Ein Mann gegen die Lobby

■ Tokios Bürgermeister stoppt Weltausstellung

Tokio/Hannover (taz) – Der Bürgermeisterposten in Tokio gilt vielen Japanern als das mächtigste politische Amt ihres Landes: Yukio Aoshima, der erst vor sechs Wochen gewählte Stadtherr, nutzte diese Machtposition gestern voll aus: Mit der Absage der Tokioter Weltausstellung 1996, die unter dem Motto „Vision einer Zukunftsstadt“ bereits in voller Vorbereitung stand, traf der Bürgermeister gestern eine nicht nur für japanische Verhältnisse sehr ungewöhnliche Entscheidung. Denn tatsächlich standen mit den Parteien im Tokioter Parlament, den Unternehmern und der eigenen Rathausbürokratie alle gegen Aoshima. Der aber tat das bisher Undenkbare: In der einsamen Berufung auf „die Träume und Hoffnungen, welche die Menschen in die Demokratie setzen“, entschied der Bürgermeister gegen das vereinte Establishment im Sinne seines Wahlversprechens. Nicht einmal finanzielle Gründe waren dafür ausschlaggebend, denn die durch das späte Aus für die Expo anstehenden Kompensationszahlungen werden den bisher geschätzten Verlust der Ausstellung möglicherweise sogar noch übertreffen.

Dennoch konnte sich Aoshima gestern der Unterstützung der meisten Japaner sicher sein. Sie teilten nicht nur sein Gespür, daß die Ausstellungspläne aus einer Zeit stammten, die, geprägt von Aktienboom und Immobilienspekulation, dem Land bereits großen Schaden zugefügt hatte. Viel wichtiger war, daß Aoshima gezeigt hatte, wie Demokratie auch funktionieren kann: ohne Kulissenschieberei, in ausschließlicher Berufung auf das Mandat der Wähler und damit gegen die gewöhnlich siegreichen Wirtschafts-Lobbies.

In Hannover, das die Expo 2000 organisiert, hielt man sich nach der Tokioter Entscheidung ausgesprochen bedeckt: „Die in Tokio geplante Veranstaltung war keine Weltaustellung im Sinne des Pariser Weltausstellungsbüros“, hieß es. Durch die Absage ergäben sich keinerlei negative Folgen für die Expo 2000 in Hannover.

Georg Blume/ü.o. Seite 6