Sanssouci: Vorschlag
■ Power wegen der Stromrechnung: Alice Brennen spielen im Eimer und Naklada kommen auch
Sollten sich eines Tages alle Tonträger dieser Erde durch einen unglücklichen Zufall in Luft auflösen und einzig die Gründungsanekdoten und -mythen der Bands erhalten bleiben, ist der Berliner Gruppe Alice Brennen ein Ehrenplatz in der Hall of Fame des Rock'n'Roll gewiß.
Der Legende zufolge trafen sich ihre Mitglieder erstmals am Sterbebett ihrer irischen Großmutter in Ostberlin – wo sie auch auf deren türkischen Lebensgefährten stießen. So musizierten sie in diesen dunklen Stunden zu dritt und ließen sich von den Erzählungen der reiselustigen alten Dame zu neuen Songs inspirieren. Als jene verstarb, hinterließ sie den Dreien ihren Namen und ihr gesamtes Vermögen, das sich bei genauerer Betrachtung jedoch als Grund für die chronische Verdunklung der Wohnung herausstellte: eine unter dem Bett versteckte, außergewöhnlich hohe Stromrechnung.
Um diese begleichen und ihrer Namensgeberin einen beleuchteten Grabstein kaufen zu können, spielten Alice Brennen, die ihre Musik kurz und knapp als „World-Punk“ bezeichnen, fortan auf Hochzeiten, Beerdigungen, Ausstellungen und in Kreuzberger Kneipen. Ihre aktuelle CD „Hamesucken“, die bei Ree Room Records erschienen ist, läßt allerdings vermuten, daß die Wahrheit über die meuternden Musikanten („Burn the Bounty“) noch um einiges gruseliger ist: wahrscheinlich sind sie die zurückgekehrte Besatzung eines unter falscher Flagge versunkenen Seelenverkäufers. Die 13 Songs mischen orientalische Klänge mit schnellem irischen Folk und erzählen auf englisch, türkisch und französisch von Binnenland und Waterkant. Alice Brennen danken dann auch Radio Riad, Nazim Hikmet, Captain Blyth und Rimbaud für Worte und Klänge.
Naklada, die zweite Band dieses Abends, sind gerade von ihrer England-Tournee zurückgekehrt, wo sie vor zwei (!) bis 200 Leuten auftraten. 1993 in Berlin gegründet, begannen sie mit ungewöhnlicher Besetzung. Neben Gitarre, Baß und Schlagzeug verliehen Klavier und Violine ihrem „Underground-Rock“ eine gewisse Schrägheit, die auf ihrem selbstproduzierten Album „The Dwarf Inside“ mit dem Pathos Marc-Almond-verdächtiger Schmachteballaden konkurrierte – was einen Edinburgher Plattenkritiker dazu brachte, sie umstandslos an der Schnittstelle von Pavement und den Scorpions abzuheften. Inzwischen spielen Naklada wieder straighten Rock im Rohzustand, der trotz seiner zwanzigjährigen Verspätung wie frisch gepreßt klingt. Gunnar Lützow
Alice Brennen und Naklada spielen heute, um 22 Uhr, im Eimer, Rosenthaler Straße 68, Mitte
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