: Die Anstifter zum Ungehorsam
■ Christian Herz' Handbuch zur Totalverweigerung ist in neuer Auflage erschienen
Das Wort würde – irgendwie passend – zwischen „tot“ und „totarbeiten“ stehen. Doch noch ist es nicht im Duden aufgeführt: „Totalverweigerung“. Erstmals tauchte der Begriff vor etwa 20 Jahren auf. Totalverweigerung, das ist die radikalste Form der Kriegsdienstverweigerung – kein Dienst bei der Bundeswehr, kein Zivildienst, denn diejenigen, die den „zivilen“ Arbeitsdienst leisten, würden ebenso militärisch verplant werden wie die Soldaten. Der Zivildienst war niemals eine Alternative zum Kriegsdienst, niemals Friedensdienst, immer nur ein sprachkosmetisch verwandelter Ersatzdienst. Dieser Zwangsdienst soll für die Betroffenen lästig und für die Regierenden nützlich sein.
Zwischen 3.000 und 5.000 junge Männer haben hierzulande bislang totalverweigert. Sie leisten Widerstand gegen eine „allgemeine“ Wehrpflicht, die – von absolutistischen Herrschern erfunden – niemals ein „legitimes Kind der Demokratie“ war. Dieser Widerstand kann schon bei der „Erfassung“ und „Musterung“ beginnen.
Die umfassendste Dokumentation und Analyse zum Thema ist jetzt in fünfter überarbeiteter Auflage wieder zu haben. Es ist das Buch „Totalverweigerung – Eine Streitschrift für die totale Kriegsdienstverweigerung“ des Berliner Politologen Christian Herz, der selbst Totalverweigerer ist. Herz arbeitet in Berlin auch als Sprecher der Polit-Aktionsgruppe Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Der Autor hat mehr als 200 Urteile gegen Totalverweigerer ausgewertet und will damit ein Handbuch liefern, „mit dem eine Totalverweigerung erfolgreicher gestaltet werden kann“. Neben einem fundamentalen Essay über die Gründe für Totalverweigerung bietet der Band auch einen historischen Exkurs sowie juristische Tips. Als Dokumentation sind neun individuelle politische Begründungen von Totalverweigerern angefügt; auch schildern mehrere junge Männer ihre Hafterfahrungen. Hilfreich auch eine Literaturliste und eine Zusammenstellung antimilitaristischer Organisationen und Rechtshilfefonds.
Laut Christian Herz haben Totalverweigerer drei Essentials erkannt: Erstens, daß es nie „Wehrgerechtigkeit“ geben wird, weil immer genügend Privilegierte ohne Dienst davonkommen und so die Akzeptanz der Wehrpflicht stabilisieren. Zweitens, daß die meisten Kriege ohne die Massen der Wehrpflichtigen nicht führbar gewesen wären. Und Drittens, daß es kein wirkliches Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in der Bundesrepublik gibt: Schließlich bestimmt der Staat mit Hilfe der „Gewissensprüfung“, wer genug „Gewissen“ hat, um als anerkannter Verweiger durchzugehen.
Und so reagiert der Staat auch radikal undemokratisch auf die Totalverweigerer: Er droht ihnen, kriminalisiert sie, versucht, sie in Arrestzellen der Bundeswehr „umzuerziehen“, urteilt sie ab, inhaftiert sie. Vor den Gerichten kann es zu Haftstrafen von bis zu einem Jahr und sechs Monaten kommen, das „Standardurteil“ bewegt sich zwischen drei und sechs Monaten auf Bewährung. Eine repressive Besonderheit ist die – juristisch eigentlich nicht haltbare – „Doppelbestrafung“: Nach dem Absitzen der Strafe wird der Totalverweigerer wieder einberufen und erneut verknackt. Herz weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß „in der BRD mehr Kriegsdienstverweigerer in Arrest und Haft saßen bzw. sitzen als Kriegsverbrecher und Rüstungsexporteure“.
Angesichts der Militarisierung der Außenpolitik und konkreter Vorbereitungen der Bundeswehr für „Auslandseinsätze“ im deutschen Interesse haben sich auch die Herausgeber des Buches radikalisiert. Wolf-Dieter Narr und Klaus Vack vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. wollen ihr Vorwort ausdrücklich als „Anstiftung zur totalen Kriegsdienstverweigerung“ verstanden wissen. Diese Anstiftung kann laut den Paragraphen 111 und 26 des Strafgesetzbuchs ebenfalls bestraft werden. Hans-H. Kotte
Christian Herz: „Totalverweigerung – eine Streitschrift für die totale Kriegsdienstverweigerung“, Hrsg. Komitee für Grundrechte und Demokratie 64759 Sensbachtal, 235 Seiten, 13 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen