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Sondermüllkippe im Mund

■ Zahnärzte bohren an neuer Amalgam-Einschränkung / Aber: „Kein Ersatzmaterial“

Die Fronten am Zahn der Amalgam-Zeit werden immer scharfkantiger: Soeben ordnete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, welches das Bundesgesundheitsamt ablöste, neue Einschränkungen für die Verwendung des quecksilberhaltigen Materials an. Prompt setzt die Zahnärztelobby den großen Bohrer an und schimpft: „Es gibt kein gleichwertiges Ersatzmaterial.“

Ab dem 1. Juli aber müssen sie auf Gold oder Kunststoff zurückgreifen, jedenfalls dann, wenn eine Schwangere oder stillende Mutter im Zahnarztsessel sitzt. Auch zum Aufbau von Zahnstümpfen darf laut neuer Verordnung fortan kein Amalgam mehr benutzt werden. Das Bundesinstitut weist explizit in den veränderten Informationsschriften darauf hin, daß „aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes die Zahl der Amalgamfüllungen für den einzelnen Patienten so gering wie möglich“ sein soll.

Immer mehr Menschen lassen sich die schwärzlichen Füllungen aus dem Gebiß puhlen, um sie auf eigene Kosten durch Kunststoff oder Gold ersetzen zu lassen. Sie begrüßen die neuen Einschränkungen und verbinden mit der Aushöhlung des Amalgam-Rufes die Hoffnung, daß die Krankenkassen irgendwann zur Übernahme der Kosten für alternative Füllungen gezwungen werden. Am Freitag ging die Verbraucher-Initiative forsch voran und forderte ein komplettes Verbot des Zahnfüllstoffs Amalgam.

Darüber schütteln die Vertreter des Verbandes deutscher Zahnärzte die Köpfe. Die Kassenzahnärzlichen Vereinigungen und Landeszahnärztekammern von Bayern bis Bremen sorgen sich um die etwa 80 Millionen Füllungen, die jährlich in deutsche Mäuler gelegt werden. „50 Millionen davon sind Amalgamfüllungen“, schätzt Peter Böhme, Präsident der Bremer Landesärztekammer. Die mit Gold auszupolstern, sei viel zu teuer und arbeitsaufwendig.

Gerd Knauerhase, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bremen, beziffert eine Goldfüllung auf 500 Mark, während die Amalgamfüllung mit nur 80 Mark zu Buche schlage. Die Differenz, sind sich die Standesverteter einig, bezahlen die Krankenkassen nie.

Doch statt sich politisch auf die Seite der Verbraucher-Inititiative zu schlagen und so Politik und Krankenkassen unter Druck zu setzen, verteidigen sie das Quecksilber mit recht kariösen Argumenten:

Wenn Justizsenator Henning Scherf von einer „Amalgam-Katastrophe“ gesprochen habe, sei das Unsinn. „Es gibt keine Amalgam-Katastrophe, es gibt nur eine Amalgam-Hysterie.“ Schon seit 1992 dürfe das Material ohnehin nur im Kaubereich eingesetzt werden, und was dort ausgelöst werde, hinterlasse bestenfalls Spuren im My-Bereich. „Toxikologen und Zahnmediziner“ seien sämtlichst überzeugt davon, daß Amalgam kein gesundheitliches Risiko bedeute und somit zukünftig weiterzuempfehlen sei. Kunststoffe dagegen, versichert Knauerhase, seien neueren Messungen zufolge „wahrscheinlich viel schädlicher als Amalgam.“

Was die ZahnärztInnen an der Haltung des Bundesinstitutes am meisten piekst, ist, daß sie allein das ganze Haftungsrisiko tragen. Was sollen sie PatientInnen raten, die Gold oder Kunststoff nicht zahlen können? Das ist tatsächlich ein Problem: Schon jetzt wurden in Bremen zwei Prozesse gegen Zahnärzte geführt, weil sie Amalgam benutzt hatten. In beiden Fällen wurde die Klage abgelehnt. Doch das kann sich ändern, fürchten die Standesvertreter und fühlen sich im Nerv getroffen. dah

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