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„Wer überlebt, fühlt sich schuldig“

■ Arno Lustiger sammelte Beweise: Es gab auch jüdischen Widerstand gegen die Nazis.

Vier Jahrzehnte lang suchte Arno Lustiger nach Spuren jüdischen Widerstandes gegen die Nazis – und fand unzählige Hinweise auf Sabotage, Befreiung und Kampf. Die Dokumente, die aus Verstecken unter KZ-Terrain geborgen wurden oder verschlüsselt in europäischen Archiven liegen, die Tagebücher und Zeugnisse Überlebender, wurden das Gerüst seines Buches „Zum Kampf auf Leben und Tod!“ – einer Dokumentation, die die vielfältigen Formen von verzweifeltem jüdischem Widerstand belegt. Es ist das erste Werk in deutscher Sprache und für ein breites Publikum geschrieben – und es räumt auf mit der Mär vom passiven jüdischen Opfer. Am vergangenen Mittwoch las Arno Lustiger, Frankfurter Jude und Überlebender der Konzentrationslager, auf Einladung der „Bremer Freunde Israels“ in der Israelitischen Gemeinde. Die taz befragte ihn zu seiner Arbeit und zu seinen Gefühlen dabei. Denn mit Bitterkeit behauptet der betagte Forscher, daß er die Arbeit erledige, die doch eigentlich deutschen Historikern gut zu Gesicht stünde.

Als Arno Lustiger, ein Überlebender von Buchenwald und Auschwitz, zum Historiker und Chronisten wurde – wie war das: die langen Jahre Arbeit und die ständige persönliche Auseinandersetzung?

In den KZs, in denen ich inhaftiert war, kam ich mit vielen Widerstandskämpfern zusammen. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und habe sie ausgefragt. Nach dem Kriege war ich in einem Lager für sogenannte „Displaced Persons“, da gab es eine kompakte Gruppe ehemaliger jüdischer Partisanen aus Osteuropa. Die habe ich auch ausgefragt. Dann sammelte ich sehr früh Publikationen, die schon ab 1945 erschienen und in manchen Bibliographien überhaupt nicht auftauchen. Sie sind in meinem Besitz: „Die Geschichte der jüdischen Partisanen in Osteuropa“, herausgekommen 1945, oder „Das Schwarzbuch der polnischen Juden“ von 1943. Über das eigene Erleben schwieg ich. Ich wußte, daß diese Geschichte niemanden interessiert. Jeder war froh, wenn man darüber nicht sprach. Und da ich von Natur aus eher introvertiert bin, behielt ich das alles schön für mich. Als meine zwei Töchter noch klein waren und nach meiner Auschwitz-Nummer fragten, da habe ich ihnen gesagt, das wäre meine Telefonnummer.

Der franco-jüdische Widerstandskämpfer Lazare Rachline sagte: „Die Toten sind die Helden. Wir anderen tun nur unsere Pflicht.“ Wenn Sie ihn zitieren, hat man den Eindruck, daß dieses Pflichtbewußtsein Sie heute noch trägt?

Ja. Man sollte nicht hinunter ins Grab steigen, ohne das Gegenteil der Verleumdungen zu beweisen, die sagen, daß die Juden sich nicht gewehrt haben und Mitschuld tragen an ihrer Ermordung. Das sind beleidigende Behauptungen.

Wie geht es jemandem, der 40 Jahre in Deutschland schwieg und diese Beleidigung und Kränkung immer wieder erfuhr?

Ich kriege Zorn. Ich sage immer: Jedesmal, wenn ich Zorn kriege, schreibe ich ein Buch. Denn über meine Fragen kann man nicht im Tagesgespräch nebenbei sprechen.

Gab es Momente, wo Ihnen alles zuviel wurde und Sie den Stift aus der Hand legen wollten?

Ja. Das war oft der Fall. Ich hatte große Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung meines ersten Buches, „Schalom Libertad“. Der vorgesehene Lektor lud mich zu sich und sieben weiteren Personen vor, und dann wurde ich quasi kreuzverhört, um meine Kenntnisse zu prüfen. Sie hatten aber Null Kenntnisse, ich habe sie wohl zum ersten Mal unterrichtet. Es hieß, das Buch solle geschrieben werden. Aber ein ganzes Jahr wurde ich mit Versprechen hingehalten, dann kam die Absage.

Das eine ist die Auseinandersetzung mit Leuten, die Ihnen dumm kommen. Das andere betrifft doch Ihre Begegnungen mit den Dokumenten und Zeugen. Überkam Sie da manchmal das Gefühl, das halte ich nicht länger aus?

In diesen Dokumenten ist so viel Schmerz. Manchmal saß ich in Warschau im Jüdischen Historischen Institut und habe geweint – trotzdem ich selbst viel mitgemacht habe. Da stand in Tinte soviel Leid, aber auch soviel Kampf.

Welche Bilanz ziehen Sie aus Ihrer Forschung?

Daß es Menschen zu jeder Zeit – selbst in aussichtslosen Lagen – gibt, die alles tun, um ihre Würde und Selbstachtung zu behalten. Und daß dabei der Preis des eigenen Lebens oft keine Rolle spielt. Denn viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe oder von denen ich hörte, hätten untertauchen können. Die gesamte Führung des Aufstandes im Warschauer Ghetto hätte sich ja retten können. Aber sie haben den Kampf angetreten.

Die ganzen Jahre geht mir folgendes durch den Kopf: Ich trage ein Schuldgefühl, weil ich überlebt habe, und ich habe mich die ganzen Jahrzehnte gestraft, indem ich mich damit beschäftigt habe, anstatt das Leben zu genießen – aber das ging nicht. Sehen Sie, ich stamme aus einer Industriestadt in Polen, die Mehrheit davon Juden. Wir hatten ein Jüdisches Gymnasium: koedukativ, zwei Parallelklassen, 70 Schülerinnen und Schüler, einer schöner und intelligenter als der andere. Wir sind mit vier Leuten am Leben geblieben. Das kann man einfach nicht so wegstecken. Ich habe mir eingeredet, wenn ich das Buch hier mache, wenn das raus ist, bin ich fertig. Aber wir werden sehen.

In Ihrem Buch finden die Frauen einen Platz..

...gemäß ihrem Anteil, ohne Übertreibung. Die Frauen haben phantastische Arbeit geleistet. Ohne sie hätte der jüdische Widerstand nicht stattfinden können, sie waren Kuriere, haben Waffen gekauft, transportiert, Verbindungen hergestellt. Sie waren sehr tapfer. Das ist die Wahrheit. Sie waren auch besser geeignet, denn man konnte ihre jüdische Identität nicht entdecken. Der Mann fiel durch die Beschneidung sofort auf.

Welche Konfrontationen gab es in Deutschland?

Keine. Schweigen. In meinem Buch habe ich aufgezeigt, wie es der Widerstandsgruppe um Herbert Baum ging: Die ersten Berichte über sie erschienen in jiddisch, französisch und englisch; dafür mußte ein Helmut Eschwege aus Dresden nach London reisen. Vor Jahren versuchten Studenten der Technischen Universität in Berlin, die Aula der Universität nach Herbert Baum zu benennen, erfolglos. So blieb es den Kommunisten alleine vorbehalten, das Gedenken der Gruppe hochzuhalten. Selbst über die Bestattung von Baums sterblichen Überresten wurde gestritten, bevor er auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wurde.

Das war in der DDR. Wie war es für die Widerstandskämpfer, die in Westdeutschland lebten?

Schwierig, wenn sie Kommunisten waren. Mein Freund Valentin Senger, der in Frankfurt geboren ist, erhielt jahrzehntelang nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, weil seine Eltern keine Deutschen waren. Erst, als sein Buch „Kaiserhofstraße 12“ erschien, riet man ihm, den Antrag nochmals einzureichen. Er sagte: –Holen Sie den alten Antrag raus. Wenn Sie das wollen, können Sie den umschreiben.' So war das. Aber die alten Nazis, selbst die Mörder, wurden amnestiert. Das ist die Wirklichkeit. Das ist symptomatisch nur für Deutschland.

Aber auch in den Jüdischen Gemeinden wurden die Kämpfer nicht anerkannt. Man warf ihnen vor, Kommunist zu sein. Kürzlich habe ich gehört, daß ein führendes Mitglied unserer Jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gesagt hat, daß es keinen jüdischen Widerstand gab. Manche Menschen denken, was sie nicht kennen, das gibt es nicht.

Sie sprechen von Schuldgefühl auf Ihrer Seite. Und für die Seite der deutschen Täter von Erleichterung: Wenn die Juden Mitschuld haben, wie der Historiker Raoul Hilberg es darstellt, dann trügen die Täter weniger Schuld...

Ja, das ist doch ein automatischer Prozeß, ähnlich wie bei den Frauen und den Vergewaltigungsprozessen: Sie war leicht bekleidet, also hat sie Mitschuld. Da liegen doch Parallelen Fragen: Eva Rhode

Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933 – 1945, und: Schalom Libertad. Juden im spanischen Bürgerkrieg.

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