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An Nölles Wesen soll der Osten genesen

■ CDU-Kandidat bei der Ostpreußischen Landsmannschaft: Kein böses Wort gegen Revanchisten

“Unglaublich“, „mir ist die Spucke weggeblieben“, „arrogant und unverschämt“, „ich bin ein bißchen fassungslos“ – Es ist schon ziemlich ungewöhnlich, wenn so über den politischen Gegner geredet wird, selbst in Wahlkampfzeiten. Noch ungewöhnlicher, wenn sich die Aussagen quer durch alle anderen Parteien ziehen. Ziel der gesammelten Fassungslosigkeiten von SPD, FDP und Grünen: Ulrich Nölle, CDU-Spitzenkandidat und Bürgermeisterbewerber. Der hatte am vergangenen Freitag einen Auftritt vor der ostpreußischen Landsmannschaft. Und dort hatte es der Wahlkämpfer Nölle nicht für nötig gefunden, den „Heim ins Reich“-Reden der Vertriebenenfunktionäre auch nur im Ansatz zu widersprechen. Im Gegenteil, es fielen Sätze, die die Vertriebenen in ihren Positionen geradezu bestärken müßten. „Den russischen Politikern, so Nölle, müsse klargemacht werden, daß dieses Land (nämlich Kaliningrad und das ehemalige Ostpreußen; d.Red.) nur durch deutsche Tüchtigkeit aus seinem verwahrlosten Zustand herausgeholt werden könne“, schrieb die „Norddeutsche“ vom 1.Mai.

Am letzten Freitag traf sich die Bremer Landsmannschaft der Ostpreußen in der Strandlust in Vegesack. Und der Vertriebenenverband hatte zwei prominente Gäste: Zum einen den Bundessprecher der Landsmannschaft, Wilhelm von Gottberg, zum anderen den Bürgermeisterkandidat Ulrich Nölle. Gottberg zog kräftig vom Leder. Der 8.Mai sei angesichts der Vertreibungsgreuel alles andere als ein Tag der Befreiung, referierte der Funktionär. Und dann ging der Mann zum Angriff über: Bundespräsident Roman Herzog hatte sich nämlich nicht bei den Gedenkfeiern der Vertriebenen sehen lassen. „Desinteresse gegenüber den Deutschen aus dem Osten“, wetterte von Gottberg, um dann eine Breitseite gegen alle Politiker abzufeuern, die nicht mehr vom „deutschen Osten“ redeten: „Wenn wir von Ostdeutschland sprechen, meinen wir nicht die Bundesländer zwischen Elbe und Oder, sondern die deutschen Länder östlich der Oder.“ Das Memelland sei ein Teil Ostpreußens und damit Deutschlands.

Wer nun gedacht hatte, der CDU-Kandidat würde dem Vertriebenenfunktionär in die Parade fahren, der hatte sich getäuscht. Kein böses Wort bekam von Gottberg von Ulrich Nölle zu hören. Daß der Bundespräsident als Verräter hingestellt worden war, daß sein Bundeskanzler, der in den zwei-plus-vier-Verträgen und den Verträgen mit Polen die Ostgrenzen endgültig anerkannt hatte, damit implizit auch angegriffen worden ist – für Ulrich Nölle kein Grund, Laut zu geben. „Er hat nicht geantwortet, weil er dort Gast gewesen ist“, ließ Nölle gestern durch den CDU-Sprecher Thomas Diehl verbreiten.

Die maximale Abgrenzung des Gastes bestand darin, daß der nicht voll auf die Rhetorik des Gastgebers einstieg. Wenn Nölle Deutschland gesagt habe, dann in den Grenzen von 1990, so CDU-Sprecher Diehl: „Im Blick auf das Gebiet um Königsberg hat Ulrich Nölle immer von Ostpreußen geredet.“

Was Nölle dann aber sagte, das hatte es durchaus auch in sich. Schließlich hatte der CDU-Spitzenmann an einer Reise ins ehemalige Ostpreußen teilgenommen, Nölle kannte sich aus. Damals mit von der Partie: von Gottberg und der Bremer Ostpreußen-Vorsitzende Helmut Gutzeit. Die „Norddeutsche“ berichtete, Nölle hätte sich am Freitag für die „kostenlose Rückgabe der „angestammten Höfe und Besitztümer“ an die „rückkehrwilligen Deutschen“ ausgesprochen. Der Reporter steht zu dem, was er geschrieben hat. In Nölles Redemanuskript hatte das noch anders gelautet: „Wenn man den Verantwortlichen doch nur klar machen könnte, daß es für die Volkswirtschaft und für das Wohlergehen der Menschen am besten wäre, sie würden alle Besitzungen für wenig Geld insbesondere den früheren Eigentümern zurückübertragen. Dann würde binnen weniger Jahre eine Blüte einsetzen, die der gesamte Kommunismus in den vergangenen siebzig Jahren nie erlebt hat.“

„Egal, ob er es nun so oder so gesagt hat, gerade das ist eine unglaubliche Arroganz und deutsche Überheblichkeit“, kommentierte der Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn. „Als ob nur die Deutschen kommen müßten, weil die Russen zu doof sind. Wenn der Mann einer derartigen Vertriebenenrede nicht widersprich, dann kann er in einer Rede die Annäherung von Jahrzehnten über den Haufen werfen.“ Der Grüne scheint da für eine ziemlich breite politische Koalition zu reden, die sich als Reaktion auf Nölle gestern zusammengeschoben hat. „Empörend“, kommentierte Axel Adamietz von der FDP, „das ist weder dem 8.Mai als Gedenktag noch dem Jahr 1995 angemessen. Ich erwarte von einem Spitzenpolitiker, daß er einer solchen Rede entgegentritt und nicht den Eindruck erweckt, er stimme einer Landnahme im Osten zu. Ich bin schon ein bißchen fassungslos.“

„Mir ist die Spucke weggeblieben“, kommentierte der Bremerhavener Oberbürgermeister Karl Willms. Der hat unmittelbar mit dem Gegenstand zu tun, schließlich ist Kaliningrad die Partnerstadt Bremerhavens. „Das klingt fatal nach 'am deutschen Wesen soll die Welt genesen–. Das war der Versuch, den Wähler davon abzubringen, DVU oder Reps zu wählen. Das tut man aber nicht, indem man deren Parolen nachbetet. Ich hoffe nur, daß der Bürgermeister von Kaliningrad nichts davon erfährt.“

Die Veranstaltung der Landsmannschaft war am vergangenen Freitag. Am selben Tag war im Weser-Kurier eine Anzeige erschienen: „Ich wähle Ulrich Nölle, damit unsere Krankenhäuser bald richtig ausgestattet sind und weil er die Interessen meiner Heimat Ostpreußen wahrnimmt.“ Unterzeichnerin: Irmgard Gutzeit, die Ehefrau des Bremer Ostpreußen-Chefs. J.GGrabler

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