Press-Schlag: Sie glauben nicht, sie glauben dran
■ Verzweifelt optimistisch hat Dortmund ein Scheitern längst mental etabliert
In der Kabine saßen die Spieler von Borussia Dortmund und ließen die Köpfe hängen. Und auch wieder nicht. „Verzweiflung“, hat Ottmar Hitzfeld (46) gesagt, nachdem er ihren Seelenzustand ausgekundschaftet hatte, „war das sicher nicht.“ Sondern: „Enttäuschung, daß man das Spiel nicht gewinnen konnte.“ 1:1 gegen Mönchengladbach, und nicht in irgendeinem Spiel, es war „eines unserer besten“, wie der Trainer gesagt hat, der es wissen muß.
Es handelte sich Sonntag nacht tatsächlich um ein außergewöhnlich ansehnliches Spiel, eines, das, was selten genug vorkommt, sich selbst genug gewesen wäre. Das Kreuz: Keinen, nicht Hitzfeld, noch irgendeinen Dortmunder hat das interessiert. Er habe, sagte Hitzfeld, seine Mannschaft noch nie so gut kombinieren sehen wie in der ersten Hälfte. Er sagte es leidenschaftslos, und sein Gesicht war zwar nicht eine Spur schmaler als gewöhnlich, doch hätte man sich das wohl einbilden können. Dann hat er die Statistik zu Hilfe genommen, hat verglichen: „32 Torchancen, Gladbach acht!“ Was zeigt: Borussia hat sich vom vermeintlich entscheidenden 1:3 in Bremen erholt, hat mit beachtlichem Tempo erstaunlich ballsicher kombiniert. Nur: Spielen vorn zwar „unglaublich“ (Hitzfeld) Junge, doch treffen sie nicht, und mit 17- und 18jährigen Stürmern (wie Tanko und Ricken) ist noch keiner Meister geworden, das hat die Lokalpresse längst recherchiert. Bisher.
Nichts ist fest, alles fließt. Zwar behauptet der Trainer, mit dem Punktverlust nun „einen Schritt nach vorn gemacht zu haben“, doch läuft parallel das Unternehmen „Leben nach dem Verlust des Titels“ auf Hochtouren. Den hat man zwar nicht, aber offenbar ein moralisches Recht darauf. Das Schicksal, niemand sonst, wird Schuld sein, hat Präsident Niebaum erklärt, falls man dran glauben muß, und womöglich stimmt das sogar. Wo das, wie Hitzfeld es nennt, „magische Dreieck“ (Chapuisat, Riedle, Möller), wo Torgefährlichkeit fehlt, soll der „Wille“ substituierend wirken. Der nämlich sei da, und auch, wieder eine kühne Behauptung, „der Glaube bei den Spielern“. Und was der kann, hat Hitzfeld in der Bibel gelesen. Spieler Sammer allerdings, gerade erst getadelt für fehlerhaftes Verhalten, hat zu jener Bergpredigt euphoriefrei nur verlauten lassen, er sei „kein Hellseher“.
Nur ein außergewöhnlich guter Spieler, der am Sonntag allerdings – streiten kann man immer – sich einem Besseren gegenübersah. Stefan Effenberg, das muß gesagt werden, kommt der zeitgenössischen Interpretation des Fußballers schlechthin in diesen Tagen ziemlich nahe. Der Mann mag kein Künstler sein, hat sein Handwerk aber perfektioniert. Effenberg kann den perfekten Paß, eine „Superflanke“ (Trainer Krauss) war' s, kurz nach der Pause, genutzt zur Führung nicht wie vorgesehen von Dahlin, doch immerhin von Herrlich (49.). Solange er vor der Abwehr wachte, war Borussia ein prima organisiertes, intelligent verteidigendes Team. Das aller Voraussicht nach demnächst adäquaten Lohn bekommen wird.
Drum konnte Bernd Krauss auch eher entspannt darauf hinweisen, daß „ein abgefälschtes Gegentor natürlich immer unglücklich“ sei. Andererseits: Ist der Freund-Treffer (72.) womöglich ein Wink des Schicksals? Ist doch „der Fußballgott ein Borusse“ (Niebaum)? Geht es in dieser Sache überhaupt um Fußball? „Der Druck“, sagt Ottmar Hitzfeld, „ist niedriger geworden, weil wir nur noch gewinnen können.“ Der Druck ist so groß, daß Matthias Sammer „Verarschung“ schreit, wenn er einem Schiedsrichter nahekommt, und Möller angeblich gar nicht erst ins Stadion kommt. Nun mag man argwöhnen, im Gegensatz zum Werder- Programm könne gegen die abgestiegenen Duisburger und den abgetakelten HSV viel nicht mehr schiefgehen. Da sollte man bei Norbert Dickel nachfragen. „Am Ende der 90 Minuten“, so hatte der übermotivierte Stadionschreier schon vor Spielbeginn ins Mikro gepoltert, „kann nur einer Tabellenführer sein.“ Die Mannschaft, die er nannte, so hat sich inzwischen herausgestellt, ist es bis auf weiteres nicht. Peter Unfried, Dortmund
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