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Großstadt-Cowgirls sind noch selten

Fahrrad-Kurierdienst ist bisher weitgehend eine Männerdomäne, doch in der letzten Zeit gibt es immer mehr Bewerbungen von Frauen / „Bauarbeiterportionen essen“, um die Arbeit zu schaffen  ■ Von Anja Dilk

Gestern waren es Zähne, ein paar Flugtickets und Anwaltsakten. Am Tag davor ein mächtiges Computerteil, Schlüssel, wieder Akten, Kilometer um Kilometer fährt Kerstin durch die Stadt. Tag für Tag, kreuz und quer durch den Berliner Großstadtdschungel. Durch verstopfte Straßen, stinkende Abgase und entlang nie enden wollender Alleen.

Kerstin ist Fahrradkurierin. Seit Anfang Januar fährt die ehemalige Krankenschwester für den Kurierdienst „messenger“ Botschaften aller Art aus. Als ihr der Job im Krankenhaus nach sechs Jahren zu eintönig wurde, arbeitete sie zunächst neun Monate für Berliner Sozialstationen. Sie machte Altenbesuche mit dem Bike. Eines Tages kam sie an einer S-Bahnstation zufällig mit einem Kurier ins Gespräch. Der erzählte ihr von seiner Arbeit als Fahrradbote. „Das hörte sich so spannend an“, sagt Kerstin. „Da habe ich gedacht, das ist mal was richtig Abgefahrenes. Dann habe ich mich einfach bei ,messenger‘ beworben.“ Seitdem schwingt sich die 25jährige auf ihr Rennrad und tritt in die Pedale, wenn irgend etwas schnell durch den Großstadtmief gebracht werden soll.

„messenger courier service“ steht mit schwarzer Schrift auf gelbem Grund. Auf den Holzstühlen vor dem Fenster haben sich zwei junge Männer in körpernahem Radlerdreß ermattet niedergelassen. Eine Handvoll Leute drängt sich vor der Theke im Laden. An der Wand hängen Fotos von altgedienten Kurieren, das Rad lässig geschultert oder neben sich gestellt. „Fahrt von Charlottenburg nach Tempelhof“ ruft einer der Männer hinter der Funkanlage durch den Raum. Der Mittdreißiger mit den langen Nackenhaaren stellt seinen Kaffeebecher zur Seite und schultert seinen gelben Rucksack. „Jau, hier.“

Noch immer sind es vor allem Männer, die für messenger fahren – wie bei allen Fahrradkurierdiensten. „Für uns fährt zur Zeit nur eine Frau“, bestätigt Heike Roenspieß, Koordinatorin bei „Moskito“. Insgesamt seien in Berlin für den Kurierdienst in Prenzlauer Berg gut 20 Fahrer ständig im Einsatz. Rund 20 Kuriere fahren auch für den Konkurrenten „Berolino“, schätzt Disponent Knut Güntzel. „Fest und regelmäßig sind für uns Rita, Claudia, Diana ... vier Frauen unterwegs.“ Einige Studentinnen seien noch in der Kartei, aber „die haben nur in den Semesterferien Zeit“. Und die Gesamtkartei von Berolino umfasse schließlich 200 Radkuriere.

Doch messenger, mit insgesamt 200 festen FahrerInnen der größte Kurierdienst in Deutschland, hat inzwischen 15 Radlerinnen in der Kartei. Etwa sieben von ihnen fahren regelmäßig. 1989, als der Service gegründet wurde, war es noch keine einzige. Kein Wunder, ist doch der Job eine ziemliche Knochenarbeit. Satte 80 bis 100 Kilometer fahren die meisten Kuriere täglich. Da muß man schon fit sein. „Zur Zeit haben wir allerdings enorm viele Bewerbungen von Frauen“, sagt Daniel Stecher, Leiter von messenger.

Als Kerstin die Zusage auf ihre Bewerbung hatte, meldete sie das Gewerbe als Fahrerin an – Kuriere arbeiten als Selbständige, die Zentralen übernehmen nur die Vermittlung – kaufte sich eine wetterfeste Kluft und zwei neue Mäntel für ihr Rennrand. „Am Anfang war das ganz schön stressig“, sagt sie, „doch mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.“ Immerhin war Kerstin schon vorher fit. Seit Jahren fährt sie weite Strecken mit dem Rad, macht Alpinklettern in den Bergen. „Als völliger Anfänger kann man das nicht machen.“ Trotzdem hat sie seit Januar, als sie sich mit ihrem pinkgelbgrünen Fahrradhelm und der hautengen Hose aufs Rad schwang, schon fünf Kilo abgenommen.

Esther, die einzige Frau beim Konkurrenzunternehmen „Express“, hat deshalb immer Schokolade und Bananen im Rucksack. „Außerdem muß man wirklich Bauarbeiterportionen essen, um nicht gänzlich vom Fleisch zu fallen“, erzählt sie. Den Muskelkater und die Krämpfe, die sie in den ersten zwei Monaten als Fahrradkurierin plagten, hat sie schnell verschmerzt. „Körperlich ist die Arbeit zwar anstrengend, aber letztlich viel gesünder als Kellnern oder so was.“

Auch Sylvia, die seit einem Dreivierteljahr bei messenger arbeitet, findet ihren Job klasse. Aber sportlich, so sagt sie selbst, ist sie kein Stück. „In der Schule war ich sogar richtig schlecht in Sport. Deshalb habe ich mich nie getraut, mich anzumelden. Aber fahrradsüchtig war ich schon immer.“ Am meisten liebt die 28jährige den Kampf mit den Ampelschaltungen – durchkommen, ohne stehen zu bleiben.

Allerdings: die Cowgirls der Großstadtprärie sind oft etwas langsamer als ihre männlichen Kollegen, das gestehen sie unumwunden ein. Nicht, daß die „Delivery-Zeiten“ ein Problem wären. Vier Kilometer, Zone eins, sind in einer Dreiviertelstunde plus Auftragsannahme und Ablieferung leicht zu schaffen. Aber etwas länger als ihre männlichen Kollegen brauchen Frauen meist schon. Also fahren sie weniger Aufträge rein. Bald doppelt so viele, da sind sich Kerstin und Sylvia einig, schaffen manche Männer – und verdienen entsprechend mehr. „Frauen sind auf gar keinen Fall langsamer“, widerspricht Berolino-Disponent Knut Güntzel: „Es gibt mindestens genau so viele dödelige Männer.“ Einen Tempo-Unterschied gebe es bei den Kurieren mit Autos, aber die Radlerinnen seien ebenso schnell wie ihre männlichen Kollegen. Und Ärger mit der Polizei hätten sie eigentlich auch alle.

„Frauen sind in der Regel ausdauernder“, meint Kerstin. Sie ist oft bis zu zehn Stunden unterwegs, acht Aufträge pro Tag erledigt sie da schon. Besonders gut läuft das Geschäft bei schlechtem Wetter. Dann möchte nämlich keiner raus, und es gibt reichlich Botenfahrten.

Haben die Frauen es schwerer, in der Männerdomäne zu bestehen, in diesem schweißgetränkten Abenteuerflair des Auspuffdunstes? „Es ist, als wollte man Managerin werden. Man muß als Frau noch abgefahrener und tougher sein, um dasselbe wie ein Mann zu machen“, findet Kerstin. Oft wird sie von Kunden anerkennend auf ihren Job angesprochen. „Vor allem Frauen finden das toll!“ bestätigt Sylvia, „und sagen einem das auch, wenn man etwas abliefert.“

Sylvia und Kerstin können sich nicht vorstellen, den Job in absehbarer Zeit aufzugeben. Beide arbeiten zur Zeit hauptberuflich als Fahrradkurierin. Sie mögen die Individualität und den Abwechslungsreichtum der Arbeit, bei der man mit reichen Schnöseln ebenso in Kontakt komme wie mit Bauarbeitern. „Fahrradfahren ist der einzige Job“, sagt Sylvia, „bei dem es mir Spaß macht, morgens aufzustehen.“ Kein Wunder, hat sie doch sogar ihren jetzigen Freund bei der Arbeit kennengelernt: in der Zentrale von messenger.

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