: Drachentanz und Investitionen
Kultur als schmückendes Beiwerk. Anmerkungen zu den Berliner Vietnam-Tagen ■ Von Dorothee Wenner
Während hierzulande auf allen Kanälen der Kapitulation vor 50 Jahren gedacht wird, erinnert man sich in Vietnam an das Kriegsende vor 20 Jahren: die beiden runden Jubiläen sind nicht nur für die Esoteriker unter den Historikern Anlaß, über das besondere Verhältnis zwischen den beiden wiedervereinigten Ländern zu philosophieren. Ohne diese schicksalhaft anmutende Koinzidenz beim Namen zu nennen, veranstaltet die Deutsch- Vietnamesische Gesellschaft zur Zeit die „Berliner Vietnam-Tage“.
Ein ziemlich buntes Angebot ist von Mai bis Juni über die ganze Stadt verteilt: Diavorträge werden angeboten, Drachentanz, Foto- Lack-Arbeiten und Gemäldeausstellungen, Kung-Fu-Vorführung und Podiumsdiskussionen. Das Ganze soll für gute deutsch-vietnamesische Beziehungen werben: dem Programm läßt sich vorab entnehmen, daß die vietnamesische Kultur eher als schmückendes Beiwerk dient, zu dem diverse Berliner Bildungsinstitutionen mit multikulturellem Goodwill ihr Scherflein beitragen.
Das ist ehrenwert und wird interessant, wenn man den Hintergrund ein wenig beleuchtet. Da nämlich wird offensichtlich, daß es im deutsch-vietnamesischen Verhältnis nunmehr gilt, die Ärmel hochzukrempeln, nicht nur wegen der jüngsten Zwistigkeiten um die „Zigaretten-Mafia“ und des Schicksals der ehemaligen Vertragsarbeiter. Das meint zumindest Thomas Bürkle, Direktor der Asien-Abteilung der Berliner Bank, die im Rahmen der Berliner Vietnam-Tage zu einem Wirtschaftsseminar einlädt. Die BB hat im September 1993 in Hanoi eine Repräsentanz eröffnet und gehört damit zu den Pionieren in dem Land, dessen Märkte wirtschaftlich noch viel Raum für Unternehmer mit Sinn für Abenteuer lassen.
Bürkle erklärt das besondere Interesse der deutschen Wirtschaft mit einer gewissen mentalen Verwandtschaft zwischen Vietnamesen und Deutschen, die man durchaus auch als Tourist spüren kann. Überall auf den Straßen zwischen Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt sieht man Menschen bei Verrichtungen, deren sich die Deutschen gerne rühmen: Ohne Unterlaß wird gewerkelt und gepusselt, geputzt und nur am Müßiggang gespart. „Die Armut des Landes steht in krassem Gegensatz zu der Geschäftigkeit, und man spürt, daß dieses Land nicht mehr lange so arm bleiben wird: es strebt nach dem Licht.“
Nahezu perfekt wird dieses „Investitionsklima“ aus Sicht deutscher Unternehmer durch die Tatsache, daß es in Vietnam eine große Anzahl von Menschen gibt, die nicht nur Deutsch sprechen, sondern durch lange Aufenthalte auch gelernt haben, das verquere deutsche Wesen zu verstehen und nicht selten – Land und Leute sogar zu mögen. Die Sache hat nur einen Haken: das gute Verhältnis der Vietnamesen zu den Deutschen ist ein Erbe der DDR, zwischen Bonn und Hanoi herrschte fast 15 Jahre völlige Funkstille. Das neue Deutschland steht damit zumindest psychologisch vor einem adretten Double-bind, denn in Vietnam würde ein Gezeter über die „Roten Socken“ nach hinten losgehen – bei diesem Auswärtsspiel sind auch hartgesottene Antikommunisten auf die sozialistischen Vorlagen angewiesen. Nach Einschätzung von Thomas Bürkle tun sich die Politiker dabei schwerer als die deutsche Wirtschaft, die mit einer agilen Lobby bereits seit 1989 bei der Bundesregierung zum Beispiel für eine großzügige Regelung plädiert, wo es um die Konditionen der Rückkehr von Vertragsarbeitern geht.
Interessant ist darüber hinaus, daß der ideologische Antikommunismus, den Wirtschaftsleute früher so selbstverständlich trugen wie die Krawatte, nach 1989 zu einem ganz und gar unmodischen Accessoire verkommen ist. „Berührungsängste mit Altkadern – die gibt es nicht mehr“, so Bürkle. „Aus unserer Sicht ist das eher ein Qualifikationsproblem. Wir haben häufig mit Leuten zu tun, die aufgrund ihrer politischen Überzeugung oder wegen ihrer Leistungen im Krieg in Positionen sind, für die sie beruflich ganz und gar ungeeignet sind. Aber wir sind ja Gäste im Land und wollen unsere Gastgeber nicht vor den Kopf stoßen. Dazu gehört eben auch, daß man Sitzungen mit Leuten durchsteht, die in der speziellen Materie nicht drinstecken und am Ende nur zustimmen müssen. Entscheidend ist, sich daneben eine eigene Infrastruktur von kompetenten Leuten aufzubauen, die in der Hierarchie oft weiter unten stehen.“
Vielleicht wäre es also zur Verbesserung der deutsch-vietnamesischen Beziehung gar nicht verkehrt, auch ein paar Veranstaltungen zur Übung von Sitzungsgeduld anzubieten: wenn Quadratmeterpreise von Büroflächen ein Indikator für lohnende Geschäfte sind, täten Investoren gut daran, sich schon mal ein bißchen auf Hanoier Verhältnisse einzustimmen. Die Mieten dort liegen nämlich weit über dem Berliner Durchschnitt und rangieren gleich hinter denen von Bombay und Zentral-Tokio.
Heute wird die Fotoausstellung „Vietnam im Wandel“ von Ulrich Meyer eröffnet, VHS Schöneberg, Barbarossaplatz 5, bis 22. 6., Mo-Fr, 9-21 Uhr, Infos über alle weiteren Veranstaltungen bei der Deutsch-Vietnamesischen Gesellschaft, Arbeitskreis Berlin, Telefon: 240 632 60
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