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Eine Wurst mehr im Regal begeistert nicht

Der Rumänische Surrealist Gellu Naum freut sich über die Berliner Luft, der dänische Nationaldichter Klaus Rifbjerg will ein impressionistisches Berlin-Tagebuch schreiben – zwei der DAAD-StipendiatInnen in Berlin  ■ Von Kirsten Longin

Der Mann ist Poet. Ein unglaublich ovales Gesicht, eingerahmt von vollem, dunkelbraunem Haar. Darunter stakt ein hagerer, beinahe atlethischer Körper. Der achtzigjährige Gellu Naum ordnet sittsam Beine und Füße unter dem Tisch, dann tuschelt er ein paar Worte mit seiner Frau, „der einzig Geliebten“, bevor das Videoband, eine filmische Biographie Hellmuth Fraundorfers, einsetzt. Man sieht die beiden bei einem Spaziergang durch die frühlingshafte Idylle ihres rumänischen Heimatdorfs Comana. Die Kamera begleitet sie in einen alten Bauernhof, das Universum des Meisters. Überall Bücher, afrikanische Holzskulpturen und Reagenzgläser. Die Spinnweben darf niemand entfernen. In der DAAD-Galerie las Gellu Naum im Anschluß daran Gedichte auf rumänisch vor. Aus „Black Box“ (1993 auf deutsch erschienen), der surrealistischen Biographie „Zenobia“ (1990) und aus dem gerade erschienenen „Atlas der neuen Poesie“ (herausgegeben von Joachim Sartorius). Oskar Pastior, sein Übersetzer und Freund, las andere Gedichte Naums auf deutsch. Von „Löcher füllendem Jubel und Trubel“ war da die Rede und von „Wasser, das man mit den Ohren holen“ gehen müsse.

Naums Stipendium beantragte ein Freund

Angeregt von dem französischen Surrealisten André Breton und dem Maler Victor Brauner initiierte Naum Anfang der 40er Jahre eine bald verbotene Surrealistengruppe in Rumänien und zog sich dann völlig zurück. Seine Bücher standen jahrzehntelang auf dem Index. Der Poet, eine Gipsfigur in den Regalen – ein surrealistischer Großvater, der auf die Frage, was Berlin denn von seinem DAAD- Stipendiat habe, antwortet: „Im Sommer wird's warm.“

Seit 76 Jahren schreibt Gellu Naum „Po-hesie“, die ersten vier Jahre seien Recherche gewesen, und nach so vielen Jahren findet er es eigentlich selbstverständlich, daß seine Gedichte nun auch auf deutsch erscheinen. Für ihn ist alles Poesie. Aber was der poetischste Moment einer Stadt sei, vermag auch er nicht zu sagen.

Mit 80 Jahren ist er nun Gast des DAAD-Stipendienprogramms und freut sich, daß er wieder zu dreistündigen Spaziergängen in der Lage sei – dank der „außergewöhnlichen Berliner Luft, sehr sauber und sehr rein im Vergleich zu Bukarest.“ Wenn das mit seiner Gesundheit so weiter gehe, dann werde er mit 81 noch mal nach Berlin kommen. Das Stipendium war eine totale Überraschung für ihn. Ein Freund habe es beantragt. „Ich habe nichts mit Berlin gemein, aber mir tut das Klima gut.“

Prominent sollen die Gäste schon sein

Sonderlich enthusiasmiert wirkt der liebenswerte Rentner durch seinen Berlin-Aufenthalt nicht. Begeistern kann ihn eigentlich nichts mehr. „Soll mich eine Wurst mehr im Regal begeistern?“ Nur wundert sich Naum, wie man „alles nach dem Krieg hier hat so schnell aufbauen können.“ Aber darüber schreibe man keine Gedichte.

Das Stipendium ermöglicht Gellu Naum und seiner Frau, mit 3.100 Mark Berlin zu „erobern“ und erlaubt wiederum Berlin, ein wenig literarische Internationalität mehr für sich zu beanspruchen. Eine Hand wäscht die andere. Das DAAD-Programm steht grundsätzlich zwar allen LiteratInnen ohne Alters-, Länder- oder sonstwie -Begrenzung zur Verfügung. In der Praxis sieht es jedoch so aus, daß nur „Arrivierte“ eine Chance haben. Ohne nationale Bekanntheit und beginnende internationale Verflechtung ist kaum etwas zu machen.

Alle StipendiatInnen des Jahres 1995 haben bereits Bücher in deutschen Verlagen veröffentlicht. Die beabsichtigte Förderung des Dialogs zwischen deutschen AutorInnen und den StipendiatInnen besteht deswegen auch meist in der Auffrischung schon bestehender Kontakte. Aus 60 bis 70 Bewerbungen muß die in der Regel elfköpfige Jury – der neben LänderspezialistInnen VertreterInnen der literarischen Institutionen Berlins angehören – fünf bis sechs AutorInnen auswählen. Vor den Sparzwängen von Bund und Senat konnten zehn Stipendien vergeben werden.

„Ausschlaggebend ist alleine die literarische Qualität“, so Barbara Richter vom DAAD. Der Jüngste, Dzevad Karahasan, ist 41 Jahre alt, der Älteste, Gellu Naum, 80. Nachwuchsförderung ist das natürlich nicht, aber auf diese Art und Weise sind hochkarätige AutorInnen in Berlin präsent. Wenn so jemand wie Cees Nooteboom oder Klaus Rifbjerg den Wunsch äußern, ein Weilchen in Berlin zu leben, dann „muß man das dankbar annehmen“, meint Barbara Richter. So liest sich die Liste der DAAD-StipendiatInnen auch wie eine kleine Literaturgeschichte: Michel Butor, Ingeborg Bachmann, Ernst Jandl, Witold Gombrowicz und Stanislaw Lem, um nur einige zu nennen.

Die Orte literarischer Begegnung wie die literaturWERKstatt in Pankow oder das Literarische Colloquium in Wannsee profitieren von diesem Programm für „Promi-LiteratInnen“. Denn so läßt sich kostengünstigst manche AutorInnen-Lesung organisieren, die reichlich Publikum anzieht. Hauptstadtflair ohne Reisekostenbeteiligung. „Den literarischen Rahm des jeweiligen Landes abschöpfen“, darum müsse es gehen, sagt Thomas Wohlfarth von der literaturWERKstatt, der in diesem Jahr erstmals im Auswahlgremium des Austauschdienstes sitzt.

Er hofft mit seiner Stimme, weil einer jüngeren Generation angehörend als die restlichen Juroren, auch mal „andere“ StipendiatInnen fördern zu können. Wie beispielsweise den amerikanischen „spoken poetry“-Vertreter Paul Betty oder die in den letzten Jahren vernachlässigten LiteratInnen aus Indien, Pakistan, Afrika.

Äußerst günstig auf eine Bewerbung wirkt sich neben einer gewissen Prominenz die Herkunft aus politischen Krisengebieten aus. In den letzten Jahren förderte der DAAD nahezu ausschließlich LiteratInnen aus dem ehemaligen Ostblock. 1995 sind allein zwei Autoren aus Ex-Jugoslawien hier (Bora Čosić und Dzevad Karahasan), im nächsten Jahr wird ein algerischer Schriftsteller mit von der Partie sein. Schutz zu bieten vor Verfolgung und Publikationsverbot, dazu fühlt sich der DAAD verpflichtet, gerade wegen seines Sitzes an der Nahtstelle zwischen Ost und West.

Zur Zeiten der Militärjunta Griechenlands oder zu den „schwierigen Zeiten“ in Lateinamerika lag eine solche Schwerpunktsetzung nahe. Statt auf einzelne AutorInnen soll nun mehr und mehr auf Projektförderung gesetzt werden. Ein großer Erfolg war etwa die „grenzenlos“-Reihe des Jahres 1990/91, in deren Rahmen sich ungarische AutorInnen mit Berliner SchriftstellerInnen in Budapest und Berlin trafen, oder das spartenübergreifende Chinafestival „Lichtfluß“ 1992.

Der Däne Klaus Rifbjerg ist für drei Monate Gast des DAAD. Über ihn kann man 12 Seiten im Kritischen Lexikon zur Gegenwartsliteratur finden – ein dänischer Nationaldichter, einer aus der Kategorie, „da muß man dankbar sein, wenn...“ Während eines gemeinsamen Italienaufenthalts in der Rockefeller Foundation mit Joachim Sartorius, dem ehemaligen Direktor des Berliner Künstlerprogramms, entstand die Idee, wenigstens ein halbes Jährlein qua DAAD Berlin zu besuchen. Drei Monate sind es jetzt nur geworden, weil man die Plätze für die Ex-JugoslawInnen brauchte.

Rifbjerg kam mit dem konkreten Plan hierher, seine Berlin-Erfahrungen literarisch zu verwerten. Ein impressionistisches Berlin-Tagebuch will er schreiben, eine Mischung aus Erinnerungen an die deutsche Besatzung Dänemarks und seinen Erlebnissen im Früjahr 1995. Die 50-Jahre-Kriegsende- Feiern kommen seinem Vorhaben natürlich entgegen. Morgens schreibt er, dann geht er aus. Fährt mit der U-Bahn irgendwohin, um Gesichter, um Begebenheiten zu sammeln. Keine Fotos, keine Notizen, nur Augen und Ohren aufsperren, um die „außergewöhnliche Energie“ Berlins einzufangen.

Fast wie in New York sei es. Nur nicht so hektisch. Hier gehe etwas vor sich. Am tiefsten beeindruckt Rifbjerg der große Unterschied zwischen Ost und West. „Ich roch auf einmal etwas, was mich stark bewegte, bis ich herausfand, daß es die Kohlenöfen waren“ – Erinnerungen an ein Dänemark der 40er und 50er Jahre kommen da hoch, und so gibt es ein dauerndes Hin und Her zwischen dem, was war, und dem, was ist. Haben wir noch Angst vor dem großen Deutschland? Rifbjerg kennt die Welt, sagt er. Auch in Berlin sei er schon mindestens fünfmal gewesen. Seine Bücher erschienen in Ost- und in Westverlagen. Aber mit diesem längeren Aufenthalt kommen neue Sichtweisen. Jetzt sei er ein Teil davon.

Am 19. April, 20 Uhr, findet eine Vorpremiere des Hörspiels „Das träumende Haus“ von Klaus Rifbjerg in der DAAD-Galerie (Kurfürstenstraße 58, Tiergarten) statt.

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