piwik no script img

Eine Frau wie ein Chor

■ Peggy Lukac spielt „Das Epos vom Scheich Bedreddin“ von Nazim Hikmet in Potsdam, begleitet von Fahrradfelgen-Musik

Im Kerker läßt sich gut vom Aufstand träumen. Nazim Hikmet hat fast 17 Jahre in Haft verbracht. Anfang der dreißiger Jahre schrieb der kommunistische türkische Dichter sein „Epos vom Scheich Bedreddin“, die passionierte und doch seltsam gelassene Schilderung eines gescheiterten Aufstands. Vom „schwitzenden Zementfußboden“ des Gefängnisses geht die Gedankenreise zurück ins 15. Jahrhundert, in die Zeit des Eroberers Sultan Mehmet I., gegen den ein Heer von Unterdrückten kämpft.

An ihrer Spitze stehen ein Kämpfer und ein Denker: der islamische Mystiker Scheich Bedreddin und sein tatendurstiger Freund Mustafa Börklüce. In der heiteren Ruhe des besiegten Bedreddin schimmert ein wenig Hoffnung auf Vernunft und Frieden. Doch niemand steht den „Irrgläubigen“ bei, als sie hingerichtet werden: „Und in der Luft die verfluchte Trauer des Nichtsprechens, Nichtsehens.“ – Die Kulturen der Welt haben ihr Haus in Berlin, aber außerhalb der Austernschalen liegt Abendland. Kaum ein Regisseur interessiert sich für Texte von nichteuropäischen Autoren. Klaus Hemmerle und die Theatergruppe „Tiefenenttrümmerung“ haben jedoch Nazim Hikmets verschüttetes Epos (eine im heutigen Europa irritierend fremdartige literarische Form) ausgegraben und in einen verzauberten Raum zwischen Vertrautheit und Fremde gestellt.

Peggy Lukac, die schon vor fünfzehn Jahren Hikmets „Menschenlandschaften“ fürs Theater entdeckte, wirkt im weißen, faltigen Gewand, mit ihrem weißen, weisen Gesicht wie ein antiker Chor. Eine leichte Bewegung, eine kaum merkliche Anspannung der Miene, und sie verjüngt und wandelt sich zum orientalischen Krieger. Die trotz aller epischen Breite sehr straffe Struktur des Textes ist exakt choreographiert: Am Anfang kauern Lukac und die beiden Musiker in einem toten, grauen Gefängnislicht und erwachen langsam mit der Phantasie des Erzählers zum Leben. Angriff und Niederlage spiegelt der Auf- und Abstieg an einem dreistufigen Podest.

Unverwechselbar aber wird der Abend erst durch die Programm- musik von Ray Kaczynski und Georgios Psirakis. Alle Grenzen mißachtend, spielen sie auf afrikanischen und vorderasiatischen Trommeln, indischen Glocken, chinesischen Gongs, der persischen Ney-Flöte und einer europäischen Fahrradfelge, imitieren Meeresrauschen, Hufschläge und das Geräusch plätschernder Ruder im See. Diese Welt-Musik bleibt ganz nah am Text und nimmt sich doch jede Freiheit der Welt. Miriam Hoffmeyer

Bis 28. 5., Sa./So., 20.30 Uhr, Theater in der Kunstfabrik, Hermann- Elflein-Straße 10, Potsdam, Tel. 0331/2800489

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen