: Transportziel Belgrad
Geraubte Kunst findet ihren Weg: Im ehemaligen Jugoslawien blüht der Handel mit erbeuteten Bildern und Kunstschätzen. Über die kriegsbedingten Plünderungen von Kulturgütern in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ■ Von Gordana Igrić
Ein Inspektor der Europäischen Union trifft in Belgrad ein. Seine Aufgabe ist es, im Laufe von sechs Februartagen die Bestandskataloge von Museen und Depots in Novi Sad und Belgrad durchzusehen. Hier soll er die Kunstwerke überprüfen, die der serbische Staat systematisch auf kroatischem Territorium vor dem Schicksal zehntausend kriegsbedingt verschollener Kunstgegenstände bewahrt hat.
Begleitet wurde die Ankündigung seiner Ankunft von den üblichen Vorwürfen Zagrebs, daß der serbische Staat Kroatien geplündert habe, sowie von den Behauptungen des Serbischen Ministerialrats für Kultur, Rade Begenišić, „daß sie uns der Plünderung beschuldigen, obwohl wir auch ihre Werke in Sicherheit gebracht haben und zurückgeben wollen“. Was in diesem Fall nun „ihre“ und was „unsere“ Kunstgüter sind, bleibt allerdings ungeklärt. Die kroatische Seite ist der Auffassung, daß ihr alles zurückgegeben werden muß, was sich auf ihrem Territorium befand, während die serbische Seite überzeugt ist, daß das zusammengetragene Kulturgut nach seinem Ursprung als kroatisch oder serbisch aufgeteilt werden muß. Experten in Belgrad sind jedoch der Meinung, es werde zu keinen größeren Überraschungen kommen und die serbische Politik rechne schließlich mit einem entlastenden Beweis des Inspektors, daß nichts aus Plünderungen stamme. Als ob alle vergessen hätten, daß nicht umstritten ist, was hergebracht, geschützt oder eingelagert wurde, sondern eben was nicht; was ohne Kontrolle dem „Willen des Volkes“ überlassen wird oder den Plünderern verschiedener Gruppierungen.
Öffentlich verbrannt
Laut Information der kroatischen Behörden sind 63 katholische Kirchen zerstört und 500 Klöster stark beschädigt worden. Die serbische Seite zählt 243 Kirchen, die in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Nach freier Einschätzung von Fachleuten sind in Bosnien-Herzegowina 70 Prozent der Kulturdenkmäler und der verschiedenen sakralen Kunstgegenstände abhanden gekommen oder zerstört worden. Es wurden Bilder, Ikonen und Bibliotheksbestände zerstört oder entwendet. Dabei gab es durchaus eigentümliche Ereignisse: Einerseits hatten serbische Flüchtlinge, die in ehemals von Muslimen bewohnten Wohnungen in Grbavica (jetzt im serbischen Teil Sarajevos) untergebracht waren, etwa 100 Bilder des bekannten Künstlers Mersad Berber auf dem Marktplatz zusammengetragen und verbrannt; andererseits versuchten etwa zehn serbische Soldaten bei Drniš Tag und Nacht vergebens, das marmorne Denkmal Ivan Meštrovićs, das viel wertvoller als sein Abguß in Zagreb ist, vor Beschädigung zu hüten und schrien, daß ihm nichts geschehen dürfe. Denn die Figur hatte sie tatsächlich bezaubert.
Bevor die katholische Kirche in Lovinac in der Region Lika (Kroatien) niedergebrannt wurde, versuchten einige serbische Fachleute aus Knin einzudringen, um wertvolle Ikonen und den uralten steinernen Weihwasserbehälter in Sicherheit zu bringen. Fast wurden sie dabei von angetrunkenen serbischen Soldaten erschossen: „Ihr rettet ihnen die Kirchen, aber sie zünden unsere an.“ Das Team kam einen ganzen Tag zu spät und fand an der Brandstelle die gerade geschmolzenen Kirchenglocken vor. Auf ähnliche Weise wurde die Gelegenheit verpaßt, die wertvolle Bibliothek der katholischen Kirche in Karin vor der Vernichtung zu retten. Alles wurde verbrannt.
Im Auftrag der Behörden fuhr einer der erwähnten Enthusiasten Anfang 1992 in seinem Auto Richtung Petrinja und Kostajnica, Städte unter serbischer Kontrolle, um nach Möglichkeit Archivmaterial in Sicherheit zu bringen. Im Ort Vojnić wurde er vom Gemeindevorsitzenden und dem Kommandanten der Militäreinheiten verhaftet, die ihn verspotteten, daß er in solchen Zeiten Wert auf Papier lege und nicht zum Gewehr greife. Sie zwangen ihn, zurückzukehren; das serbische Archivmaterial wurde zerstört. Die serbische Bibliothek in Drniš wurde vollständig ausgeraubt, obwohl sie unter Schutz von Truppen der Serbischen Krajina-Republik stand. In Gračac hat die Gemeindevorsitzende, von Beruf Historikerin, befohlen, Archivmaterial zu verfeuern, als das Holz knapp wurde. In Plitvice verschwand in der Gedenkstätte der 6. Lika-Partisanendivision eine erhebliche Zahl an Bildern bekannter serbischer und kroatischer Maler, da der Museumsleiter die Forderung serbischer Paramilitärs nicht ablehnen konnte, die Werke „in Verwahrung zu bringen“.
Bis 1992 stand die katholische Kirche in Knin zugesperrt und unberührt. Dann aber wurde sie aufgebrochen, verwüstet und niedergebrannt.
Verwüstet und verkauft
Milan Radovanac, heute Journalist der krajina-serbischen Nachrichtenagentur „Iskra“ in Belgrad, war damals in Knin, wo er die verheerenden Zustände entdeckte: ausgeschnittene Ikonen, wertvolle Bücher durcheinandergeschmissen und zerrissen, alles kurz und klein geschlagen. Er organisierte die Rettung und auch die Evakuierung des gesammelten Materials. In dieser Zeit nahm ein Team vom Museum der Kniner Krajina aus dem zerstörten Museum in Drniš etwa zehn Statuen und zwei Bilder Mestrovićs an sich, die sie auch auflisteten. Drei Bilder fehlten. Einer Version nach wurden die gestohlenen Bilder gleich an der Grenze den Kroaten verkauft, einer anderen Version nach befinden sie sich in einer privaten Sammlung in Belgrad.
Auf gleiche Weise wurde das serbische Erbe auf kroatisch kontrolliertem Territorium behandelt. Aus der Schatzkammer des serbischen Bistums in Pakrac wurden Ikonen, Bilder und Liturgieinstrumente auf den Hof getragen, zerschlagen und zerbrochen. Die wertvollste serbische Nationalbibliothek war in Pakrac; hier wurden die Bücher durcheinandergeschmissen oder verbrannt. In Karlovac wurde das frisch renovierte Museum der Karlovacer Diözese bis auf die Grundmauern zerstört.
Wie konnte es, zumindest was die serbische Seite betrifft, dazu kommen, daß der Vandalismus gegen fremdes Erbgut schlichtweg legalisiert wurde, wenn bereits 1991 einer von Nikola Kusovac angeführten Regierungskommission aus Belgrad die Aufgabe anvertraut war, mit Hilfe der Militärs Kunstwerke aus kroatischem Staatsgebiet unter serbischer Kontrolle in Sicherheit zu bringen?
Erstens begann die Operation, wie Ministerialrat Begenišić zugab, zu spät, als daß sie etwas vor den Kämpfen der paramilitärischen Truppen hätte retten können. Zweitens hat Nikola Kusovac im Felde entschieden, daß er kroatisches Gut nicht mal anfassen und keine katholische Kirche auch nur betreten werde. The Guardian zitiert beispielsweise seine damalige Äußerung gegenüber TV Beograd, daß „dieser kroatische und katholische Mist stehengelassen und vernichtet werden soll“. Heute sagt dieser vermeintliche Experte, daß ihm so etwas nie über die Lippen gekommen ist und daß er den seinerzeit verhandlungsführenden ehemaligen niederländischen Außenminister Van den Broek vielleicht nicht mag, dafür aber für Rembrandt schwärmt. Er beruft sich auf die Tatsache, daß in Kroatien nur die kroatischen Behörden über ein gesamtes Bild der vorhandenen Kulturgüter verfügten (so wie die serbischen Behörden in Serbien), und daß er daher nicht wußte, wo er suchen sollte. Es habe keinerlei positives Signal von der kroatischen Seite gegeben, daher glaubt Kusovac, daß alles, was in Mitleidenschaft gezogen worden ist, in ihre Schuld fällt. Er schütze nur die Reliquien des Heiligen Bone, die großen farbigen Altartücher und einige Bilder der Bauerschen Sammlung aus der Sakristei der Kirche in Vukovar, die nach seinem Wissen jetzt in den Museumsdepots in Novi Sad gelagert sind. „Ich habe kroatisches Gut gar nicht berührt. Heute frage ich mich, ob ich es nicht doch hätte in Sicherheit bringen müssen.“
Eine Frage der Gesetze
Jovan Despotović, früherer Kustos des Museums für Moderne Kunst, meint jedoch, daß dies keine moralische, sondern eine Frage des Gesetzes sei. Gerade die Haager Konvention, die auch Jugoslawien unterzeichnet hat, befindet, daß Kunstwerke geschützt werden müssen – ohne Rücksicht darauf, wem sie gehören. Er erinnerte daran, daß das Fachpublikum in Belgrad im Jahr 1992 verbittert reagierte, als bekannt wurde, daß im Felde eine Auswahl getroffen worden war, daß nur serbisches Gut vor den Kämpfen gerettet wurde und kroatisches Gut ungeschützt blieb. Deshalb wurden Kulturgüter, die die Regierungskommission in einer zweiten Rettungsaktion noch im Felde fand, eingesammelt und nach Belgrad gebracht, wo man sie in serbisches und kroatisches Erbgut aufteilte. Der serbische Ministerialrat für Kultur, Begenišić, meint: „Wir glauben, daß wir das auf zivilisierte Weise gemacht haben. Wir haben gerettet, was wir retten konnten.“
Über ein Drittel der Galerien, Kirchen, Museen und privaten Kunstsammlungen auf kroatischem Territorium ist zugrunde gegangen. Was dabei unter serbische Kontrolle fiel, verschwand auf verschiedene Weise. In eigener Regie „säuberten“ Soldaten Kirchen und Haushalte und versuchten, sofort vor Ort einen vertraulichen Schätzer oder Käufer für eine Ikone, einen Leuchter oder ein Bild zu finden. Wenn ihnen dies nicht gelang, eilten sie nach Belgrad. Flüchtlinge brachten ihr Eigentum mit nach Belgrad und boten es für lachhafte Beträge feil, damit sie sich ernähren konnten. So verkaufte eine Frau aus Sarajevo ein Bild Pajo Jovanovićs für nur 1.500 Mark.
Auch Amateure, Nicht-Soldaten, fuhren auf Beutezug und stahlen Wandkalender-Reproduktionen wie echte Kunstwerke, wovon sich schließlich vieles systematisch auf verschiedenen paramilitärischen Stützpunkten stapelte – mit dem Transportziel Belgrad.
So wurde Belgrad 1991 und 1992 zu einem Mekka für den Verkauf geraubter Kunstwerke, ohne daß allerdings Galeristen darauf Einfluß hatten. Häufig waren Leuchter, Ikonen und Möbel in flugs eröffneten Antiquitätenläden zu sehen, sogar frühere Forscher der Staatssicherheit wurden Inhaber solcher Läden. Während die alten Galeristen und Kunstsammler sich bewußt waren, daß Werke vieler großer Maler im Umlauf sind und sich langfristig nicht verstecken lassen werden, hat die durch Schwarzmarkthandel und Kriegsgewinnlertum aufgeschossene amateurhafte, aber geldschwere „neue serbische Klasse“ sich vom Kauf nicht zurückgehalten. So entstand eine neue Sorte von Kunstdealern, die auch heute in Belgrad die tragende Säule des Kunsthandels darstellt. Die Dealer wollen ihren Schnitt machen und haben großen Geldgebern bereits Werke von Vlah Bukovac und Mestrović angeboten. Das Geschäft wurde auf geheimen Auktionen oder durch persönliche Kontakte in Privatwohnungen abgewickelt. Trotzdem wurde ein Fachmann benötigt, um den Wert zu schätzen.
Nikola Kusovac, Kustos des Volksmuseums in Belgrad und namhaftester Schätzer, habe an Bildern, die ihm zur Einschätzung vorgeführt wurden, mehrmals erkannt, daß es sich um Raubkunst handelt. Zum Beispiel führte ein junger Montenegriner Gemälde des berühmten Celestin Medović sowie Vlah Bukovacs vor, und Kusovac erkannte, daß sie aus der Sammlung stammten, die bei Kupari in der Nähe von Dubrovnik verwüstet wurde. Auch sind ihm Fälschungen von Mersad Berber in die Hände gekommen. Er weiß außerdem, daß eine beträchtliche Zahl von Bildern des Künstlers Ljubo Lah, dessen Atelier verwüstet wurde, für 100 Mark pro Stück verkauft wurde. „Vor der Zerstörung habe ich Angst, nicht vor der Plünderung. Raubkunst wird ihren natürlichen Weg zum Käufer und zu seinem Ursprung zurückfinden, sie existiert ja noch. Ich hätte lieber gesehen, daß kroatische Truppen die Raritäten unseres Bistums in Pakrac plündern, statt sie zu verbrennen“, fügt Kusovac hinzu.
Jovan Despotović erklärt, daß man ihm Fotos verschiedener Bilder und Ikonen kroatischer Herkunft mit der Bitte um eine Einschätzung des Wertes gezeigt habe. Etwa 100 Bilder des Malers Afan aus Sarajevo waren in der Stadt im Umlauf und wurden für 50 Dinar das Stück verkauft. Auch Werke von Ibrahim Ljubović tauchten auf. „Ich weiß von einer Studentin, einer Flüchtlingsfrau aus Sarajevo,
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die ihrem Dozenten einen Deal angeboten hat, dieser wiederum seinem Freund. Im Angebot waren Werke von Mersad Berber, Bukovac und Mestrović.
„Alle Parteien in Serbien, die eigene reguläre oder paramilitärische Kampfeinheiten an der Front unterhielten, haben mehr oder weniger ihre Depots. Ich behaupte, daß Zeljko Raznjatovic Arkan eine größere Menge solcher ,Waren‘ erbeutet hat und sie in seinem Geheimdepot bewahrt. Ich halte eine Zahl von 10.000 geplünderten Kunstgegenständen nicht für übertrieben und glaube, daß die Plünderungen in diesem Krieg nur mit den Verwüstungen durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg vergleichbar sind“, sagt Despotović zuletzt.
Der bekannteste Belgrader Galerist, Čeda Edrenić, behauptet, daß ihm alles mögliche angeboten worden ist – von Drei-Groschen- Bildern bis hin zu eisernen Uhren. Alles, was ihm nach Krieg roch, schickte er entrüstet Nikola Kusovac zur Einschätzung, was Kusovac selber bestätigt. „Fragen Sie mich nicht“, sagt Edrenić, „was mit den verlagerten Kulturgütern geschehen ist. Vor den Einfahrten in unsere Städte standen an jeder Straßenkreuzung bewaffnete Polizisten, die jeden Bus und jeden Reisenden einer Leibesvisitation unterzogen. An der Front stand unmittelbar hinter jeder regulären und paramilitärischen Kampfeinheit ein Offizier. Alles, was eventuell erbeutet wurde, mußte ihm übergeben werden. Allein diese Offiziere können wissen, was aus dieser Ware geworden ist. Eine Zahl von 10.000 Kunstgegenständen ist völlig übertrieben“, ist Edrenić überzeugt.
Der Handel mit Bildern bekannter kroatischer Künstler erschien den Fachleuten nur im ersten Augenblick riskant, unvernünftig und naiv. Doch der Profit, den selbst völlig Kunstunverständige damit machen, gab ihnen unrecht. Wir erfahren, daß ein Belgrader Kunstsammler ein Gemälde des bekannten Slowenen Grohar verkauft und dafür 10.000 Mark erhalten hat. Über Dealer- Kanäle ließ er das Gemälde nach Slowenien bringen, wo ein Ljubljaner 50.000 Mark dafür bezahlte.
Den „ethnischen Säuberungen“ folgten kulturelle. Die dabei erbeuteten Kulturgüter, unter ihnen Werke eines Hegedušić oder Bukovac, werden nun für wenig Geld durch Händler aufgekauft, die von Haus zu Haus ziehen. So wird das kulturelle Bild des bereits zerstückelten Jugoslawien kläglich und endgültig zerlegt.
Erschienen in „ARKzin“ Nr.32, Zagreb, 10. Februar 1995
Aus dem Serbokroatischen von Will Firth
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