: High-noon in Belfast
Die ersten Osterparaden seit dem Waffenstillstand in Nordirland blieben friedlich ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck
Vor Sean Grahams Wettbüro in der Belfaster Ormeau Road stehen rund zwei Dutzend Menschen im Nieselregen. Es ist sieben Uhr morgens am Ostermontag. Das gelbe Metallgitter vor dem Fenster des Buchmacherladens ist noch heruntergelassen. Aus dem Gemeinschaftszentrum an der Ecke Rutland Street bringt jemand ein Tablett mit dampfenden Kaffeetassen. Die Leute halten Mahnwache: Vor gut drei Jahren hat ein protestantisch-loyalistisches Mordkommando in dem Wettbüro fünf Katholiken erschossen. Jetzt will man verhindern, daß eine Parade des „Orange Order“ durch das katholisch-nationalistische Viertel vorbei an dem Buchmacherladen marschiert. Dem Orangeisten-Orden, der 1795 als protestantischer Geheimbund mit streng antikatholischer Ausrichtung gegründet wurde, gehören sämtliche führenden Politiker der unionistischen Parteien an. Mit der Parade durch die Ormeau Road eröffnet der Orden jedes Jahr am Ostermontag die Saison der Festmärsche, deren Höhepunkt der 12. Juli ist: An diesem Tag vor 305 Jahren hat der protestantische Wilhelm von Oranien, nach dem sich der Orden benannt hat, seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater Jakob II. in der Schlacht am Boyne besiegt und dadurch die protestantische Thronfolge in Großbritannien gesichert.
„Seit Jahren leiden die Bewohner der Ormeau Road unter dieser Art von Einschüchterung“, sagt Gerard Rice von der Ormeau-Bürgerinitiative, „von Ostermontag bis Ende Oktober ziehen ungefähr zehn Orangeisten-Paraden durch die Straße.“ Und das durchaus aggressiv: „Fünf zu null für uns!“ tönte es nach den Morden im Wettbüro aus der Parade.
Die Bürgerinitiative will die Paraden nicht einmal generell verbieten. „Eine Umleitung der Parade wäre ein großartiger Beitrag zum Friedensprozeß“, schrieben die Verwandten der damaligen Opfer an den Orangeisten-Orden, „denn wir glauben, daß diese Paraden die Versöhnung verhindern, die wir doch alle anstreben.“ Die Ordensleitung lehnte ab: Man sei immer die Ormeau Road entlangmarschiert, und dabei bleibe es.
Um acht Uhr ist die Menge auf etwa dreihundert Menschen angewachsen. Im nun heftigen Regen zieht man zur Brücke über den Fluß Lagan. Auf der anderen Seite der Brücke beginnt das protestantische Viertel, aus dieser Richtung muß die Parade kommen. Plötzlich tauchen 20 graue Polizeijeeps auf. Fünf davon bahnen sich einen Weg durch die DemonstrantInnen und bleiben mitten auf der Brücke stehen. Die uniformierten Beamten steigen aus und laufen recht unbekümmert auf und ab. „Vor dem IRA-Waffenstillstand Ende August hätten sie sich ohne kugelsichere Westen und Armee-Begleitschutz nicht hergetraut“, meint eine alte Frau, die in dünner Strickjacke und Pantoffeln erbärmlich friert. „Das ist deren Friedensdividende. Und wo ist unsere?“
Tom Hartley vom Vorstand der Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, gibt ihr recht. „Sinn Féin ist am Ende der diplomatischen Straße angelangt“, sagt er. Sinn- Féin-Chef Gerry Adams hat am Vortag auf der Gedenkfeier für den Osteraufstand von 1916, der schließlich zur Teilunabhängigkeit Irlands führte, ähnliches gesagt: „Laßt die britische Regierung eure wütenden Stimmen hören.“
Adams ist erbost, daß die britische Regierung nach wie vor Gespräche mit Sinn Féin verweigert, während sie die politischen Flügel der loyalistischen Paramilitärs vor zwei Wochen an den Verhandlungstisch gebeten hat. Hinderungsgrund, so sagt die Regierung, sei das Waffenarsenal der IRA. Adams widersprach gestern Presseberichten, wonach er die „Ausmusterung“ der IRA-Waffen rundweg abgelehnt habe. Er habe lediglich gesagt, daß eine einseitige Entwaffnung in der Geschichte beispiellos sei, meinte er und fügte hinzu: „Das heißt ja nicht, daß man nicht darauf hinarbeiten kann.“
Die britische Regierung weiß natürlich auch, daß die IRA kaum Unterstützung hätte, sollte sie wieder zu den Waffen greifen. So sieht man in London auch keine besondere Eile geboten, was den Friedensprozeß betrifft – die Zeit läuft gegen Sinn Féin und IRA.
Um halb neun dringt das dumpfe Geräusch der riesigen Lambeg-Trommeln über die Brücke. Die Parade rückt näher. Ein junger Mann von der Ormeau- Bürgerinitiative beschwört die DemonstrantInnen, auf eine Konfrontation zu verzichten. So läßt man schweigend das loyalistische Kampflied „The Sash“ über sich ergehen, das die hellblau gekleidete Orangeisten-Kapelle am anderen Ende der Brücke inzwischen angestimmt hat. Minutenlang stehen sich die Gruppen an beiden Enden der Brücke gegenüber, dazwischen ein Dutzend Polizisten. Dann kehrt die Parade um und zieht am gegenüberliegenden Flußufer entlang. Die GegendemonstrantInnen applaudieren erleichtert und flüchten dann schleunigst vor dem Regen in die Häuser. „Am nächsten Sonntag sind wir wieder draußen“, sagt die alte Frau in Pantoffeln, „in diesem Jahr werden sie nicht durch unsere Straße paradieren.“
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