piwik no script img

Wasser unterm Kiel

■ Sozialbehörde und hungerstreikende Flüchtlinge fanden erste Kompromisse

Nach vier Tagen Hungerstreik wurden den auf dem Asylschiff Embrica Marcel lebenden Flüchtlingen gestern einige Zugeständnisse gemacht.

Zu Beginn der Verhandlung, an der Vertreter des Komitées, der Staatsrat für Soziales, Hans-Christoph Hoppensack, Sachbearbeiter Heiko Hergert, Schiffskapitän Herbert Herweck und die Sprecherin der Flüchtlingsinitiative Schildstraße, Michaela von Freyhold, teilnahmen, mußte zunächst einem seit Donnerstag kursierendem Gerücht nachgegangen werden: Gibt es, wie Hoppensack gegenüber dem Weserkurier formuliert hatte, „Terror“ auf dem Schiff, ausgeübt von Kurden gegenüber anderen Ethnien?

„Es gibt Hinweise darauf“, wiederholte der Staatsrat bei der Pressekonferenz, „daß einige Bewohner daran gehindert wurden zu essen. Das ist für mich Terror.“ Der Kapitän habe überdies beobachtet, daß Bewohner nur gegen Zahlung von 10 Mark an die Streikwachen das Schiff hätten verlassen dürfen. Donnerstag sollen die Wachen einen Afrikaner, der nach dem Landgang wieder an Bord wollte, mitsamt seiner Einkaufstüten über Bord geworfen haben.

Hoppensack erklärte, der Kapitän vermute, der überwiegend von Kurden organsisierte Hungerstreik gelte weniger der Verbesserung der Situation auf der Embrica Marcel, als vielmehr der Sache der Kurden, die auf die Probleme in der Türkei hinzuweisen versuchen. Diese aber wurden bislang seitens des Komitées mit keinem Wort erwähnt. Hoppensack gestern moderat: „Wir wollen nicht das Argument fördern, daß auf der Embrica Marcel ein Stellvertreterkampf geführt wird.“ Mit dem Komitée, das sämtliche Vorwürfe zurückwies, wurde vereinbart, auf dem Schiff Hinweise auszuhängen, die den Flüchtlingen freien Zu-und Abgang vom Boot garantieren. Darauf zu lesen ist auch, daß, wer immer sich drangsaliert fühlt, bei der Flüchtlingsinitiative Beschwerde einlegen kann.

Nachdem diese Regelung gefunden war, diskutierte man jene 16 Forderungen, von deren Erfüllung die Asylbewerber das Ende des Hungerstreiks abhängig machen: Die Dauer des Aufenthaltes auf dem Schiff, dürfe, so die Bewohner, sechs Monate nicht übersteigen. Hoppensack sagte ihnen zu, daß bis zum 21.5. alle 37 Männer, die länger als ein Jahr auf dem Schiff sind, in andere Unterkünfte verlegt werden. Die ersten 17 könnten bereits bis Ende der kommenden Woche ein neues Domizil beziehen. Die Dauer auf 6 Monate zu reduzieren, sei nicht möglich, „darauf kann sich die Behörde nicht einlassen.“ Generell gelte zukünftig eine Verweildauer von maximal 13 Monaten. Sollten die Kapazitäten in Unterkünften mit Selbstversorgung erschöpft sein, würde die Sozialbehörde dem Umzug des jeweiligen Flüchtlings in eine Privatwohnung nicht mehr widersprechen.

Der Forderung der Bewohner, das Essen auf dem Schiff selbst zu kochen, wurde nicht entsprochen. Laut Aussage des Kapitäns ist die Küche zu klein, als daß zusätzliche Köche darin agieren könnten. Hoppensack riet den Flüchtlingen zu einem „Küchenbeirat“, dessen Rezeptvorschlägen gefolgt werden solle.

Demnächst werden zwei zusätzliche Telefone, bislang gibt es nur eins, auf dem Schiff installiert. Auch muß die Fahrt vom entlegenen Kohlenhafen in die Stadt nicht von den monatlich 80 Mark Taschengeld berappt werden müssn. Das Sozialressort finanziert 10 BSAG-Karten, 10 weitere kommen aus dem Hause der Senatorin für Kultur und Ausländerintegration, drei will das Komitée organisieren.

„Ich hoffe, daß die Gespräche zu einer Beendigung des Hungerstreiks führen“, sagte Hoppensack, zeigte dabei aber deutliche Unsichertheiten. Das heftig umstrittene Asylschiff aufzugeben oder wenigstens, wie ursprünglich geplant, an den citynahen Weserbahnhof zu verlegen, sei zu teuer. „Das hat so ein Schweinegeld gekostet“, wiederholt der Staatsrat mehrfach, außerdem gebe es „keine Ersatzmöglichkeit“. „Das Hotelschiff“ entspreche durchaus den bundesüblichen Standards. „Der Betrieb ist jahrelang gut gelaufen, unser Problem heute ist nur die Größe.“

Um wieviel die Zahl der 370 offiziell gemeldeten Bewohner rduziert werden müßte, will Hoppensack nur vage andeuten: „Alles, was darunter liegt, ist für die Regulierung von Konflikten ideal.“ Daß das Chartern des Schiffes ein Fehler war, räumt er nur indirekt ein: „Wenn ich heute zu entscheiden hätte, nachdem der Asylbewerberzugang kalkulierbar geworden ist, würde ich das auch nicht mehr machen.“ Bis Redaktionsschluß blieb unklar, ob die Flüchtlinge den Hungerstreik fortsetzen. Dora Hartmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen