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Klassenlose sind eine Klasse für sich

Wegen kubanischer Überlegenheit gewinnt der DABV zehn WM-Medaillen, doch keine strahlenden Protagonisten, darf aber dafür seine Vorboxer bis auf weiteres behalten  ■ Aus Berlin Peter Unfried

Just hatte der Weltergewichtsweltmeister Juan Hernandez (25) behende das oberste Treppchen ersprungen, da nahm auch der imposante Mann vor dem Siegerpodest die Hände aus den Taschen des Maßanzugs und brachte sie gerade noch rechtzeitig an die Hosennaht, ehe die ersten Takte der Hymne erklangen. Mitgesungen hat der Vizepräsident des kubanischen Boxverbandes im Gegensatz zu seinen Siegern nicht, doch einigermaßen zufrieden in die Gegend geschaut. Zu seiner Zeit sei alles noch etwas anders gewesen, hat, sofern man der Übersetzung trauen darf, Teofilo Stevenson (43) gesagt. Dann hat der mutmaßlich berühmteste Amateurboxer aller Zeiten, Olympiasieger in München, Montreal und Moskau, davon gesprochen, daß heute nur noch derjenige der Beste im Ring sein könne, der auch in der Schule seine Leistungen bringe. „Wir hatten hier“, dozierte Stevenson, „studierte Leute.“ Zumindest, was ihr Spezialfach Boxen angeht, muß man sagen: sehr studierte Leute. Zwar marschierten die Kubaner nicht geschlossen davon, doch dort, wo sie es taten, waren sie, wie der fechtende Weltergewichtler Juan Hernandez oder Mittelgewichtler Ariel Hernandez dank körperlichem Optimalzustand auch taktisch in einer bemerkenswerten Klasse für sich.

Freilich haben einige in Berlin gemosert, daß es mit dem Niveau des Amateurboxens nicht mehr allzu weit her sei. Dazu ist zu bemerken, daß aus den USA diesmal wenig bis nichts kam, und daß die durch die veränderte politische Situation eingetretene Streuung, die Spitze zwar erweitert haben mag, wie die Funktionäre gerne zu sagen pflegen, allerdings auch das Spitzenniveau moderiert hat. Leicht sei es für sie nicht gewesen, hat Teofilo Stevenson höflich gesagt. Die Position als bestes Boxland hat man allerdings ohne Probleme behalten.

Gleich dahinter kommt, zumindest, was die Anzahl der Medaillen angeht, der Deutsche Amateur- Box-Verband. Zehnmal Metall in zwölf Gewichtsklassen, das sei, sagt zwar Chefbundestrainer Helmut Ranze, „Bestätigung dafür, daß wir alles richtig gemacht haben.“ Dennoch nagt er Frust an den Funktionären. Nachdem man Mitte der Woche noch vom totalen Triumph der „erfolgreichsten deutschen Sportart im vorolympischen Jahr“ (Präsident Maurath) geträumt hatte, schimmern die acht Bronzenen etwas matt. Woher, fragt stellvertretend der DABV-Pressesprecher Alexander Mazur, der gleichmäßige Leistungsabfall Ende der Woche? Seine Antwort: Die zumeist bei der Bundeswehr angenehm angestellten Sportsoldaten seien „teilweise gesättigt“ und also zu bequem zum Siegen. Nun sind die Boxer ostdeutscher Schulung andererseits stets in der Hauptsache keine Sieger, sondern Bronzeboxer gewesen. Und gewinnt einer wie Andreas Otto (31) eben nur, solang er nicht gegen den Kubaner Hernandez ran muß. „Ich kann noch hundertmal gegen ihn boxen“, sagte der Weltergewichtler nach seiner vierten WM-Medaille, „und werde wahrscheinlich immer verlieren.“ Das klingt weniger nach satter Zufriedenheit als nach bemerkenswertem Realismus. Tatsache ist allerdings, daß man die beiden, die ins Finale kamen, nicht in der klassisch-ostdeutschen Schule hochgepäppelt hat.

Der Fliegengewichtler Zoltan Lunka (24), der gestern (nach Redaktionsschluß) um Gold boxte, kommt aus Rumänien, schlug als einziger Deutscher einen Kubaner und gilt den Funktionären nun als Gegenentwurf: Einer, der selbst in einer Situation noch investiere, „wo andere aufhören“ (Bundestrainer Witte). Auch der Schwergewichtler Luan Krasniqi (24) ist ein Außenseiter. Der im vergangenen Oktober eingebürgerte Mann aus dem Kosovo hat Abitur und arbeitet täglich acht Stunden bei der Bausparkasse Villingen. Zwar sind die boxerischen Künste des Spätberufenen noch eher rudimentär ausgebildet, doch brachte auch ihn, was die Experten als „Fighting spirit“ schätzen, bis ins Finale. Zehn Sekunden dauerte es dort, bis ihn der nunmehrige fünffache kubanische Weltmeister Felix Savon (27) mit einer simplen Linken umschlug, doch kaum war der Kampf wegen eklatanter Überlegenheit des in der Tat furchterregenden Savon abgebrochen, ächzte Krasniqi mit blau schimmerndem linken Auge: „Ich hätte ihn schlagen können.“ Jetzt schnell Profi werden? „Mit Sicherheit nicht vor Atlanta.“ Was letztlich auch eine Frage des Angebots ist. So richtig eignet sich als künftiger Quotenkönig keiner. Was nicht heißt, daß nichts gelaufen sei. Der Hamburger Universum-Chef Klaus-Peter Kohl hat die deutschen Boxer zum Michalczewski-Kampf nächsten Samstag nach Hamburg bestellt und sich mit dem DABV unterhalten über die Möglichkeit, den Verband exklusiv als Farmteam zu halten. Auch ist der DABV sich mit dem DSF nähergekommen, daß mit den erzielten Quoten (bis zu 800.000 ZuschauerInnen) ganz zufrieden zu sein scheint, und ein Herr Ebbi Thust hat seine Visitenkarten verteilt. „Hessen-Box-Team“ nennt der resozialisierte Ex-Erpresser sein Unternehmen, das Mitte Juni starten soll, und als bemerkenswerten Vorkämpfer den von Krasniqi ausgepunchten WM-Ersatzmann Willi Fischer aufzubieten hat. Zu befürchten ist, daß sich selbst bei jener Veranstaltung noch mehr Zuschauer einfinden werden, als just in der Deutschlandhalle. 1.500 wollten die samstäglichen Finals sehen, unter der Woche hießen die trostlosen Zahlen: 196-241-261-338-482. Jetzt fehlen etwa 200.000 Mark im Etat. Schuld an dem allgemeinen Desinteresse, sagen alle, sei der Weltverband AIBA mit seinem erratischen Präsidenten Chowdry, der jegliche Popularisierung der Geschehnisse abbügelt, weil ihn dies bei seiner weitgehend die WM als Betriebsausflug schätzenden Wahlklientel unbeliebt machen würde. „Es muß“, darauf hat Teofilo Stevenson hingewiesen, bevor er die Hände aus den Taschen genommen hat und seiner Wege gegangen ist, „eine Harmonie da sein zwischen Körper und Geist“. Oder wenigstens die Präsenz von Letzterem. Den geistigen Hohlraum monetär zu füllen, das ist nicht neu, ist nun die Aufgabe der SteuerzahlerInnen Berlins.

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