: Virtuose Dilettanten
■ Die Berliner Band Britannia Theatre hat, regiert vom Zufall, ihre erste Platte fertiggestellt und einen Film gedreht
Meine überraschte Begeisterung für eine kleine Demo-Kassette hat mich nach Pankow geführt. Hier stehe ich nun in einer Seitenstraße, die direkt von der Hochbahn abgeht, und auf dem Haus gegenüber prangt in roten Lettern „Redskins – Berlin“. Wo sind die eigentlich geblieben? Im Hausflur wehrt sich Biergestank tapfer gegen die frisch eingetroffene Frühlingsluft. In einer Einzimmerhinterhausbude, wo der S-Bahn-Heizkörper in der Mitte des schmuddeligen Teppichs noch vom erst kürzlich verabschiedeten Winter kündet, serviert Sunny Krohn nachmittägliches Bitter Lemon.
Sunny Krohn ist Sänger und Songschreiber von Britannia Theatre, und deren erstes Demo war im letzten Jahr schlicht „das Beste, was ich seit langer Zeit gehört“ hatte, wie ich damals schrieb. Diese Einschätzung hat sich bis heute allerdings nicht gerade auf breiter Linie durchgesetzt.
Zwar hatten BT einige kleine Erfolge, spielten als sogenannte „Newcomer“ beim „Metrobeat“, der musikalischen Leistungsschau des Berliner Senats, aber gerade im Moment sitzt Krohn auf seinem Bett, unter dem noch 400 Exemplare einer Live-EP lagern, die sie von einem Auftritt in Dänemark in einer 500er „limited edition“ haben pressen lassen. Immerhin: Meine Meinung hat sich nicht geändert, noch immer freue ich mich an dem virtuosen Dilettieren, das traurigste Depressiv- und fröhlichste Humtata-Sequenzen – oft mehrmals wechselnd in ein Stück gepackt – mit ironischen Kanten versieht.
Bassist Dadarski ist allerdings nicht meiner Meinung, „daß es als Dilettantismus rüberkommt“. Zum Programm gehöre es eben, daß live die Instrumente gewechselt werden und „Posaune dann halt Saxophon spielt“. Mich selbst hat letzten Sommer ihre Musik vor allem in den langsamen Passagen an Gallon Drunk erinnert, die schnelleren, als wären die Pogues trockengelegt worden. Ihr Infoblatt-Schreiber, ein Freund der Band, hört außerdem noch die Tindersticks, Nick Cave, Tom Waits und Deus heraus.
Wenn Krohn trotzdem die Eigenartigkeit seiner Band betont, nickt Dadarski, und dann zählen sie gemeinsam all die Zufälle auf, die von der Entstehung der Band bis zur Debüt-CD „two trilogies“ und zu dem 16-mm-Film „Red Traffic Lights“ geführt haben, deren Fertigstellung heute auf einer Record-Release-Party gefeiert werden soll. Denn Zufälle waren es, die diese Band geformt haben. Nicht etwa ein Masterplan, wie man vermuten könnte, wenn man hört, wie „durchkonstruiert“ die Songs sind, „mit fünf Rhythmuswechseln, Temposchwankungen und all so was“.
Schon die Instrumentierung mit Akkordeon, Cello, Mundharmonika, Posaune, Glockenspiel, Trompete und Flöte neben den herkömmlichen Instrumenten Gitarre, Baß und Schlagzeug ergab sich so, weil man halt jemanden kannte, der das gerade spielte. Zufall war auch, daß sie in Anzügen gekleidet und in Haargel getaucht auftreten, denn ihr erstes Konzert fand im Rahmen einer 20er-Jahre- Party statt. Seitdem sind sie dabei geblieben, es läßt sie „gemeinschaftlich fühlen“ und außerdem passe es besser zur Musik: „Die kannste nicht im T-Shirt spielen.“
Um den Vertreter einer Konzertagentur zu beeindrucken, wurde der dreiköpfige „Männerchor vom Studio 36“ engagiert, der seitdem als ständiger Gast mattes Summen und stoisches Starren durch Sonnenbrillen beiträgt. Der Zufall bescherte ihnen auch Mr.X, der, mit einer Maske bekleidet, „in der Regel vorn auf der Bühne sitzt. Manchmal tanzt er auch ein bißchen.“ Den Vergleich mit den Leningrad Cowboys, der so gern daherkommt, weisen sie denn auch schroff zurück: „Mit denen haben wir überhaupt nichts am Hut, das ist eine reine Fun-Geschichte.“
Auch mein Eindruck, daß sie bei ihrem Metrobeat-Auftritt eine fast ausgelassene, suffselige Stimmung verbreitet hätten, läßt sie nur die Stirn runzeln. Krohn will sich und seine Band „überhaupt nicht komisch“ verstanden wissen. Irgendwo haben wir hier ein großes Mißverständnis. Ein Mißverständnis, das Krohn als „Zwischen-den- Stühlen-Sitzen“ bezeichnet, eine Eigenschaft, die alle Mitglieder der Band schon seit ihrer Jugendzeit mit sich herumschleppen. Wahrscheinlich ist es das Lachen auf Beerdigungen, das in anderen Kulturkreisen als durchaus legitimes Mittel durchgeht, Trauer zu verarbeiten, das Britannia Theatre für sich entdeckt haben. „Klar sind wir völlig ironisch, aber auch sehr traurig“, sagt Krohn und erzählt von der Zerrissenheit jedes einzelnen der sechs Bandmitglieder, von der er glaubt, daß sie der Grund für die Zerrissenheit der Musik sein könne.
Sei es nicht auch so, daß gerade introvertierte Menschen sich oft durch Musik auszudrücken pflegen?
„Die Band als Therapie war ein langer Prozeß“ für Krohn, und er ist sicherlich noch nicht abgeschlossen, aber „mittlerweile ist die Band für mich wie eine zweite Familie“. Auch das kann er nicht sagen, ohne zu lachen. Thomas Winkler
Record-Release-Party, Film-Premiere („Red Traffic Lights“), special guest: Once Upon A Time, am 20. 5. um 22 Uhr im Tränenpalast, Reichstagsufer 117, Mitte
Britannia Theatre: „two trilogies“, CD, Selbstvertrieb über Volker Buhrmeister, Hannoversche Straße 1, 10115 Berlin, Telefon: 2813938, Fax: 28431971
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