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„Eine womöglich trügerische Ruhe“

Trotz des Einstiegs scientologynaher Firmen ins Geschäft mit der Umwandlung von Miets- in Eigentumswohnungen hat sich der Markt beruhigt / Baustadträte warnen dennoch  ■ Von Uwe Rada

Der Aufschrei kam zwei Jahre zu spät. Seitdem scientologynahe Firmen Anfang des Jahres in Neukölln ins lukrative Geschäft mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen eingestiegen sind, hat die Öffentlichkeit das Thema Umwandlung entdeckt. Doch schon seit 1992 sind für Zehntausende Wohnungen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Umwandlung, die Erteilung einer „Abgeschlossenheitsbescheinigung“, bereits erfüllt. Ganz im Gegensatz zu den Forderungen der Mieter. Statt einem generellen Umwandlungsverbot beschloß der Bundestag Anfang 1994 lediglich die Verlängerung der Kündigungsfrist für Eigenbedarfskündigungen von sieben auf derzeit zehn Jahre.

Als im Juli 1992 die obersten Gerichte in Karlsruhe den Weg zur Erteilung der begehrten Abgeschlossenheitsbescheinigungen frei machte, brach insbesondere über die Westberliner Innenstadtbezirke eine wahre Antragsflut herein. Allein im Jahre 1993 zählte die Senatsbauverwaltung 22.000 erteilte Bescheinigungen, davon 2.000 im Ostteil.

Schlugen damals die Baustadträte noch Alarm, hat man sich heute freilich, auch weil die Umwandlungswelle vielerorts Befürchtung blieb, mit den Tatsachen abgefunden. In Charlottenburg, wo allein zwischen Juli und Dezember 1992 über 3.100 Anträge registriert wurden, ging die Zahl auf 3.200 im Jahre 1993 zurück. 1994 war es etwas mehr als die Hälfte. Der Charlottenburger Baustadtrat Claus Dyckhoff spricht von einem „gewissen Beruhigung des Marktes“. In Neukölln, einem weiteren Schwerpunkt, wurden seit Juli 1992 für 520 Gebäude, respektive 11.500 Wohnungen Abgeschlossenheitsbescheinigungen erteilt.

In Schöneberg, wo in den ersten sechs Monaten nach dem Karlsruher Urteil für 127 Wohngebäude die Umwandlung beantragt wurde, hat sich die Zahl mittlerweile auf 490 erhöht. Wie auch in Charlottenburg sieht die grüne Baustadträtin Sabine Ritter in Schöneberg kaum eine Möglichkeit, die Anträge zu verwehren. Aber auch Ritter bestätigt: „Nicht jede Abgeschlossenheitsbescheinigung führt zur Umwandlung“.

Viele Eigentümer beantragen die Abgeschlossenheitsbescheinigungen, so die übereinstimmende Auskunft der Baustadträte der Innenstadtbezirke, auf Vorrat. Im Prenzlauer Berg etwa wurden bislang 1.500 der begehrten Bescheinigungen erteilt. „Umgewandelt wird jedoch nur selten“, sagt der Baustadtrat des Bezirks, Matthias Klipp. Während in andern Bezirken die Bauämter von den Kaufverträgen keine Kennntis haben, müssen sie in den Sanierungsgebieten der Ostbezirke zur Verkehrswertermittlung vorgelegt werden. „Was die Angst vor der Umwandlung betrifft“, meint Klipp, „wird die Attraktivität des Bezirks offenbar überschätzt.

Gemessen an der ersten Umwandlungswelle in Westberlin erscheinen selbst die seit 1992 erteilte Anzahl der Abgeschlossenheitsbescheinigungen weniger dramatisch als befürchtet. 90.000 Wohnungen wurden bis 1989 in Westberlin umgewandelt, bis die rot-grüne Koalition die Erteilung der Abgeschlossenheitsbescheinigungen faktisch verhindert hatte. Zwar haben sich seit dem Mauerfall die Preise für Eigentumswohnungen nach Angaben des Charlottenburger Baustadrat Dyckhoff verdoppelt bis vervierfacht. Doch auch wie bei den Gewerbemieten blieb die Nachfrage auch bei Eigentumswohnungen hinter den Erwartungen zurück.

Eine Ruhe freilich, die sich laut Dyckhoff als trügerisch erweisen könnte. Wenn sich Berlin ähnlich wie Rom und Paris zu einer Stadt der Wohnungseigentümer entwickle, sei die soziale Mischung in Gefahr. Sein Tiergartener Kollege Horst Porath will Entwarnungstöne gar nicht erst aufkommen lassen. „Die Umwandlung ist ein Grundübel“, schimpft er. Leute, die sich eine Eigentumswohnung leisten könnten, sollten sich gefälligst zusammenschließen und neue Wohnungen bauen.

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