Kunstquartier Venedig: Die Party leider im Eimer
■ Techno-Club Berlin: Furcht und Elend der Raving Nation
Der Slogan des Old Well Pub ist gute alte Werbeschule: „Die Biennale in den Giardini, die Nächte im Pub“ klebt es grün auf weiß als Plakat auf bald jeder Fähre, die dieser Tage Richtung San Marco gondelt. Dabei stimmt natürlich gar nichts daran. Der Pub liegt irgendwo in einer üblen Gegend am Bahnhof und hat bereits um zwölf Uhr geschlossen. Das aber ist eines der größten Probleme der Biennale. Wo sollen die bald 10.000 angereisten Kulturnixe hin, wenn die Eröffnungsorgie vorbei ist?
An dieser Stelle tritt Berlins Clubnetz in Erscheinung bei der ansonsten recht mauer- und also problemzonenfreien Biennale. Die Kunst-Werke – ein Nachwende-Kulturverein im alten Scheunenviertel, Berlin-Mitte – hatten eigentlich etwas Großes für den Kunstbetrieb vorgehabt. Drei Tage, und das heißt hier wirklich 72 echtzeitmäßige Stunden lang, sollte in einem unter Denkmalschutz stehenden Theater aus dem 17. Jahrhundert unweit der Rialto-Brücke ein Techno-Club eingerichtet werden. Das neueste vom Tanzflur, dazu Videoclips anonym bleibender KünstlerInnen im Vierstundentakt, und das alles antihierarchisch, rhizomatisch und unkonventionell. Alle Nations unter einem Groove eben. Hier wollte man den von Ausstellung zu Ausstellung nomadisierenden VenedigbesucherInnen eine Heimstatt geben.
Das Theater war, wie sich kurz nach der Anreise herausstellte, zum Rave nicht besonders gut geeignet. Die Behörden gaben die Räume erst nach langem Gezeter für knapp 150 Partygäste frei; an den Türen wurden zusätzliche Feuerwehrmänner postiert, die versprochenen 120 Dezibel Disco-Lautstärke vom Ordnungsamt um die Hälfte heruntergesetzt. Techno als Wohnzimmerbeschallung. Vor der Tür standen zur Eröffnung dann an die hundert planlos umherstromernde Kunsttouristen wie bestellt und nicht abgeholt. Gegen ein Uhr wartete auch Documenta-Chefin Catherine David in einer allmählich ungeduldig werdenden Menge. Drinnen aber hatten derweil die Alteingesessenen die Organisation übernommen. Türsteher aus dem Kiez, Tresenkräfte aus der Szene, statt „Dauerperformance“-Reibach wie auf der Reeperbahn.
Das ganze wäre eine weitere Sternstunde in Sachen germanischer Pop-Dilettantismus gewesen, ein verpatzter Mini-Mayday am Rande der ohnehin überholten Biennale, bei der jedes Land auf dem selben Info-Highway um Internet und die völkerverbindende TV-Schaltung konkurriert. Doch dann wurde das Ereignis auch intern zum Bumerang. Mitangereiste Hilfskräfte wollten inmitten des ohnehin fehlgeplanten Spektakels nicht mehr einsehen, was das ganze Gewese mit irgendeinem basisdemokratischen Anliegen zu tun haben soll. Wo andere enttäuscht zurück zum Hotel marschierten, wurden sie plötzlich hellwach. Auf einmal war der Club nichts anderes mehr als eine unter dem Label „weltweit kommunizierende Multikulti-Gemeinde“ herbeikonstruierte VIP-Lounge. Das Künstler-Kollektiv als Wegbereiter ehrgeiziger Jung-Kuratoren und zum Zeitvertreib für die Prominenz? Flugs wurden Schautafeln geklebt und aufgeklärt, eigentlich hochwertige deutsche Konzept-Arbeit. Glücklich war am Ende allerdings keiner. Die Party im Eimer, die Botschaft zwischen House-Musik und Videoclips verpufft. Auf welchem Kurs steuert nun der Rave-Train? Offensichtlich nicht nach Venedig. Dort sind dieser Tage bald viermal so viele Touristen als Kunst- publikum unterwegs, die mit der Biennale nichts zu schaffen haben. Für US-Amerikaner ist die Stadt traditionell Pflichtprogramm auf ihrer Europa-Tour, Deutsche und Österreicher werden täglich busladungsweise abgefertigt. Das Bier kostet an keiner Würstchenbude mehr als in der Disco, die Hotels sind – Kunst hin, Revolution her – durchgehend ausgebucht. Der Techno-Club und die Kritik des Party-Kapitalismus blieben marginal.
Die postfeministische Sex- Performerin aus Österreich, Elke Krystufek, war da schon schlauer: Sie war ganz ordnungsgemäß am Rande der Biennale von einer gewöhnlichen venezianischen Galerie für eine Einzelausstellung mit bemalten Bettlaken zum Thema Frauensex und Kastrationsangst eingeladen worden. Nicht auf dem Wege des Kulturimports, sondern aufgrund des Interesses vor Ort. Leider mit schlechten Bildern. Harald Fricke
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