: „Ich habe gedacht, es wird schlimmer“
Die Angst vor Rache, die Erfahrungen der Vergangenheit und die serbische Propaganda haben unter der serbischen Bevölkerung in Westslawonien Panik und Flucht vor der kroatischen Armee ausgelöst ■ Aus Bjelovar Beate Seel
Über dem Saal hängt jener Geruch, der für Gefangenen- und Flüchtlingslager typisch ist: eine Mischung aus abgestandener Luft und Ausdünstungen ungewaschener Körper. Knapp 700 serbische Gefangene, Männer aller Altersgruppen, liegen oder kauern auf Wolldecken in diesem Sportzentrum in der kroatischen Stadt Bjelovar. Sie wurden in zwei Gruppen am 4. und 6. Mai hierhergebracht, nachdem die kroatische Armee letzte Woche den im Krieg von 1991/1992 von Serben eroberten Ort Pakrac in Westslawonien eingenommen hat.
Trotz der vielen Menschen herrscht eine seltsame Ruhe in dem geräumigen Sportsaal: die gedrückte Stimmung geschlagener Kämpfer, deren Weltbild ins Wanken geraten ist und die nicht wissen, was mit ihnen geschehen wird, was aus ihren Angehörigen geworden ist. Schweigend stehen an einer Seitenwand Männer in einer ordentlichen Reihe und warten auf den Gang zur Toilette. Als wenig später bekanntgegeben wird, daß die Gefangenen zu einem Rundgang ins Freie dürfen, kommt lebhafter Beifall auf.
Es ist nicht schwierig, in das mäßig bewachte Lager zu gelangen, eine Sondergenehmigung ist nicht erforderlich. Die kroatischen Behörden haben ein Interesse daran, daß die Welt erfährt, wie sie mit den Gefangenen umgehen. So sieht man keine blutigen Gesichter, keine gebrochenen Knochen, nichts, was auf eine Mißhandlung hinweist. Auch Mitarbeiterinnen des Internationalen Roten Kreuzes (IRK), die hier im Gegensatz zu den serbischen Lagern in Bosnien-Herzegowina, in denen Muslime festgehalten wurden, sehr schnell zur Stelle waren, geben an, daß die Gefangenen gut behandelt und versorgt werden.
Die Gefangenen selbst bestätigen dies. Nicht jeder von ihnen möchte allerdings mit deutschen Reportern reden. Ein blonder junger Mann sagt, bisher sei die Behandlung gut gewesen. Es gebe Getränke und gutes Essen, allerdings keine Zigaretten. „Ich habe gedacht, daß es schlimmer wird“, konzidiert er und gibt damit eine unter der serbischen Bevölkerung weit verbreitete Angst wieder, die kroatischen Sieger würden mit den Unterlegenen so umgehen, wie es die serbischen Milizen in der Vergangenheit oft genug getan haben. Viele haben mit Racheaktionen und dem sicheren Tod gerechnet, was eine Panik und spontane Flucht ausgelöst hat, sowohl unter den Bewaffneten als auch unter den Zivilisten.
Wie gehen die Kroaten mit den Serben um?
Nach der Eroberung von Pakrac hatte die UNO tatsächlich von Übergriffen auf die serbische Bevölkerung berichtet. Frauen und Kinder seien von den Männern getrennt und in Bussen an verschieden Orte gebracht worden. Wenig später mußte die UNO jedoch einräumen, daß die Kroaten keine Frauen und Kinder, sondern 1.000 Soldaten in Kriegsgefangenenlager gebracht haben.
Eines dieser Lager ist die Sporthalle von Bjelovar. Der Gesprächspartner berichtet, die Gefangenen würden einzeln verhört; er selbst sei noch nicht an der Reihe gewesen. Von anderen wisse er aber, daß sie gefragt worden seien, in welcher Armee sie gekämpft hätten. Daß sich unter den Gefangenen auch Kriegsverbrecher befinden, kann er sich nicht vorstellen. „Die meisten sind doch arme Leute“, meint er. Er macht „die Politiker“ verantwortlich für die Situation, in der er sich befindet. Eine griffige Formulierung, die viele serbische Gesprächspartner wählen, wenn es um die Frage der Verantwortung für das Geschehene geht.
Seine Nachbarn hören aufmerksam zu, als er uns fragt, wo wir gewesen seien und wie die Lage in den eroberten Dörfern sei. Es stößt auf Erstaunen, als wir berichten, daß in Pakrac serbische Frauen und Kinder zurückgeblieben seien, denen nichts geschehen sei. Was aus seiner Familie geworden ist, weiß der Mann nicht. Es gebe aber die Möglichkeit, den IRK-Mitarbeitern Nachrichten für die Angehörigen zu übergeben.
Kriegsgefangene wurden freigelassen
Am Wochenende wurden bereits die ersten Gefangenen wieder freigelassen, meist Jugendliche und ältere Männer. In Bjelovar wurden 70 Menschen auf freien Fuß gesetzt, weitere 90 in den Lagern in Požega und Varadžin, eine Art vertrauensbildende Maßnahme gegenüber der serbischen Bevölkerung. Zu den Freigelassenen gehört auch Veliko Dzakula, ein aus Knin in der serbisch besetzten kroatischen Krajina stammender Serbe, der sich nach Problemen mit den dortigen Behörden nach Pakrac absetzte und dort als „starker Mann“ unter den Serben galt.
Auch die serbischen Zivilisten, die von der kroatischen Armee mit Bussen aus ihren Dörfern evakuiert wurden, sollen nun nach und nach zurückkehren können – wenn sie wollen. In einem Hotel in der kroatischen Stadt Kutina, etwa sechzig Kilometer südlich von Bjelovar, sind Flüchtlinge aus Okučani und Umgebung untergebracht. In der Lobby sitzen vorwiegend alte Männer und Frauen, hutzelige Mütterchen mit Kopftüchern, Bauern, einfache Menschen. Ein Mann aus einem Dorf bei Okučani berichtet, die jüngeren Bewohner seien vor den kroatischen Soldaten über die einzige in der Region existierende Brücke bei Stara Gradiski nach Bosnien geflohen und später, als die kroatische Armee diesen Fluchtweg schloß, in die umliegenden Wälder. Die kroatischen Soldaten seien höflich gewesen und hätten sie fair behandelt, sagt er.
Seinen Erwartungen hat dies nicht entsprochen. „Es gab eine Panik, weil es die [serbische; d. Red.] Propaganda gab, daß die Ustascha alles tötet, was sich bewegt“, berichtet der Serbe. „Nach den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und den Dingen, die hier in der Region passiert sind, habe ich das geglaubt.“ In der nicht weit von Okučani entfernt gelegenen Ortschaft Jasenovac hatte das mit Nazi-Deutschland kooperierende kroatische Ustascha-Regime ein Konzentrationslager errichtet, in dem rund 80.000 Menschen ermordet worden sein sollen. „Diejenigen, die in die Wälder geflohen sind, wissen nicht, wie wir behandelt wurden“, fügt der Mann hinzu. Für die Zukunft kann er sich durchaus vorstellen, als loyaler Staatsbürger in Kroatien zu leben. „Wir achten nicht so sehr auf die Regierung“, sagt er. „Für unsere Kultur, für uns Bauern ist das alles gleich. Wir müssen arbeiten und unsere Felder bestellen.“
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