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Rudimentäres Spanisch

Der Arbeiter und sein Verräter: In „Tierra y Libertad“, einem heute in Spanien anlaufenden Film, erzählt der Brite Ken Loach die andere Geschichte des spanischen Bürgerkrieges  ■ Von Reiner Wandler

„Tierra y Libertad“ heißt wohlklingend der Film, mit dem sich Ken Loach plötzlich und überraschend als Historienmaler des Spanischen Bürgerkriegs zurückmeldet. Der Chronist der Ära Thatcher, bekannt durch „Riff Raff“, „Hidden Agenda“, „Raining Stones“ und zuletzt „Ladybird, Ladybird“, lädt ein zur Reise des Arbeitslosen David Carr vom regnerischen Liverpool ins sonnige Spanien. Getrieben von der Ohnmacht angesichts der versteinerten Verhältnisse daheim im Vereinigten Königreich entschließt sich das Mitglied der Kommunistischen Partei im Oktober 1936, der spanischen Republik, bedroht von den faschistischen Truppen Francos, zu Hilfe zu eilen.

Zurück in die Berge von Aragon

Die Geschichte ist angemessen kompliziert: Bei seiner Ankunft schließt Carr sich eher zufällig der internationalen Sektion der von Trotzkisten dominierten POUM- Miliz an. David, verkörpert von dem in seiner Rolle als John Lennon in „Backbeat“ bekannt gewordenen Ian Hart, wird mit weiteren 15 Milizionären aus aller Herren Länder ein Abschnitt an der Front von Aragon zugeteilt. Nach der Befreiung eines Dorfes sind sie an ihrem Ziel angelangt: Der Traum von der Gesellschaft, in der Ländereien und Produktionsmittel der Allgemeinheit gehören, ist hier Wirklichkeit.

Nach einer Verletzung und einem Krankenhausaufenthalt in Barcelona entdeckt David, das seine eigenen Genossen, die moskautreuen Kommunisten, wesentlich mehr darauf bedacht sind, die trotzkistischen und anarchistischen Abweichler im Lager der Republik zu bekämpfen als den gemeinsamen Feind, die Truppen des Generals Franco. Hin- und hergerissen zwischen seiner Parteizugehörigkeit und seinen neuen Genossen und Freunden, entschließt er sich für letztere. Er zerreißt sein Parteibuch und kehrt in die Berge Aragons zurück.

Der Arbeiter und sein Verräter – auf diesem Feld ist Ken Loach zu Hause. Hingerissen und empört porträtiert er die Ideale Jugendlicher aus dem Arbeitermilieu Europas und Nordamerikas. „Bei den zahllosen Recherchen und Interviews zogen wir auch George Orwells Buch ,Mein Katalonien‘ zu Rate. Aber wir wählten andere Personen aus. Wir wollten einen Arbeiter in der Hauptrolle, weil die Ausländer, die in Spanien kämpften, entgegen der allgemeinen Meinung nicht hauptsächlich Schriftsteller und Poeten waren.“

Die bis auf Ian Hart unbekannten Darsteller kommen alle aus dem selben Land wie die Person ihrer Rolle. So verständigen sich die Internationalisten über Broken English und mit einem rudimentären Spanisch.

Spaniens Himmel according to Trotzki

Seiner Gewohnheit gemäß arbeitet Loach einmal mehr mit unvollständigem Drehbuch, geschrieben von ihm selbst und Jim Allen. Die Darsteller, die der Regisseur nach eigenen Worten „nach politischem Gesinnungstest“ auswählte, wurden quasi gezwungen, sich mit ihrer Rolle zu identifizieren. Diskussionen wie die über Kollektivierung wurden spontan gedreht. Ein im wesentlichen gelungenes Unterfangen, auch wenn ein Teil der Redewendungen oft eher an Plena im Berlin der frühen achtziger Jahre als an das Spanien der späten Dreißiger erinnert. Zwei Wochen militärisches Training unter der Anleitung von Offizieren der spanischen Armee vor Drehbeginn taten ein übriges. Schminktische gab es nicht, waschen konnte man sich erst abends, und die Schützengräben mußten die Schauspieler selbst ausheben. Was nach einem planlosen Chaos klingt, hat eine minutiös ablaufende Handlung zum Ergebnis.

Die Idee von „Tierra y Libertad“ stammt aus dem Jahr des Mauerfalles. Während einige anfingen, vom Ende der Geschichte zu reden, versucht Ken Loach sie zurückzuerobern. Der Osten stand für Loach, der selbst Trotzkist ist, nie für den Traum von Gerechtigkeit und einer freien Gesellschaft. Gerade deshalb ist es für ihn so wichtig, den unbekannteren Teil der Linken auf die Leinwand zu bringen. Zum ersten Mal entstand so ein Film über einen Teil der Geschichte, der bisher nicht nur in Spanien gerne verschwiegen und vergessen wird: die Spaltung der Republik und der Linken weltweit. Höhepunkt dieses Streits waren die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern Moskaus auf der einen und POUM und CNT auf der anderen Seite im Mai 1937 in Barcelona. 40.000 Mitglieder alleine der POUM zahlten dafür mit ihrem Leben. Ein Kampf, der das Ende der Republik endgültig besiegelte.

„Diese Milizionäre, nicht nur Spanier, sondern auch die Europäer waren eine große Hoffnung für alle. Ich wollte wissen, warum Menschen, die diskutierten, wie man die Güter unter allen aufteilt und wie man gemeinsam arbeitet, scheiterten. Die Antwort ist gerade heute, wo wir uns Massenarbeitslosigkeit und einer absoluten Kontrolle durch die Regierenden ausgesetzt sehen, besonders wichtig.“ Diese leicht paranoid eingefärbte Lektion gilt es für Loach überall auf der Welt zu lernen: sowohl in Spanien, das seit Francos Tod auf Vergessen und Verdrängen setzt, ebenso wie im vom Mauerfall radikal veränderten Deutschland, als auch im von Margret Thatcher ruinierten England. In brechtischen Worten prophezeit der Regisseur: „Heute gibt es keinen politischen Führer mehr. Die politische Debatte geht von den Journalisten aus und die Jugend hat keinerlei Zugang dazu. Deshalb entstehen keine neuen politischen Gruppen. Aber trotz alledem ändert sich die Welt in einem schwindelerregenden Rhythmus. Ein grundlegender Wandel wird dadurch nicht unwahrscheinlicher, sondern ganz im Gegenteil, die Möglichkeiten dafür wachsen. Und es ist eine alte Weisheit: Kurz vor dem Morgengrauen sieht immer alles viel schwärzer aus ...“

Ken Loachs Film wird zunächst im Mai auf den Filmfestspielen in Cannes zu sehen sein und anschließend in die deutschen Kinos kommen.

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