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Der Barbier vom Hafen

■ Seit 25 Jahren betreibt Friseurmeister Zurek seinen Laden im Bremer Überseehafen und verrät Touristen, von wo man bis Helgoland sehen kann.

Als Rolf Zurek 1971 den Barber-Shop im Hafen übernahm, sah der Laden noch nach Gewinn aus. Das ist schon lange vorbei. „In den letzten acht bis zehn Jahren hat sich so viel geändert im Hafen.“ Die Arbeit ist eine andere geworden, mit ihr die Leute. „Wenn Sie Nostalgie sehen wollen, müssen Sie rausgehen und die Lagerhallen filmen. Die sind in einem halben Jahr verschwunden, wenn Bremen Geld hätte.“

Bremen hat aber nicht – und statt der Lagerhallen verschwinden im Hafen die Menschen. Wer die übriggebliebenen sucht, stößt unweigerlich auf den Hafenfriseur; die Journalistin ebenso wie die Rheinländerin, die den Unterschied zwischen Bremerhaven und dem Bremer Hafen nicht verstehen konnte. „Die wollte von hier aus unbedingt nach Helgoland schauen.“ Friseurmeister Zurek läßt die Augenfältchen spritzen und die Journalistin und der neue Kunde lachen mit. Schließlich sind die anderen Geschichten, die Zurek erzählt, weniger unterhaltsam. Und er ist einer der wenigen, die alte Hafengeschichten überhaupt noch erzählen – fast öffentlich jedenfalls: Den Kiosk mit Frau Franke drin gibt's schließlich schon lange nicht mehr und den Flickschneider für die Uniformen kennt er selbst nur noch durch Hörensagen. Ob die Post ihren einsamen Beamten nun vor einem oder schon vor zwei Jahren evakuiert hat – er weiß es nicht. Er weiß nur: „Wenn ich hier endgültig abschließe, war ich der letzte Friseur im Hafen.“ Da hat es der Unterton verraten: „Ja, ein bißchen Nostalgie ist bei mir auch dabei.“

Einfach war die Maloche im Hafen ja nie. „Wenn die hier Shanties gesungen haben, dann doch nur, um sich von den Schwielen an den Händen abzulenken. Hier wurde schwer gearbeitet und schwer getrunken.“ Alles andere sei Wunschdenken. Und von wegen internationale Kundschaft – das sei schon lange vorbei. „Es fahren ja fast nur noch Russen – und die verdienen zu wenig und sparen zu viel.“ Wer mehr Geld hätte, die Kapitäne vielleicht, kommt heute so gut wie nie an Land, sagt Hafenkenner Zurek; ein Sprößling verarmten polnischen Adels, wie er augenzwinkernd behauptet. Ihm bleiben heute nur die Frisuren von ein paar Hafenarbeitern und von den Köpfen der Lagerhausgesellschaft.

Aber da sitze ich schon und der Meister greift in meine dünnen Haare: „Short?“ fragt er und lacht. „Wissen Sie, einmal alles ab und dann geht's wieder für Monate auf See. Short war immer Standard.“ Short und Englisch – und das nicht nur, weil man mit ein paar Wortbrocken und den Händen die Kundenwünsche quasi ertastete.

Denn als der erste Friseur sich im Überseehafen niederließ, 1945 oder –46, war alles noch amerikanisch – und vielleicht eher ein Versehen. So deutet Rolf Zurek jedenfalls, was er über den ersten Übersee-Friseur hörte: „Der kam mit einem feinen Anzug in den Hafen spaziert, Aufbauprogramm, damals nach dem Krieg.Die Amis haben ihn ins Camp mitgenommen, weil er wohl Friseur war. Naja, und nachher zog er dann hierher um.“

Schnitt. Und Ende. Noch ein Hauch feuchte Watte auf den Kamm: „Das ist mein persönlicher Trick. Nimmt selbst die kleinsten Haarschnipsel runter. 80 Prozent mindestens.“ Wer mehr will, muß wiederkommen. ede

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