: Frankierter Wahn
Jetzt ist er raus, der „höchst sensationelle Briefwechsel“ zwischen dem Bayernkönig Ludwig I. und der „ausländischen Hur'“ Lola Montez ■ Von Stefan Schomann
Am 7. Oktober 1846 betritt ein „polizeiwidriges Individuum“ die Königliche Residenz in München: Eine spanische Tänzerin, die ohne Papiere, dafür mit einem umfänglichen Skandalregister, im Land der Bayern eintraf. Am Hoftheater will sie in der Posse „Der verwunschene Prinz“ auftreten. Kultur ist Chefsache, Spanisch ein Hobby des Monarchen und Frauen die Freude seines Alters: Lola Montez wird zur Privataudienz bei Ludwig I. vorgelassen. Es ist der Beginn einer ungeheuerlichen Freundschaft.
Mi muy, muy querido Louis. Statt sich in der weihevollen Stille der königlichen Gemächer zu ereignen, geriet sie zur berühmtesten Affaire Europas. Mia muy querida Lolitta. Bayerns Führung wurde dadurch derart traumatisiert, daß „der komplette und höchst sensationelle Briefwechsel“ zwischen Ludwig und Lola auch bei allen späteren Autoritäten unter Verschluß blieb. Mi siempre queridissimo Louis. Als die Historiker vor einigen Jahren endlich Einsicht erhielten, standen sie vor einem weiteren Problem: Die Briefe waren chiffriert. Als Code diente Spanisch, das im damaligen München nur eine Handvoll Leute beherrschten. Wobei die Schreiben Allerhöchstdesselben in spröd- korrektem Stil gehalten sind, die der Señora jedoch in eigenwillig flatterndem Lolekt. Es bedurfte der Unbeirrbarkeit zweier hartgesottener Lolamontisten, Reinhold Rauh und Bruce Seymour, um die 400 Briefe zu übersetzen und aufzubereiten. Queridita. Es ist der frankierte Wahnsinn. Queridita.
So mühsam diese Korrespondenz sich Seite für Seite liest, so inspirierend wirkt sie als Ganzes. Als Lehrstück über Geld, Leidenschaft und Macht, über Political correctness und den Wärmetod einer überstrapazierten Dynastie.
Je länger sich die biedermeierliche Schwüle über Mitteleuropa staute, desto stärker zogen männlicher Ordnungseifer, politische Restauration und katholische Moral ihre Antimaterie an. Aus heiterem weißblauem Himmel erschien eine pechschwarze Terminatorin, eine der ersten und extremsten Femmes fatales. Sie kostete Ludwig den Thron und ein gut Teil seines Vermögens, untergrub das Haus Wittelsbach derart, daß es fortan einsturzgefährdet blieb, und sie machte sich einen ganzen Volksstamm zum Feind, der ja für vieles Verständnis hat, aber.
Schon bei jener ersten Audienz entflammt der König, im sechzigsten Lebensjahre stehend und im zwanzigsten regierend, er verglich sich mit dem Vesuv, „der für erloschen galt, bis er plötzlich ausbrach“. Zwar gab sich Ludwig zeitlebens als womenizer, was selbst Golo Mann zu der Formulierung hinriß: „Der König war des Umgangs mit schönen Frauen weit über Durchschnitt bedürftig.“ Die Intensität dieses Umgangs ist im Einzelfall umstritten, meist war er wohl, wie sagt man, zivilisatorisch überformt. Hofmaler Stieler portraitierte 36 Damen, noch heute ziert seine Schönheitengalerie Schloß Nymphenburg. Auch Lola ward gleich ins Atelier gebeten. Doch bei ihr kam alles anders. Sie war die erste Nymphomanin in Nymphenburg. Ihr Name und ihre Methoden wurden dann von Grillparzer, Wedekind und Nabokov, Sternberg und Ophüls patentiert.
Im Theater kommen Lolas Soli soso lala, doch sie triumphiert als Kurtisane. Der König läßt ihr in der Nähe seines Lebenswerks, der Ludwigstraße, ein Palais hinstellen, wodurch sie überdies die erste Schwabingerin in Schwabing wird, eine Ein-Frau-Schickeria mit reichem Lover und wahllosen Affairen, die sich im Englischen Garten entblößt und ihren Salon mit erlesenen Antiquitäten füllt. Zu ihren Requisiten gehören der Dolch im Strumpfband, die Reitpeitsche, mit der sie Blumen zu köpfen pflegt, und der Doggenmischling „Turk“. In einer Stadt, in der „übereiltes Gehen und Rauchen auf der Straße“ polizeilich verboten sind, rennt sie zigarrenpaffend unter Polizeischutz herum. Prompt wurde nach der von ihr verschärften 48er-Revolution der Gebrauch weicher Drogen legalisiert.
Vater-Tochter-Spielchen
Ein knappes Jahr lang sehen die beiden sich fast täglich, ein Kuraufenthalt Ludwigs bedingt dann den Briefwechsel. Von Anfang an schreiben sie aneinander vorbei, der Pedant und die Chaotin, der König und das Biest. Er spricht von Küssen, sie von Gulden. Er meint Liebe, sie Politik. Er fürchtet Nebenbuhler, sie Intrigen.
Ein „auf beiden Stellen“ getragenes Flanellstück der Geliebten wirkt als Liebespfand; mit gleicher Post flattern ihm gewaltige Spesenrechnungen zu. Vater-Tochter- Spielchen werden mit den Doppelstrategien gütigen Befehlens und folgsamen Ungehorsams ausprobiert; beide waren sie Stiefkinder. Ihn befällt Migräne, sie „Malaria“. Dank ihres erstaunlichen Instinkts, immer das genau Falsche zu tun, produziert Lola Skandale en suite. Ludwig: „Ich habe aus Bad Brückenau erfahren, daß ein Stuhl fehlt. Er soll von Dir mitgenommen worden sein. Wie konnte das geschehen.“ Punkt, nicht etwa Fragezeichen. Schon die Zeichensetzung verrät die Willensschwäche Seiner sonst so unbeugsamen Majestät. Die wenigen Briefe, in denen er später einen Bruch androht, schickt er nicht ab.
Seine Schriftzüge sind genau, beherrscht, von ungelenker Eleganz, die ihren hochfahrend und schmissig. Ohne Punkt und Komma schreibt sie bis hart an den Rand und diszipliniert sich nur dann, wenn sie etwas Größeres von ihm will. Etwa die Erhebung in den Adelsstand, wofür sie das bayerische Indigenat braucht. Die Reibereien um Lolas „Ansässigmachung“ erschüttern das Land und Weinkrämpfe den Innenminister. Ein „Ministerium der Morgenräte“ versammelt das letzte Aufgebot an Amigos, die versehentlich liberale Reformen einleiten. Ein Protestant wird Ministerpräsident (unglaublich!), Luthers Büste zieht in die Walhalla ein (das Ende!), das Kultusministerium wird geschaffen (Halleluja!). Vielleicht wären ja der dogmatische König und die geborene Dekonstruktivistin als Co-Regentin gar kein so schlechtes Gespann gewesen.
Doch Ludwigs Autorität ist längst perdu. Nicht allein weil er, der durch stramme Sparpolitik („Erübrigungen“ im Militär- und Beamtenapparat) die Millionenschulden seiner Vorgänger auf Null brachte, der spartanisch lebt, um seiner Kunstleidenschaft frönen zu können – „lieber statt Ananas Kartoffel kauen, dafür Mosaiken anschaffen“ –, weil also dieser vorsichtige Mensch sein Geld an eine Abenteurerin verschleudert. Oder weil Lola enorme politische Macht gewinnt. Da ist noch etwas: ihr fremdländisches Gepräge. Ja, wanns d'Liesl aus Straubing gwesn wär. Eifersüchtig giften die Bayern gegen „das hergelaufene Mensch“, „die ausländische Hur'“.
MünchnerInnen, BürgerInnen, BayerInnen– der König spinnt! Aufruhr entbrennt. Trotzig läßt Ludwig die Universität schließen. Studentendemos und Happenings („Katzenmusik“) auf Plätzen des irdischen Friedens folgen, die Schweren Reiter rollen an und knüppeln alles nieder. Tausende belagern Lolas Haus, sie antwortet mit „unanständigen Gebärden“. In einem zünftigen Showdown flieht die verfolgte Schuld nach Lindau, kehrt als Mann verkleidet zurück, kompromittiert den König mit Corpsstudenten und muß eilig in die Schweiz verbracht werden.
Sein Enkel, das Königsmärchen Ludwig II., wird eine ähnliche Hatz mit Richard Wagner erleben, dem das zornige Volk den Spitznamen „Lolus“ verpaßte. Lola und Lolus sind einander sogar mal begegnet, 1844 in Dresden, wo sie, nach Eskapaden mit HeinrichLXXII. (sic) im thüringischen Zwergstaat Reuß, ein Stelldichein mit Franz Liszt beging. Freund Wagner vermerkte „ihre unverschämten Augen“.
Stinksauer hockt Ludwig in seiner Residenz, während Bayerns Erregung auf halb Europa übergreift. Revolution! „Fürchterliches“ geschieht. Auf subtile Weise aber decken sich die Forderungen der Aufrührer mit Ludwigs Wünschen: Er will gar nicht länger regieren. Will nur mehr in Ruhe seine steckbrieflich gesuchte Unruhestifterin umarmen. Am 19. März legt er die Krone nieder. Schach matt. Finis Bavariae.
Jedesmal eine Erektion
Die Tragikomik ihrer nun eintretenden Briefwechseljahre liegt darin, daß sie sich beständig verabreden und doch nie wiedersehen. Woran Ludwigs Unentschlossenheit viel Anteil hat. Im immer noch besten Buch über den Hochadel, Gregor von Rezzoris „Idiotenführer durch die deutsche Gesellschaft“, heißt es über diese Spezies: „Selbst ihr Zögern ist von entschiedener Natur.“
Dort lockt das Weib, „ich habe Deinen Brief dreimal gelesen und jedesmal eine Erektion bekommen“. Hier aber hält ihn die Schwerkraft einer fast tausendjährigen Dynastie. Das Trauma der Wittelsbacher, daß trotz gutkatholischen Kindersegens und einer beispiellosen Heiratspolitik in den entscheidenden Momenten kein rechter Mann zur Stelle war. So wenig Ludwig auf die Gefühle seiner Frau Therese – einer Nichte der Preußenkönigin Luise, ihrer Hochzeit verdankt München das Oktoberfest – und seiner Verwandten Rücksicht nimmt, so sehr liegt ihm doch am Familienkartell.
Jeder neue Sproß wird erleichtert begrüßt: „Wir sind jetzt 13 männliche Wittelsbacher.“ Geholfen hat es wenig. Der Wahnsinn, den man bereits ihm, Lolas wegen, attestierte, wurde in den folgenden Generationen manifest herausgemendelt. Sein Sohn Max Zwo hielt die Stellung trotz rasender Kopfschmerzen noch tapfer, dann verselbständigte sich die Fehlfunktion. Enkel Ludwig suchte am Starnberger See das andere Ufer, sein Bruder hauste geisteskrank in einem Schloß mit Gummiwänden. Big Daddy mußte mitansehen, wie seine Nichte Sissi als Kaiserin von Österreich in Depressionen verfiel, und sein zweitgeborener Sohn Otto, seit 1832 durch eine Art UN- Mandat König von Griechenland, glück- und kinderlos blieb. Die Griechen bewahrten aus dieser Zeit die weißblaue Fahne und eine besondere politerotische Tradition. Onassis, Jackie und die Callas, vor allem aber Lustgreis Papandreou und sein Nationalweib Mimi führten Ludwigs und Lolas Erbe fort.
Obwohl sie rasch neue Sponsoren ihrer Verschwendungssucht aufgabelt, braucht Lola ständig Geld. „Ich bin vom Leben und der ganzen Welt angewidert. Wenn Du Deinen Diener mit der Schmuckkassette schicken könntest, würde ich sehr glücklich sein.“ Bei aller Gier versäumt sie, Tyrannin des Augenblicks, es aber, sich die versprochene lebenslange Rente zu sichern.
Er fühlt sich immer unbeweglicher. Nachdem Lola ein englisches Millionärssöhnchen heiratet
Fortsetzung auf Seite 16
Fortsetzung von Seite 15
und Ludwig dämmert, daß er nicht mehr auf dem neuesten Stand träumt, wird sein Stil komplizierter. Als ein früherer Kompagnon Lolas ihn mit angeblich intimen Dokumenten erpressen will, wird ihm die Sprengkraft dieser Briefe bewußt. Gefährliche Liebschaften. Mittels neuer Korrespondenz versucht er inständig, die alte zurückzubekommen.
Da kündigt Lola, gerade 30, ihre Memoiren an! Sie erscheinen in Fortsetzung – und dürften ihn ordentlich überrascht haben. Darin las er zum Beispiel, was er, selbst stotternd und schwerhörig, von Anfang an verdrängte: daß sie keine Spanierin war. Sie kam aus Irland, hieß Eliza Gilbert und ihre Mutter Maria Green, so grün, daß Spaniens Blüten mächtig ins Kraut schossen. Doch statt brutaler Indiskretionen enthält schon die Vorrede eine Huldigung an Se. Majestät. Da waren Profis am Werk, Lolas Ghostwriter. Die Revolution wird als „feile Dirne“ geschmäht, was Ludwig umgekehrt zu der Einsicht geführt haben könnte, daß er in Lola seiner ganz persönlichen Revolution verfiel. Als die Memoiren gerade mal im Jahre 1840 angelangt sind, wird die Reihe eingestellt. Doch immer noch besitzt sie seine Briefe, schreibt ihn gelegentlich um Geld an und läßt erpresserische Töne hören. Sie könnte ihn bis ans Lebensende quälen. Aber sie verblüfft ein letztes Mal. Als Ludwig sich inkognito in Rom aufhält, überreicht ihm ein Bote ein Paket. Es enthält sämtliche Briefe. Lola macht sich auf den Weg nach Amerika. Ende einer ungeheuerlichen Freundschaft.
Nach langem Kopfschütteln bleibt glatt ein Rest von Neid. Politik und Erotik durften sich, wie unvollkommen auch immer, noch berühren. Zwar wurden Echos ludovizianischer Passion in Bayern bis in unsere Zeit registriert – wenn FJS eine Kurschättin eroberte, oder als Theo zu Irene überlief –, insgesamt aber sieht es im Land der Teutschen, von Harald Martenstein als „Mönchsrepublik“ durchschaut, mit der Erotik der Entscheidungsträger fad bis finster aus. Selbst Willy Brandt zog, als Sissi-Heldin Romy Schneider ihn in chiffrierten Briefen umwarb, eine unbeirrte Karriere vor. Ludwig wollte, einmal wenigstens, bedingungslos lieben. Dazu schreibt ihm Lola: „Ich bin froh, daß Du den Don Quichotte liest.“
Reinhold Rauh/Bruce Seymour (Hg.): „Ludwig I. & Lola Montez. Der Briefwechsel“. Prestel Verlag 1995, 392 Seiten, 48 Mark
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