■ Letzte Grüße etc.: Die Beerdigung. Eine Taxigeschichte.
Fast wäre ich vorbeigefahren, hätte der nicht wild mit den Armen gepaddelt. Zack, auf die Bremse, ein paar Meter zurück.
– „Wartense mal'n Moment, da kommen noch welche!“
Eine ganze Familie kommt: Vater – dunkler Anzug, Mutter – schwarzer Mantel, und noch ein Sohn – Jeansjacke, wie der Bruder: weniger pietätvoll.
– „Könnse mal den Kofferraum aufmachen für det Ding hier!“
Ein schwerer Trauerkranz mit weißen Blüten, schwarzen Stoffbändern.
– „Det darf doch nicht wahr sein“, sagt der Vater. „Da jehste nu schon mal uff 'ne Berdijung, und denn isset der falsche Friedhof!“
Die Jungs auf dem Rücksitz kichern. Mutter schweigt.
– „Denn fahrnse uns mal zum Friedhof Koppelweg; da musset ja denn sein!“
Während der Fahrt das ständige Gebrummel von Vatern: „Det darf doch nich wahr sein, det darf doch nich wahr sein!“
Die Brüder kichern. Mutter schweigt.
Koppelweg helfe ich den Kranz ausladen.
– „Ja, ich warte... für alle Fälle.“
*
Da kommen sie ja schon wieder: Familie inklusive Kranz.
– „Hier isset ooch nich!“
Na gut: Kofferraum auf, Kranz rein, nächster Friedhof.
Vater murmelt etwas von den feinen Klamotten, die er sich extra besorgt hat, und een Urlaubstach hat er sich jenomm', und jetzt so wat, und daß det allet jarnich wahr sein darf.
Die Jungs kichern. Mutter schweigt.
Dann wieder Kofferraum auf, Kranz raus, paar Minuten warten, Kranz rein.
– „Beim nächsten Mal schleppst du det Teil; mir wird allmählich der Arm lahm!“
*
Ob ich noch andere Friedhöfe kenne in der Gegend?
– „Ja, Leinestraße: Da sind mehrere. Da hätten Sie gleich ne kleine Auswahl.“
Die Brüder kichern. Mutter schweigt.
Ein Sohn wird losgeschickt: Lage peilen, erst mal ohne Kranz. Abgehetzt und entnervt kommt er zurück: „Nee“, sagt er.
– „Und nu? Wat mach'n wa nu?“
Die Jungs kichern. „Mutter, nu sach du doch ooch mal wat!“ Ich schlage vor, in der Zeitung nachzusehen bei den Traueranzeigen. Aber wo kriegen wa uff die Schnelle ne Zeitung her?
– „Also nee, det darf doch nich wahr sein!“
– „Und die Nachbarn?“, frage ich, „vielleicht wissen die ... Wo hat denn der Tote gewohnt?“
– „Unbekannt verzogen“, sagt einer der Brüder und kichert.
– „Jute Idee, meint Vater, „da fahrn wa jetzt hin! Zu den Nachbarn!“
– „Aber Heinz, das ist doch sowieso schon zu spät jetzt ... Bis wir da sind ...!“
– „Da hat nu Muttern ooch wieda recht“, sagt einer der Jungs und kichert.
– Nee, det is noch die einzige Möglichkeit! Da fahrn wa hin! Det machen wa!“
*
Im Löwenzahnweg schwärmt die ganze Familie aus, um bei den Nachbarn des Toten zu klingen. Erfolgos: Niemand zu Hause.
– „Na, is doch logisch: Uff de Beerdijung wern die alle sein“, sagt einer der Söhne und kichert nicht. Das dürfe doch alles gar nicht wahr sein, meint der Vater, und daß er nu die Faxen dicke habe und nach Hause wolle.
– „Und was machen wir mit dem Kranz, Heinz?“
– „Den nehm wa mit, natürlich!“
– „Watt denn, Vadda, willste dir det Ding in de Wohnung stelln? Im Flur würdet sich vielleicht janz jut machen; an de Wand jehangen. Hau ick dir ooch 'n Nagel rin!“
Die Brüder kichern.
– „Nee, wir stellen det dem jetzt vor die Tür, und denn ist jut!“
*
Einer der Jungs klettert über das verschlossene Gartentor, der andere reicht ihm den Kranz und klettert hinterher. Sie drapieren das Trauergebinde auf die Stufen vor dem Hauseingang, ziehen sorgfältig die Schleifen auseinander, daß die goldene Schrift sichtbar wird. Fast aufrecht steht der Kranz da, in der Mitte vor dem Eingang: Letzter Gruß. Familie Krause.H. P. Daniels
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