner Georg Elser erinnern. Aber, gibt der junge Bürgermeister zu bedenken: „Dann müßte man ja irgend etwas wegräumen.“ Womöglich einen raren Quastenflosser oder die Bilder vom Dellmensinger Altwasser.

VIII. DENKMALE

Einen Steinwurf von dieser Walhalla des Schultes Burr haben sie unter mächtigen Kastanien ein Ensemble des Gedenkens errichtet. Eine viereckige, gußeiserne Säule, auf der ein Reichsadler thront. Die Liste der Gefallenen aus dem Ersten Weltkrieg ehrt der Satz: „Treudeutsch bis in den Tod.“ Auch der Verband der Heimkehrer hat hier 1954 einen Stein plaziert: „Gedenkt unserer Gefangenen.“ Links davon steht eine Mauer aus rotem Sandstein mit den Namen der Toten aus dem Hitlerkrieg – 198 Namen aus Königsbronn und zwei Teilgemeinden. 1.500 Einwohner hatte der Ort 1939, als Georg Elser hier an seinem Apparat tüftelte, der Hitler und die gesamte NS-Führung töten sollte.

Davon spricht man nicht, sagt der Bruder Leonhard Elser und regt sich wieder auf, spricht nicht von den 55 Millionen, die Hitler und die Nazis auf dem Gewissen haben. Der Georg hätte dieses Unglück verhindert, wenn es in München geklappt hätte.

Aber immer reden sie von den acht Toten aus dem Bürgerbräukeller. Sie sagen immer, es hätte doch Unschuldige getroffen – fanatische Parteigänger waren das doch. Und der Kellnerin, der wäre nichts passiert, wenn Hitler nicht zu früh gegangen wäre – solange der geredet hat, hat man nicht bedienen dürfen.

Wissen Sie, was das richtige wäre? Ein Stein im Klosterhof, direkt bei den anderen Denkmälern. Eine Frau aus dem Dorf hat auch mal eine Inschrift vorgeschlagen: „Er wollte, daß diese Männer und all die Anderen nicht sterben.“

Das, sagt der alte Mann, den es beim Erzählen immer wieder zum Aufstehen drängt, das würde mir gefallen.

IX. DAS MOTIV

Tagelang wird Georg Elser nach seiner Verhaftung gequält, gefoltert, verhört. „Ich möchte wissen“, verlangte Hitler von Reinhard Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei, „um was für einen Typ es sich bei diesem Elser handelt... Im übrigen wenden Sie alle Mittel an, um diesen Verbrecher zum Reden zu bringen. Lassen Sie ihn hypnotisieren, geben Sie ihm Drogen; machen Sie Gebrauch von allem, was unsere heutige Wissenschaft in dieser Richtung erprobt hat. Ich will wissen, wer dahintersteckt.“

Niemand steckte dahinter. Ein schlichter deutscher Arbeiter hatte in der nationalsozialistischen Besoffenheit einen klaren Kopf behalten. Die Gestapo notierte im Protokoll seiner Vernehmung folgende Aussage: „Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge.“

„Den Krieg vermeiden“, das wollte Georg Elser, „durch meine Tat noch größeres Blutvergießen verhindern.“ Und einem Freund hat er anvertraut, daß er dazu nur noch eine Möglichkeit sieht: „Wir kriegen keine bessere Zeit mehr, haben keine bessere Zukunft vor uns, bevor nicht diese Regierung in die Luft gesprengt wird. Und ich sag' dir: Ich mach's, ich tu's.“

X. DIE IGNORANZ

Es gibt Tage im Leben von Leonhard Elser, an denen er schier verzweifelt, an denen er wütend und mit beiden Händen Zeitungen zerknüllt und in die Ecke wirft. Ein ruhiger Bürger ist er eigentlich, ein stiller und freundlicher Mensch. Aber wenn er wieder einmal lesen muß, wie sie den Grafen Stauffenberg und andere ehren, dann frißt sich der Schmerz in ihn rein, diese Ungerechtigkeit.

Nicht, daß er etwas gegen den Militär und dessen Tat hätte, nein. Nur, für den einen gibt es Straßen, Gedenkstätten und Feierstunden: Was für Herren sich da immer versammeln, alle sind sie da. Aber der Graf hat doch elf Jahre lang für die Nazis gearbeitet, hat alles mitgemacht – wegen der Karriere.

Sein Bruder, der war von Anfang an dagegen, und an noch etwas leidet der alte Mann: Andere heißen Widerstandskämpfer, aber Georg ist immer ,der Attentäter‘. Die wollen ihn runterputzen. Wenn er nur etwas gewesen wäre, der Sohn eines Pfarrers, das Kind eines Schuldirektors – dann würden sie auch ihn ehren. Aber man gönnt ihm seine Tat nicht, dem kleinen Bauernbuben.

Es kann gut sein, daß der alte Mann dabei an Artikel denkt, wie ihn etwa Rudolf Augstein vor zwei Jahren im „Spiegel“ schrieb – als Anlaß natürlich der 20. Juli: „Elser war ein geschickter Einzelgänger. Seine Motive können wir nur ahnen. Er bekam während der Haft im KZ Sachsenhausen eine Werkstatt, um Höllenmaschinen zu basteln. Kurz vor Ende des Kriegs wurde er umgebracht. Hingegen waren die Motive der Attentäter um Stauffenberg eindeutig. Sie wollten den Diktator ausschalten, so oder so. Seine Kriegsführung schien ihnen verbrecherisch...“

Kein Wort davon, daß Elser sechs Jahre in Einzelhaft und Todesangst verbrachte, weil er von den Nazis für einen Schauprozeß gegen London präpariert wurde. Kein Wort davon, daß ihn die Nazis zum Nachbau einer einzigen Höllenmaschine gezwungen hatten, damit er seine Alleintäterschaft beweist.

Und während Elsers offenkundige Motive aus dem Jahre 1938 für den Historiker Augstein so sehr im Dunkeln liegen, sahen die verehrten Offiziere, wie der Schriftsteller Rolf Hochhuth sarkastisch formuliert, erst dann klar, „als sie endlich begriffen, Hitler werde die Rote Armee auf ihre Rittergüter bringen“.

XI. DEUTSCHE KARRIEREN

Seltsam: Elser gilt als unpolitisch, als Mann ohne Ideologie. Aber er war Mitglied im Rotfrontkämpferbund, hat immer KPD gewählt, war Mitglied in der Gewerkschaft, hat „Feindsender“ gehört, hat den Hitler-Gruß verweigert, machte „Kleinaktionen gegen die Nazis“, wie ein Arbeitskollege 1947 in einem Leserbrief schrieb. Sagte im Gestapo-Verhör: „Ein Arbeiter muß euer Feind sein.“

Merkwürdig: In Schulbüchern wird Elser verschwiegen, auch in Standardwerken und speziellen Sachbüchern (Engelmann/Kühnl – „Widerstand im Südwesten“) – Fehlanzeige. Selbst die DDR-Literatur und antifaschistische Verlage wie Röderberg und Pahl-Rugenstein nehmen den Arbeiter nicht wahr.

Auffällig: Die Kreisbildstelle Heidenheim, die für rund 200 Schulen zuständig ist, verzeichnet großes Interesse an „Winnetou“ und Kevin-Costner-Filmen, dagegen wurde Brandauers Elser-Film erst 28mal in vier Jahren angefordert.

Deutlich: An einer der schönsten Stellen Heidenheims, mitten in herrlicher Heidelandschaft, drum herum darf nicht gebaut werden, ein wuchtiges Denkmal für einen verehrten Sohn der Stadt: Generalfeldmarschall Rommel, der seinem Führer bis in den Tod treu ergeben war.

Befremdlich: Der Grenzbeamte Waldemar Zipperer, der Elser verhaftet, bekommt nicht nur eine Belohnung von den Nazis, sondern, als erfolgreicher Geschäftsmann nach dem Krieg, 1978 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

XII. GROSSE PLÄNE

Wer weiß, vielleicht passiert doch noch etwas in Königsbronn – weil es einem Lehrer langweilig war. Die Klasse von Friedemann Blum, 1991 war das, schrieb einen Aufsatz, da fing er an, Skizzen zu zeichnen: acht Stelen, zwei Meter hoch, die Totenbretter symbolisieren, Jahreszahlen darauf, ein Medaillon mit Elsers Bild, alles angeordnet in einem quadratischen Feld. Mit dem Entwurf ging der Kunstlehrer zu Bürgermeister Stütz, „aber der hatte kein Interesse“. Blum hat weitergemacht, gezeichnet, sich mit Materialien beschäftigt. Bis für ihn „die Sache durchdacht, geistig gelöst“ war.

Er ist Anfang des Jahres wieder aufs Rathaus gegangen, und Stütz hat die Pläne an sich genommen. Der Gemeinderat hat im Februar in nichtöffentlicher Sitzung kurz über den Tagesordnungspunkt „Elser-Denkmal“ verhandelt. Bis zum 50. Todestag am 9. April wird das nichts werden, aber praktisch ist die Privatinitiative des Lehrers doch: Stütz hat jetzt etwas zum Vorzeigen, wenn Frager kommen – Skizzen in Klarsichthüllen. Und ein Azubi des Ortes hat den Auftrag bekommen, endlich das Elser- Archiv „irgendwie zu sortieren“ – eine Loseblattsammlung in zwei Hängeregistern.

Die Heidenheimer Buchhändlerin Gertrud Schädler hätte allen Grund, sauer zu sein. Seit sieben Jahren müht sie sich mit einem Dutzend anderer im „Elser-Arbeitskreis“ um Würdigung des Antifaschisten – aus Königsbronn ist niemand dabei. Der 50. Jahrestag von Elsers Ermordung wäre am Ort spurlos vorbeigegangen – aber Schädler hat im Februar beim Bürgermeister angerufen. „Wir wollten nicht, daß die Gemeinde wieder ins Messer läuft. Wir wollen ihr eine Chance geben.“ Und so wird am 9. April eine kleine Gedenkstunde in der Realschule stattfinden – organisiert von den Ortsfremden. Mit einer szenischen Lesung aus den Verhörprotokollen. Normalerweise dauert das 70 Minuten, aber für Königsbronn gibt es, wie es in der Ankündigung heißt, eine „reduzierte Fassung“.

Und das Denkmal? Das würde den Arbeitskreis freuen. Wenn man fragt, was die vorgesehene Inschrift Georg Elser, Hermaringen 1903, Dachau 1945 soll – ob damit nicht die Geschichte dieses Mannes eher entsorgt als bewahrt wird? Da sagen Künstler und Bürgermeister ganz verblüfft: „Wieso? Den kennt doch jeder.“

XIII. STIMMEN IN KÖNIGSBRONN

„Der Elser“, bruddelt der Frisör, der die Pensionsgrenze hinter sich hat, „von dem schwätzen wir nicht. Der interessiert mich nicht. Der ist doch aus Schnaitheim. Und der hat doch unschuldige Leut' umgebracht mit seinem Gelump. Mir setzt man doch auch kein Denkmal – was hat denn der überhaupt geleistet?“

„Nein“, sagt hilfsbereit die Frau im „Backhäusle“, dem Gebäude, in dem Elser aufwuchs, „der hat hier nicht gewohnt, da müssen Sie in Schnaitheim fragen.“

„Was“, wundert sich die freundliche Chefin der Gaststätte ,Hecht‘, „hier drin soll der Elser regelmäßig mit dem Zitherklub gespielt haben? In Königsbronn hat der die ganze Zeit gelebt? Ich dachte immer, der ist aus Schnaitheim – dort steht doch so ein Gedenkstein.“

XIV. DAS FOTO DER GESTAPO

Es ist spät geworden, denn der alte Mann hat viel erzählt. Er hat den Keller gezeigt, wo in der Ecke die kleine Hobelbank steht – 1925 hat Georg sie für ihn gebaut, da war Leonhard zwölf Jahre alt. In Zeitungsausschnitten hat er geblättert, und ein Bild hat ihm immer wieder einen Stich versetzt.

Jedesmal, sagt er, drucken sie dieses Verhörbild der Gestapo, nach den Folterungen, wo er so wild aussieht, unrasiert und verquollen. Es gibt doch auch andere Aufnahmen von ihm. Aber auf dem sieht er doch aus wie ein Verbrecher. So kenne ich meinen Bruder nicht. Das ist er nicht. Und dieses Bild soll aufs geplante Denkmal kommen? Dann können sie es gleich bleibenlassen!

Hier, sagt der alte Mann zum Abschied und reicht drei Fotos, die können Sie benutzen. Aber passen Sie gut auf, die dürfen nicht verlorengehen. Das ist das einzige, was ich vom Georg habe.

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