: Perfekte Maßarbeit
■ Hessische Bündnisgrüne stimmen mit 90 Prozent Koalitionsvertrag zu / GEW-Proteste gegen Sparbeschlüsse
Hüttenberg (taz) – Reinhold Weist, Geschäftsführer der Landtagsfraktion der hessischen Bündnisgrünen, ballte nach der eindeutigen Abstimmung triumphierend die Faust. Mehr als 90 Prozent der rund 400 anwesenden Mitglieder der Partei hatten gerade den Koalitionsvertrag mit der SPD abgesegnet und Iris Blaul als Ministerin für Jugend, Familie, Gesundheit, Umwelt und Energie und Rupert von Plottnitz als Justiz- und Europaminister auf den Schild gehoben. „Das alles haben wir ohne den Dicken geschafft“, kommentierte Weist, mit sich und der Welt zufrieden, das klare Votum der Mitgliederversammlung.
„Der Dicke“ oder „Er“, wie Joschka Fischer inzwischen von seinen hessischen Parteifreunden respektvoll genannt wird, plauderte derweil im Foyer ganz entspannt mit seinem alten Intimus Georg Dick und mit Journalisten: Sorgen habe er sich schon gemacht im fernen Bonn, als es am vergangenen Wochenende bei den Koalitionsverhandlungen Spitz auf Knopf gestanden habe. Doch als dann am frühen Montag morgen der Koalitionsvertrag auf dem Tisch lag und feststand, daß die Bündnisgrünen in Hessen mit der Übernahme des Justizministeriums wieder „ein neues Kapitel im grünen Geschichtsbuch aufgeschlagen haben“ (von Plottnitz), war der Übervater mit seinen Kindern außerordentlich zufrieden: „Das war perfekte Maßarbeit.“
Alles andere als zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis waren offenbar nur die LehrerInnen, respektive ihre VertreterInnen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Mehrere GewerkschafterInnen schlugen wegen dem von den Koalitionspartnern geplanten Stellenabbau und der beabsichtigten Verlängerung der Lehrerarbeitszeit um bis zu zwei Stunden auf die Protesttrommel. Sie warfen den Bündnisgrünen im allgemeinen und dem Fraktionsvorsitzenden und Bildungspolitiker Fritz Hertle im besonderen vor, mit den Sparbeschlüssen und der Verlängerung der Arbeitszeiten für GymnasiallehrerInnen „Verrat“ an der eigenen Programmatik begangen zu haben. Unter dem tosenden Applaus der Versammelten wies Hertle die „weit überzogene Kritik“ der GEW-VertreterInnen schroff zurück. Es sei nicht einzusehen, so Hertle, warum etwa nur PolizistInnen, KrankenpflegerInnen oder Verwaltungsangestellte einen Beitrag zur Konsolidierung der Landesfinanzen zu leisten hätten, die LehrerInnen aber nicht. Auch den PädagogInnen, so Hertle, müsse angesichts der Gesamtlage ein „kleines, zumutbares Opfer“ abverlangt werden: „GEW – bleib auf dem Teppich!“
Den rollten die Bündnisgrünen nach der Abstimmung für ihre MinisterInnen aus. Minutenlange Ovationen für Iris Blaul und Rupert von Plottnitz, Blümchen und Küßchen – und Sekt am Bürgerhaustresen. Blaul sprach im Überschwang der Glücksgefühle schon von der grün-roten Koalition. Daß am Ende noch die Vorsitzende der Grünen Jugend Hessen (GJH), Nadia vom Scheidt, mit Ironie etwas Wasser in den Schaumwein gießen wollte, sorgte eher für zusätzliche Heiterkeit. Rupert von Plottnitz, so vom Scheidt, könne jetzt als Justizminister „den Mythos des Bürgerlichen und Etablierten durch alle Talkshows tragen“. Klaus-Peter Klingelschmitt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen