■ Normalzeit: „Man sieht sich!“ (alter DGB-Gruß)
Der 1. Mai ist eigentlich der schönste Feiertag im Jahr. Und heuer begann er auch noch mit einer prima DGB-Veranstaltung – im völlig überfüllten Köllnischen Park. Für Stimmung sorgten ca. 1.500 PKK-Kurden, die die Rede von Manfred Birkhahn (HBV) zwar politisch korrekt fanden, aber viel zu unkonkret. Der DGB mußte sein Orchester schließlich mit Bullen (von der Gewerkschaft der Polizei?) vor ihnen schützen, sie drängten aufs Podium, um selbst das Wort zu ergreifen – und zogen schließlich in einer Demo ab durch Mitte.
Durch diese plötzliche Entspannung, da alles die Freßstände stürmte (wo das Bierglas 5 Mark Pfand kostete – eine alte DDR- Öko-Idee), ergaben sich mannigfache Gelegenheiten, mit Freunden und aus den Augen verlorenen Mitkämpfern zu plaudern und dabei Neues zu erfahren. Einer verdient zum Beispiel gerade ausgezeichnet bei der statischen Berechnung des U-Bahnhofs unter den Daimler-Benz-Gebäuden am Potsdamer Platz, der nie gebaut werden wird: „Das soll mir aber nur recht sein!“ Die von Entlassung bedrohten Siemens-Kabelwerker wollen mit anderen ebenfalls von Massenentlassungen heimgesuchten Siemens-Belegschaften am Freitag die Arbeit verweigern und sich mit Diepgen treffen (dadurch wirkt die Aktion weniger illegal, so hoffen sie). IG Metall-Chef Foede begleitet den WF-Betriebsrat Kippel demnächst nach Seoul zu Samsung, zuvor hatte er die Hennigsdorfer AEG-Westinghouse-Betriebsräte gerade nach Amerika begleitet. Kein Wunder, daß sein Stellvertreter Masson immer heftiger auf Foedes Fernreise-Job drängt. Auch der Krupp-Betriebsrat Köckenberger wird zunehmend umtriebiger. Jetzt kam er gerade von einer Tournee des Kreuzberg-Treptower Kinderzirkus durch die mexikanische Provinz Chiapas zurück.
Erstmalig hatte die Senatsverwaltung für Arbeit einen eigenen Stand auf der DGB-Veranstaltung aufgebaut. Frau Bergmann ging derweil mit ihrem gutaussehenden Staatssekretär Haupt spazieren. Der demokratisch-alevitische Verein war ebenfalls mit einem Stand vertreten, und die Auslandsorganisation der kommunistischen Iraner verteilte Flugblätter. Unter der Losung „Den ArbeiterInnen aller Länder eine Sprache“ warb der Esperanto-Verein für sein Kunstkauderwelsch. PDS-Betriebsrat Peter Hartmann und ich hatten jedoch in Lissabon unlängst erfahren, daß die europäischen Arbeiter eindeutig zu einem Mittelmeer- Pidgin neigen. An einem türkischen Stand rief eine Frau laufend die Parole „Güsi dschakolä“, was einen Köpenicker SPD-Betriebsrat zu der giftigen Bemerkung veranlaßte: „Mit solchen Gregor-Parolen sollte sie besser rüber gehen – zum PDS- Fest am Rosa-Luxemburg-Platz.“
Die georgische Ingenieurin und Betriebsrätin im Betonwerk der Intech GmbH, Vera, kritisierte das West-Baugeschehen, daß wegen der Subunternehmens-Hungerlöhne und der Kontingentarbeiter immer weniger „automatisiert“ bzw. „technologisch entwickelt“ werde. Zu Zeiten der Privatisierung ihres Betriebes hatte die Roland Berger Unternehmensberatung für Veras Plattenwerk noch eine Chance durch „Vergrößerung des Fertigteil-Angebots“ gesehen – jetzt wird es wohl abgerissen.
Der Verkauf des Marienfelder AEG-Werkes für Antriebs- und Automatisierungstechnik an eine Alcatel-Tochter, so erzählte mir Betriebsrat Gerhard Lux, sei merkwürdigerweise bei Genf abgesegnet worden. Dort, in Pully, residierte das internationale Elektrokartell, das regelmäßig im Hotel Beau Rivage tagte. Diese Koinzidenz gab unserem Verdacht, daß das eigentlich 1989 aufgelöste Kartell doch noch existiert und munter weiter macht, neue Nahrung.
Abschließend sei noch bemerkt, daß allgemein der PKK- Stoßtrupp gut angenommen, das diesjährige DGB-Logo – ein rotes Herz – jedoch abgelehnt wurde: „Das ist alberner als die Bild ,Ein Herz für Kinder‘-Kampagne, die sich immer die schlimmsten Autofahrer aufgeklebt hatten.“ Derzeitiger gewerkschaftlicher Diskurs-Hit ist das neue ausgezeichnete Hanser-Buch von Claus Koch „Die Gier des Marktes“ über „die Ohnmacht des Staates im Kampf der Weltwirtschaften“. Helmut Höge
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