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Backfisch und Hure

■ „Santa Cecilia“: Monolog unter Wasser über Kuba im Carrousel Theater

Ein grantiges altes Weib humpelt herein. Böse Blicke wirft sie über ihre Schulter, ein Zischen wird hinterhergeschickt. Das ist eine der Alten, die einem das Leben bereits schwerzumachen verstehen, kreuzt man nur ihren Weg auf der Straße. Diese Alte jedoch humpelt auf dem Meeresgrund, tot ist sie schon lange. Und sie ist ein Kunstprodukt, hinkt sie doch manchmal, während sie es ab und an für ein paar Schritte wieder vergißt.

Später vergißt man selbst, auf solche Kleinigkeiten zu achten. Auch das ungemütliche Ambiente im Carrousel-Theater-Foyer entrückt, so sehr nimmt Petra Kelling den Raum für sich ein. Sie spielt „Santa Cecilia“, die Schutzheilige Havannas, die „traurige heilige Hure von La Habana“. Abilio Estévez, Jahrgang 1954 und einer der prominentesten kubanischen Autoren der Gegenwart, schrieb diese „Zeremonie für eine verzweifelte Schauspielerin“, gleichzeitig ist das Einpersonenstück ein Hohelied auf ein längst verblühtes La Habana.

La Habana! Ahh! Doch welches? Glorreich zeitlos ist es, also alles andere als Castros Havanna heutzutage. Es flirrt vor Hitze, schallt vor Lachen, duftet nach Ananas, Guavensaft und Käsepudding, natürlich auch nach Tabak. Havanna ist eine Kindheitserinnerung, es ist das erste Havanna von 1515, das der Cecilia, der „Drei traurigen Tiger“ von G.C. Infante und auch Hemingways Stadt. Selbst der göttliche Caruso singt hier, während Petra Kelling wirbelt.

Sie spielt die kleine Cecilia, die rauchzarte und vergeistigte Mutter, die behäbige und großherzige Amme und den autoritären Vater. Mit kleinen Gesten nur zaubert sie die Figuren herbei, mit dem Handrücken bespielsweise stützt sie sich auf einen voluminösen imaginären Hintern, sofort steht die Amme Pilar vor uns. Sie umsorgt die kleine Cecilia mit weich-perlendem Lachen, beschützt sie vor dem Vater, der vorwiegend mit einer ganz speziellen Hüftbewegung charakterisiert wird.

Oft bestehen diese Figuren aus Klischee- Rastern, der schwärmende Caruso-Backfisch genauso wie die Hure Cecilia: glühend, naiv-rein hie, verrucht-verführerisch und rebellisch-stolz da; als Liebhaberin räkelt sie sich wohlig in der Hängematte, als seien wir nicht zugegen, dann wieder greift sie uns als die alte Keifzange vom Anfang an, die wir als Eindringlinge ihre Totenruhe stören. Leicht zerfließt hier die Grenze zwischen Spiel und „Zuschauerbeschimpfung“, ganz so, wie ihre Phantasien über Habana zwischen Trug und Traum taumeln.

Spannend ist es, der Schauspielerin bei ihrer „Zeremonie der Verzweiflung“ zuzuschauen, in die sie sich mit ganzem Körpereinsatz wirft. Nur manchmal stört ein hohler Theaterton, manchmal verliert sie sich fast im Deklamieren. Dann stellt sich natürlich die Frage, was diese Aufführung in einem Kinder- und Jugendtheater zu suchen hat, paßt sie doch weder thematisch noch von der Form. Offensichtlich genügt die Freundschaft des Regisseurs Eddy Socorro zum Intendanten als Begründung – aber wenn's Spaß macht, warum nicht? Petra Brändle

„Santa Cecilia“ von Abilio Estévez, die nächsten Vorstellungen sind am 2., 4. und 9.5., 19 Uhr, Carrousel Theater an der Parkaue, Hans-Rodenberg-Platz, Lichtenberg

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