■ Ufo-Sichtungen, wohin das Auge blickt: Es glitzert, schwirrt und wieselt
Castrop-Rauxel (taz) – An Bord der futuristischen Stadthalle zu Castrop-Rauxel versammeln sich rund 200 humanoide Twenty- somethings. Die vorzugsweise Maskulinen harren der Verkündigung einer bislang weitgehend unbekannten Gewißheit, sie wissen diese Wahrheit jedoch selbst schon ganz genau: Natürlich gibt es unbekannte Flugobjekte, außerirdische Welten und von der herrschenden physikalischen Lehre ignorierte Naturgesetze. Der selbsternannte Fachjournalist Michael Hesemann, entstammend dem Düsseldorfer Universum, wird dazu gleich die große Predigt halten.
Das Saallicht wird gedimmt, klar, daß nun Sphärenklänge hallen. Ziegenbartträger Hesemann schwingt sich von hinten hüpfend in den Spot am Rednerpult. Den Laserpointer in der Rechten, weist er auf ein eingefrorenes Weltraumbild, aufgenommen wurde es von einer Außenkamera des Space-shuttle. „Ganz deutlich sieht man hier im Weltraum ein Objekt“, pointiert der Faktensammler. Tatsächlich sieht man im luftleeren Raum etwas Kleines, was glitzert, schwirrt und wieselt. Dann schießt von Mutter Erde, Gemarkung Westaustralien, ein Strahl empor. In Richtung des Glitzerpunktes. Der Düsseldorfer Ufologe weiß, warum: „Da unten befindet sich eine streng geheime Forschungsstation des Weltraumkriegprojektes SDI. Die haben skrupellos auf das Ufo gefeuert.“ Statt mit einem Energiestrahl den fünften Kontinent in Richtung Atlantis zu schicken, macht sich der kleine Schwirrling schnell davon. „Zweifelsfrei ist hier intelligentes Verhalten zu beobachten“, meint Hesemann.
Wer 20 Mark Eintrittsgeld berappt, will halt gut unterhalten sein. Und glauben, was er weiß: Nach Hans-Werner Peininger, dem Vorsitzenden der mit rund 140 Mitgliedern größten Ufo-Recherche-Organisation „Gesellschaft zur Erforschung des Ufo- Phänomens“ (GEP) in Lüdenscheid, lassen sich „vermeintliche Ufo-Sichtungen grundsätzlich auf natürliche Erscheinungen zurückführen“. Etwa ungewöhnliche Wolkenformationen, nach oben gerichtete Scheinwerfer, blinkende Flugzeuglichter. Weil sich die GEP „als behördenähnliche Einrichtung versteht“, geht der Verein den unbekannten Phänomenen systematisch auf den Grund. Bekanntgewordene Sichtungsfälle werden registriert und abgeklopft.
Wie der Fall 19930516 A. Am 16. Mai 1993 sieht ein Augenzeuge auf der Autobahn A45 zwischen Hagen und Lüdenscheid gegen 21 Uhr „ein grelles Licht, das eine Rauchspur hinter sich zog“. Er vergleicht das optische Erscheinungsbild mit dem einer startenden Rakete. Wie hat die GEP das Rätsel gelöst? Nach der Methode der wahrscheinlichsten Erklärung: „Unserer Meinung nach kann es sich um eine Modellbaurakete gehandelt haben.“ Aber: „Es gibt keine unkomplizierte Lösung des Ufo-Phänomens“, warnt Peininger, „die Lösung steht noch in den Sternen.“
Mit dem Gelichter beschäftigt sich auch Cornelia Brandt. Als Chefin der „Interessengemeinschaft für Prä-Astronautik Essen“ (IPE) ist die Hausfrau bemüht, „die These zu untermauern, daß Außerirdische in früherer Zeit die Erde besucht und hier Kontakt mit Menschen aufgenommen haben“. Die kühne Annahme wird nach Auffassung des Dortmunder IPElers Hans-Werner Sachmann mit der „Siggiburg-Geschichte“ bewiesen. Als sich im Jahre 776 die Streitmacht des großen Kaisers Karl gegen die Sachsen wehren mußte, kam es zu einem mysteriösen Schlachtengetümmel nahe der heutigen Dortmunder Hohensyburg. Karls Mannen hielten die Siggiburg, eine befestigte Wallburg, die die Sachsen im Jahr zuvor an Frankenkönig Karl verloren hatten. „Die dortigen Franken widersetzten sich, mit Hilfe Gottes, mutig, konnten aber in keinem Fall gewinnen“, vermerkt im selben Jahr der zeitgenössische Chronist Laurencius. Jedoch zeigte sich über der Befestigung plötzlich „das Abbild zweier Schutzschilder von rötlicher Farbe und in flammender Bewegung“. Kopflos ergriffen die Sachsen die Flucht, „zitternd vor Angst“. Also ist für Hans-Werner Sachmann klar: „Es handelt sich um die Aufzeichnung eines sogenannten Wunders.“ Der Studiosus der Prä-Astronautik erklärt sich den Kern der „Legende“ (Stadtarchiv Dortmund) mit einem Ufo. „Was sollte man sonst zur damaligen Zeit am Himmel erwarten?“ fragt der Kassenangestellte.
Auch den Elektronikfachmann Holger Pusch haben „die Ufos heiß gemacht“, wie er sagt. Sein provisorischer Arbeitsplatz befindet sich in einem Kabuff der elterlichen Wohnung. Während in dem Bottroper Bergmannshäuschen der Kohleofen bullert, baut Pusch routiniert Computer zusammen. Jetzt blickt der Ufo-Fan zur Abwechslung in ein Marsgesicht. Über ein Computernetz hat sich der Seher ferner Welten zwei Aufnahmen der Nasa-Sonde „Viking 1“ gefischt, die beiden Farbfiles zeigen eine 1,5 Kilometer lange erhabene Struktur in der Marsregion Cydonia. Pusch junior und sein Vater, ebenfalls auf Bildanalysen spezialisiert, haben sich diese Struktur zur Brust genommen. Sie haben das Ding per Software vergrößert, kontrastverstärkt, vermessen und erneut berechnet. Und im Ergebnisbild erinnert die Tektonik tatsächlich an ein menschliches Gesicht. Vater und Sohn sind sich völlig sicher: „Das Gebilde ist eine außerirdische Botschaft an die Erde.“ Bloß welche?
Illobrand von Ludwiger hat sich diese Frage nie gestellt. Denn mit Spekulationen beschäftigt sich der Physiker nicht. „Im Gegensatz zu allen anderen haben wir keine Ahnung, woher das Ufo-Phänomen kommt und was das soll“, sagt der für Zentraleuropa zuständige Sprecher von Mutual Ufo Network-Central European Section (MUfoN-CES). Ähnlich wie die Lüdenscheider GEP kann die vornehmlich von Naturwissenschaftlern getragene MUfoN-CES zwar den weitaus größten Teil der Sichtungen unbekannter Flugkörper „von Experten auf bekannte Phänomene oder Objekte zurückführen“. Im Unterschied zur GEP- Sichtweise bleibt bei den in Deutschland etwa 50 MUfoN-Mitarbeitern aber eine geringe Anzahl Fälle „auch von Spezialisten nicht erklärbar“.
Gerd Geitz aus Mülheim kann das beweisen. Der Ex-Pilot arbeitet als Flugdienstberater bei einer deutschen Luftfahrtgesellschaft. Im Juni 1994 recherchierte Geitz im Rheinland einen Fall, der Rätsel aufgibt. Mehr als ein Dutzend Zeugen sahen am 16. gegen 10.25 Uhr mitten in Düsseldorf ein dunkles Objekt am Himmel. Und zwar über dem Gebiet der Müllverbrennungsanlage in Flingern. Der Polizeiobermeister Jochen Fahr tat gerade in der Polzeiwache Goethestraße seinen Dienst. Dort beobachtete der Beamte, gegen die Sonne im Südosten guckend, „in einer Entfernung von 500 bis 1.000 Metern einen etwa daumenbreiten, sich nach oben bewegenden schwarzen Schatten, von hinten von der Sonne beleuchtet, 45 Grad über dem Horizont“. Fahr weiter: „Ich bin sicher, daß es sich nicht etwa um eine Gas- oder Dampfwolke gehandelt haben kann.“
Die restlichen Zeugen machten weitgehend ähnliche Angaben. Und der Flugsicherung fiel nichts auf, obwohl man im Düsseldorfer Tower das Objekt hätte sichten müssen. „Ein Flugplan für Helikopter, Zeppelin, Heißluft- oder Gasballon wurde am 16. Juni 1994 von niemandem abgegeben“, ergänzt Geitz. War der Luftkörper etwa ein Ufo? Thomas Meiser
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