■ Normalzeit: In kariöser Paradenthese
Über Zähne habe ich nie groß nachgedacht, allzulange davon ausgehend, die funktionieren genau so, wie meine Oma immer geunkt hat: „Den Zahn mußt du dir ziehen, und den sowieso“ und so weiter. Schließlich runderneuerte ein linker Zahnarzt mir das Gebiß für 2.000 Mark, von denen er mir später auch noch einen Teil erließ.
Dennoch bin ich nun zu einem Zahncreme-Experten geworden: 1. weil ich eine neue disziplinierte Zahnärztin habe: Geli, und 2. weil mich eine Zeitung in die Nähe Ungarns, zur AA-Kommune, schickte. Auf dem Otto Muehlschen Friedrichshof gefiel mir neben den Video-Spielfilmen der Kinder vor allem das Kosmetik- Labor, das ein Chemiker, Alex, leitete.
Er hatte unter anderem alle Marken-Zahnpasten analysiert und will dabei entdeckt haben, daß Elmex von Wybert am besten wirkt (nicht die Zweittube Aronal, die nur der Umsatzsteigerung diene). Der scheußlichen WG- Zahncreme Ajona und dem grobkörnigen Öko-Nachfolger Weleda überdrüssig, ließ ich mich von Alex überzeugen.
Bei der nächtlichen Rückfahrt hatte ich dort im Burgenland plötzlich das Gefühl, vom Weg abgekommen und in Ungarn gelandet zu sein: Andauernd passierte ich merkwürdige Pußta- Weinlokale mit magyarisch aussehenden Wirten davor, die lächelnd ihre weißen Zähne bleckten.
Kürzlich erfuhr ich: a) die AA- Kommune sei aufgelöst, Otto Muehl im Gefängnis und b) in Ungarn tobe ein „Zahncremekrieg“ – zwischen den Antikaries- Wirkstoffen Natriumflorid (Blendax), Natriummonofluorphosphat (Dentagard, Signal), und Aminfluorid (Elmex), d.h. zwischen den Konzernen Procter & Gamble (NaF), Colgate-Palmolive (NaMFP) und Wybert (AmF).
Dabei gehe es letztlich um die Number one auf diesem 5-Milliarden-Dollar-Weltmarkt, und das Budapester Kartellgericht habe die Konzerne P&G und CP gerade wegen „Konsumententäuschung“ (mit pseudowissenschaftlichen Zahnarzt-Kongressen) zur Zahlung von 20 beziehungsweise 30 Millionen Korint verdonnert.
Da dachte ich sofort: Das kann kein Zufall sein! Wybert wurde dann ebenfalls – von einem deutschen Kartellgericht – zur Zahlung von 100.000 Mark verurteilt, weil Aldi und Schlecker die Elmex-Zahnpasta billiger verkaufen wollten und Wybert sie daraufhin ein bißchen boykottiert hatte.
Kurz und knapp berichtete ich wenig später über diesen ganzen komplexen Zusammenhang in einer Wochenzeitung und bekam daraufhin zwei Anrufe: 1. von einem Zürcher Zahnarzt, der in Ungarn studiert hatte, in einer Zahnklinik, die nur für West-Studenten zugänglich war; die schwer devisenbringende Ausbildung wurde vom Geheimdienst geregelt und die Zahmedizin in Ungarn deswegen zu so etwas wie einer „Heiligen Kuh“.
Noch heiliger wurde es dann beim zweiten Anruf, der von einer Frankfurter Werbeagentur, die den Elmex-Etat verwaltet, kam. Man bot mir weiteres Material über den Zahnpasta-Krieg an, das man mir persönlich in Berlin übergeben wollte, also nicht per Post zuschicken. Ich war gespannt. Im Endeffekt entnahm ich den Unterlagen dann: Wybert rules ok! With Elmex to victory!
Da ich inzwischen weiß, daß zwei Kollegen einer Westberliner Zeitung ähnliche Geheimpapiere von P&G bzw. C–P zugeschickt bekommen haben, drängt sich mir jetzt das Problem einer innerstädtischen Zahncreme-Front auf.
Dazu fand ich bereits einen (abgewickelten) Ost-Fluorforscher als Bündnispartner: Die Karies-Prophylaxe war in der DDR sehr fortschrittlich und profitierte dabei – ähnlich wie Narva bei den „Langlebensdauerglühlampen“ – von ungarischer Vorarbeit.
So wurde beispielsweise in Karl-Marx-Stadt eine „Trinkwasser-Fluoridisierung“ eingeführt, die der damalige CDU-Sozialsenator Ulf Fink dann für Berlin zu übernehmen versuchte. Die DDR importierte sogar in Größenordnungen Elmex. Als 1985 das Patent für „generische Aminfluoride“ auslief, baute man Elmex einfach nach.
Die Kopie fand bei den Zahnpflege-Kampagnen, in Schulen zum Beispiel, Anwendung. Als diese Programme mit der Wende eingestellt wurden, nahm auch die Karies in der DDR wieder zu, bis heute. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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