: Der Kuß war an beide Flaggen gerichtet
■ Das Konzert der Diva der persischen Musik hatte vor allem auch politische Bedeutung: Die exiliranische Sängerin Marsieh trat in Düsseldorfs Phillipshalle auf
Fünfzehn Jahre lang durfte die Iranerin Marsieh nicht mehr singen; am vergangenen Freitag wurde sie in der Düsseldorfer Phillipshalle mit frenetischem Applaus zu ihrem einzigen Deutschlandkonzert begrüßt. 5.500 Menschen – fast ausschließlich ExiliranerInnen – waren zum Comeback der 70jährigen Sopranistin angereist.
Mit einem Kuß auf die beiden Flaggen am Bühnenrand stellte Marsieh die politische Bedeutung ihres Konzertes klar. Die Diva der persischen Musik singt heute gegen das Mullah-Regime, das ihre Karriere nach dem Sturz des Schahs 1979 vorläufig beendet hatte: Khomeini brachte viele Sängerinnen und Sänger zum Schweigen. Auch Marsieh zog sich völlig zurück, arrangierte sich fünfzehn Jahre lang, bis sie im vergangenen Sommer floh und sich in Frankreich dem iranischen Exilparlament der Volksmudschaheddin anschloß. So wurde Marsieh auf der Bühne zunächst als Kunst- und Kulturberaterin von Exilpräsidentin Maryam Radjavi vorgestellt. Erst dann kam die Musik.
Was nach den Gesetzen der Harmonielehre kaum zusammenpaßt, arrangierte Dirigent Mohammad Schams zu einem stimmigen Gefüge: Das London Festival Orchestra übernahm den musikalischen Part des Okzidents, der durch traditionelle persische Instrumente erweitert wurde: die Flöte Ney, das Saiteninstrument Tar, die Trommel Sarb und das xylophonähnliche Santur. Marsieh sang dazu mit einer Stimme, die erstaunlich kraftvoll geblieben ist. Auch ihre musikalische Experimentierfreude scheint „die persische Nachtigall“ noch nicht verloren zu haben: Ein Stück für Piano und Tar schrieb sie selbst.
Bereits in den siebziger Jahren hatte sie es gewagt, Verbindungen von westlicher und persischer Musik im Iran vorzustellen. Damals wie heute ist dabei die persische Klassik Grundlage ihrer Musik, die sie durch die Orientierung an westlichen Vorbildern ständig weiterentwickelt hat. Mit ihrem rund 1.000 Stücke umfassenden Repertoire steht Marsieh deshalb für jene Weltoffenheit der persischen Kultur, der erst die Mullahs Grenzen gesetzt haben. Beethoven, Chopin, Mozart oder Verdi sind im Iran verboten. Wichtige iranische Musiker und Komponisten wurden mißachtet, mißhandelt, verhaftet, oder sie verschwanden.
Gegen diese Zerstörung der Kultur singt Marsieh an. Im Staat der Mullahs wären die jahrzehntealten Liebeslieder, die sie noch immer im Programm hat, ein Skandal – das Düsseldorfer Publikum erkannte sie wieder und klatschte mit. Und als Schlußakkord sang sie eine Hommage an Maryam Radjavi. Das Publikum schwenkte Fähnchen. Marsieh versteht sich als Botschafterin für ihr Volk. Sie vertritt – auch gegenüber westlichen Regierungen – die Sache der im Iran besonders brutal unterdrückten Frauen und KünstlerInnen, ebenso die der Volksmudschaheddin. Mitglieder der etwa 116.000köpfigen Exilgemeinde in Deutschland waren deshalb hin- und hergerissen, ob sie sich von dem kulturellen Anlaß locken lassen oder der politischen Veranstaltung besser fernbleiben sollten – um von den Volskmudschaheddin nicht als Regimegegner vereinnahmt zu werden.
Diejenigen, die gekommen waren, waren jedoch begeistert. „Sie singt noch wie damals“, schwärmte ein 33jähriger Iraner aus Hamburg. Als Kind hatte er mit der Familie vor dem Radio gesessen, wenn Marsieh – als eine der ersten Iranerinnen – wöchentlich live auf Sendung ging.
Bettina Rühl
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