: Wir müssen die Großprojekte stoppen
■ Sibyll Klotz, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, über Bedingungen und Aussichten einer rot-grünen Koalition in Berlin / Finanzielle Einsparungen sind vermittelbar, wenn sie oben anfangen...
taz: Wer ist als Spitzenkandidatin gewählt worden: das ehemalige SED-Mitglied, die Frauenpolitikerin oder die Arbeitsmarktspezialistin?
Sibyll Klotz: Die Frau, zu der alle diese Bestandteile gehören. Es ist absurd, zu glauben, ich wäre als ehemaliges SED-Mitglied gewählt worden, um einen bestimmten Teil der Ostberliner zu binden. Schließlich wurde man bei Bündnis 90/Die Grünen mit einer SED-Vergangenheit nicht mit offenen Armen empfangen.
Ihre Wahl ist doch aber ein Signal, daß die Bündnisgrünen nicht nur eine West-Partei sein wollen.
Absolut. Weder die SPD noch die CDU oder FDP würden es sich trauen, eine Ostberlinerin als Spitzenkandidatin zu nominieren. Die Wahl ist auch gut, weil es mit dem Klischee aufräumt, daß Bündnis 90/Die Grünen im Osten ausschließlich aus Leuten bestehen, die aus der kirchlichen DDR-Opposition kommen. Es gibt noch mehr Menschen mit einer solchen Biographie wie meiner.
Was trennt Sie von der PDS?
Was mich am meisten frustriert an der PDS ist die Kluft zwischen den paar Reformern und Erneuerern, mit denen ich mich auch weitgehend politisch identifizieren kann, und einer fast reaktionären Basis. Da wird Toleranz verkündet, aber der größte Teil der Mitgliedschaft vertritt einen kleinbürgerlichen Konservatismus. Wir wollen an jene jungen Wähler herankommen, die für eine Veränderung der Gesellschaft sind.
Was kann Ihre Partei dieser Zielgruppe anbieten?
Wir wollen eine Reformpolitik für diese Stadt, wir wollen Arbeitsplätze schaffen und erhalten und dabei nicht auf alte Technologien setzen. Dabei setzen wir auf eine ökologische Investitionsoffensive, die Arbeitsplätze schafft, und auf den Ausbau des zweiten Arbeitsmarktes, der gerade im Osten eine große Rolle spielt.
Bei der Bundestagswahl 1994 haben Bündnis 90/Die Grünen in Ostberlin miserable Ergebnisse eingefahren. Kann eine Ost-Spitzenkandidatin erreichen, daß junge Menschen, die begeistert PDS gewählt haben, jetzt den Grünen ihre Stimme geben?
Das wäre natürlich eine Illusion. Meine Wahl kann nicht mehr sein als ein Signal, um Leute zum Engagement zu motivieren. Sie kann kein Ausgleich sein für unsere fehlenden Mitglieder im Osten. Man darf ein solches Signal aber auch nicht unterschätzen.
Muß auch eine Partei wie Bündnis 90/Die Grünen spezifische Angebote für Ostberlin machen?
Nein. Es stört mich, daß die Ost- West-Gräben durch Klischees und Vorurteile gepflegt werden. Langfristig kann das keine politische Perspektive sein, weder für die PDS noch für die Grünen als West- Partei. Es reicht nicht zu sagen, ich bin aus dem Osten, dann eine Jammernummer abzuziehen und sich gegenüber dem Westen abzugrenzen.
Die Berliner Kassen sind leer. Gibt es für eine Reformpolitik überhaupt Spielraum?
Grün gibt es nicht zum Nulltarif. Das Riesendefizit ist natürlich ein Problem, aber die Alternative ist doch nicht, alles so weiterzumachen wie bisher. Daß wir nicht wie Dagobert viel Geld zu verteilen haben, das wissen alle. Finanzielle Spielräume gibt es schon – das ist eine Frage unserer Prioritäten.
Ich empfinde es manchmal als ein Problem, daß unsere Fraktion für die einzelnen Bereiche zwar ausgezeichnete und hochkompetente Fachleute hat, wir aber Gefahr laufen, zur besseren Verwaltung zu werden. Es ist ziemlich schwierig, die Gratwanderung zu schaffen – einerseits Fachkompetenz bis ins Detail zu haben, andererseits die großen Alternativen für die Stadt auszupacken.
Was wären drei Sofortmaßnahmen, wenn sich die Bündnisgrünen am Senat beteiligen würden?
Wir müssen die Großprojekte stoppen, bei denen das im Herbst noch möglich ist. Dazu gehört der Tiergartentunnel und der Bau der U-Bahn-Linie U5 vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof.
Den Wind des Wechsels zu entfachen, dazu braucht es mehr als Bürokraten.
Ich habe nicht gesagt, daß wir alle Bürokraten sind.
Wie schafft man bis Oktober Lust auf den Wechsel?
Wir haben ein Wahlprogramm...
...das keiner liest.
Richtig. Wir brauchen für die wichtigsten Felder ein Sofortprogramm, das die komplexen Probleme darlegt und zugleich konkrete Politikangebote macht.
Was sind die zentralen Themen, die eine Vorstellung von einer veränderten Stadt geben?
Die Verkehrspolitik gehört dazu. Weg vom privaten Autoverkehr, hin zum Ausbau der BVG.
Das gesamte Zentrum wird eine Parkraumzone?
Die Parkraumbewirtschaftung ist ein Teil des Konzepts. Einerseits halten wir die Hand auf, um Geld einzunehmen. Andererseits stecken wir dieses Geld wieder in den öffentlichen Nahverkehr.
Zu den anderen wichtigen Themen gehört die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Die jetzige Senatskoalition hat eine wirkliche Verknüpfung dieser beiden Felder nicht geschafft. Der Abzug der Lufthansa aus Schönefeld ist ein klassisches Beispiel. Da werden Arbeitsplätze versprochen und dafür Fördergelder in Millionenhöhe gezahlt, und irgendwann sagt Lufthansa, wir gehen jetzt nach Irland. Dagegen muß man Mechanismen entwickeln, die Fördermittel an Verpflichtungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen knüpft. Geld darf nicht zum Nulltarif fließen.
Der Strukturwandel beutelt Westberlin, die Arbeitslosenzahlen steigen weiter. Wie bekommt man neue Industrien hierher?
Investoren sind in Berlin doch schon bedient, wenn sie mitkriegen, daß hier zwischen bestimmten Ebenen keine Koordination stattfindet – zwischen der Wirtschafts- und der Arbeitsmarktpolitik beispielsweise. Bei der Wirtschaftsförderung gab es bislang nur eine einzige Person, die für den Arbeitsmarktaspekt zuständig war.
Wenn Investoren dann in die Bezirke kommen und man ihnen dort etwas völlig anderes erzählt als vorher und auf einmal andere Rahmenbedingungen existieren, dann sind sie zum zweiten Mal bedient. Wenn ihnen dann nicht klar gesagt werden kann, wie die Förderkonditionen sind, wenn ihnen keiner durch die in Ostdeutschland existierenden 500 Förderprogramme helfen kann und niemand weiß, welche Schritte zu tun sind, dann sind die Unternehmer zum dritten Mal sauer. Und wenn sie dann noch fragen, was aus dem Raum Berlin-Brandenburg wird, und sie bekommen seit vier Jahren nur gesagt, das soll eine Dienstleistungsmetropole werden, dann reicht ihnen das auch nicht aus.
Das hört sich an wie bei der FDP.
Nein. Die FDP möchte am liebsten Gelder ganz ohne Auflagen verteilen, und sie will alles privatisieren, was nicht niet- und nagelfest ist. Wir sind gegen eine Förderung zum Nulltarif, wir wollen damit Strukturpolitik machen. Wir möchten nicht für die Ansiedlung von alten Technologien zahlen, sondern Berlin ein Profil verpassen – als Stadt, in der auf ökologische und umweltfreundliche Technologien Wert gelegt wird.
Es ist Unsinn, zu sagen, es kommt keiner, wenn wir beispielsweise Wirtschafts- und Frauenpolitik verknüpfen. Es kommt nur darauf an, wie man das tut. Man darf natürlich nicht sagen, du Unternehmen, wenn du nicht sofort soundsoviel Frauenarbeitsplätze schaffst, dann kannst du gleich wieder gehen. Wenn deutlich gemacht wird, daß sich Berlin ein Zukunftsprofil zulegt, in dem Ökologie und die Einbindung der hochqualifizierten Frauen in Ost und West eine Rolle spielen, dann packen die Unternehmen auch nicht gleich wieder ihre Koffer.
Ist das der neue grüne Pragmatismus?
Natürlich gab es früher Grüne, die gesagt haben, Wirtschaftsförderung ist für uns das allerletzte, damit unterstützen wir doch nur das Kapital. Da hat ein Wandel stattgefunden – aber nicht hin zu einer Partei, die sagt, liebe Unternehmen, wir geben euch Geld, egal, was ihr tut. Politik, die nur an den guten Willen der Unternehmer appelliert, gibt es bei uns nicht.
Wie begegnet man den Ängsten der Mieter? Ohne Hilfe vom Bund kann Berlin wenig tun.
Das ist in der Arbeitsmarktpolitik auch so. Das ist oft die Crux von Landespolitik. Es gibt natürlich trotzdem immer Möglichkeiten, an zentraler Stelle Einfluß zu nehmen. Dies hat die SPD oft genug nicht getan. Das gilt beispielsweise bei der untertariflichen Bezahlung von AB-Maßnahmen. Das gilt auch beim Wohnen. Es ist unverständlich, warum keine Regelungen getroffen werden, damit Mieter die vielen leerstehenden Wohnungen nutzen oder Altbauwohnungen mit eigener Arbeitsleistung und eigenem Geld modernisieren können. Die Bereitschaft bei den Mietern ist da. Natürlich muß man das mit einer Bestandsschutzgarantie für die Mieter versehen. Wir schlagen vor, die Steuervergünstigungen für leerstehende Büropaläste für den Wohnungsbau nutzbar zu machen.
Wo gibt es Probleme mit der SPD?
Der Tiergarten-Tunnel ist ein zentrales Problem, nicht nur wegen der Kosten, die er verursacht. Wir sind – anders als die SPD, die auf Sperenberg setzt – für den maßvollen Ausbau von Schönefeld und die baldige Schließung von Tegel und Tempelhof. Da muß man im Herbst schauen, wie das zu stoppen ist, wie groß da die Handlungsspielräume noch sind.
Niemand will Rot-Grün um jeden Preis. Die Koalitionsvereinbarungen müssen so konkret und vollstreckbar wie nur irgend möglich formuliert werden. Es ist reine Spekulation, wie der Preis aussieht, den wir am Ende an einer Stelle bereit sind zu zahlen, um dann an anderer Stelle wieder mehr Spielräume zu haben. Allein vom Wahlergebnis wird abhängen, unter welchen Konditionen Rot- Grün zu machen ist.
Wie wollen die Bündnisgrünen Berlin für die Länderfusion fit machen, insbesondere, was den vereinbarten Abbau von 60.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst angeht?
In weiten Teilen Berlins und Brandenburgs ist wohl noch nicht angekommen, was diese Fusion an Veränderung mit sich bringt, welche Chancen und Gefahren damit verbunden sind. Wir haben jetzt die Anfänge der Berliner Verwaltungsreform, die mit dem Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst verbunden sind. Dann sollen noch einmal 60.000 Stellen abgebaut werden. Alle Verwaltungsinsider sagen, daß das Utopie ist. Außerdem ist der Arbeitsplatzabbau, wie er momentan im öffentlichen Dienst betrieben wird, zum großen Teil ein Etikettenschwindel. Da werden ganze Bereiche ausgelagert und privatisiert, ohne daß die Stadt dabei eine Mark spart.
Der Abbau steht nun aber einmal im Fusionsvertrag.
Richtig. Das ist natürlich auch eine Chance, eine effektive und bürgernahe Verwaltung für Berlin-Brandenburg aufzubauen. So wie die Verwaltung jetzt agiert, ist es eine Vergeudung von Innovationsfähigkeit, die sich Berlin nicht mehr leisten kann – ohne diese Angestellten als bürokratisch, faul oder dumm hinzustellen.
In Hessen haben sich die Grünen als Sparkommissare profiliert. Das steht doch im armen Berlin noch viel mehr an. Wie spart man ein, und wie macht man das sozialverträglich?
Indem man oben, bei den Hauptverwaltungen und den Luxusprojekten dieser Stadt, beginnt. Aber es gibt kein Patentrezept dafür. Gegenwärtig schafft der Senat einfach Tatsachen, ohne überhaupt betriebswirtschaftliche Rechnungen aufzumachen. Da wird nichts eingespart. Ich möchte aber auch nicht behaupten, die Grünen seien die größten, sparsamsten und besten Finanzpolitiker, die es auf dieser Erde gibt – schließlich haben auch die Grünen ihre Klientel, und sie versuchen auch, diese zu bedienen.
Muß man dieser Klientel sagen, bestimmte Dinge sind nicht realistisch, weil nicht finanzierbar?
Die grüne Klientel in Projekten in Ost und West ist ja nicht die, die das Geld in Säcken wegschleppt und mit BAT 1a toll lebt. Denen, die seit Jahren sowieso von den Sparmaßnehmen betroffen sind, werden wir den Hahn nicht weiter abdrehen. Aber wir müssen ein Bewußtsein dafür schaffen, daß wir nicht über unsere Berliner Verhältnisse leben können.
Das hört sich nach „Gürtel enger schnallen“ an.
Die Nummer, wir sitzen alle in einem Boot, meine ich nicht. Es gibt zwei Möglichkeiten des Sparens. Das in den letzten Jahren praktizierte Rasenmäherprinzip, das ungerecht ist gegenüber den ärmeren Menschen, kann es nicht sein. Wir müssen sehen, wo Einsparungen sozial zumutbar sind. Wir müssen Prioritäten setzen. Ich glaube, das kann man den Menschen auch vermitteln. Interview: Severin Weiland und Gerd Nowakowski
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