: Die „Neue Heimat“ hat keine Zukunft
Die Laubenkolonie „Neue Heimat“ in der Reinickendorfer Gorkistraße soll mit Wohnungen bebaut werden / Laubenpieper wehren sich gegen die Vertreibung aus ihrem Paradies und gründen eine Partei ■ Von Ina Rust
Der 87jährige Willi Kraul wohnt seit 1944 in der Laubenkolonie „Neue Heimat“ in der Gorkistraße in Reinickendorf. „Damals sind wir ausgebombt und dann hierher in die Behelfswohnheime eingewiesen worden. Das war alles hier eine platte Fläche voll Unkraut.“ Seine Laube ist für Kraul nicht nur ein Wochenenddomizil, sondern er ist einer der 41 DauerbewohnerInnen.
Auch Nachbar Werner Schwidders zeigt nachdrücklich seinen Personalausweis, auf dem die Kolonie als Wohnadresse eingetragen ist. Schwidders hat wie rund einhundert der Laubenpieper viel Geld in den Ausbau seiner Laube gesteckt, hat Wände gezogen, neue Fenster eingesetzt und Bäume gepflanzt. Nun sollen sie den Baggern weichen.
Die Laubenpieper kennen sich oft über Jahrzehnte. Die Jungen kaufen für die älteren Menschen ein und kümmern sich um sie. Gerade für die älteren Menschen, bricht jetzt die Welt zusammen. Sie können es nicht verkraften, daß die Laubenkolonie laut einem kürzlichen Gerichtsbeschluß zum Jahresende geräumt werden muß. „Ich schlafe grad mal drei Stunden, und essen kann ich auch nichts mehr“, sagt Willi Kraul.
Dabei ist die Rechtslage mehr als eindeutig. Das Gelände gehörte der Kirchengemeinde Alt Wittenau, die es dem Wohnungsbau- Unternehmen Degewo verkaufte. Die Degewo will auf dem Gelände rund 250 Wohnungen errichten. Rein formal haben die KleingärtnerInnen keinen Anspruch auf ihre Parzellen. Sie wurden bei dem Abschluß ihrer Pachtverträge darauf hingewiesen, daß das Land von der Kirche jederzeit zurückverlangt werden könne und daß sie keinerlei Anspruch auf eine Entschädigung haben. Daß es soweit kommen würde, damit hat jedoch niemand ernsthaft gerechnet. Die „Neue Heimat“ ist kein Einzelfall. Tausende von anderen Laubenpiepern im ehemaligen Westberlin konnten mit der unsicheren Vertragslage über Jahrzehnte ruhig leben. Doch seit dem Mauerfall, als die preiswerten Gartenparadiese mitten in der Stadt angesichts fehlender Baugelände schlagartig zum Anachronismus wurden, geht die Verlustangst um.
Aufgeben haben die Siedlerinnen der „Neuen Heimat“ noch nicht. Sie klammern sich an jeden Strohhalm. So hofft der 56jährige Werner Schwidder, daß die Urteile aufgrund von Formfehlern „gekippt werden können“. Auch der Bezirksbaustadtrat Rainer Lembcke (CDU) hatte gehofft, „daß die Siedler bleiben können“. Der Bezirk habe seit Jahren das Gelände als Grünfläche für Kleingärten ausgewiesen. Nachdem aber das Abgeordnetenhaus 1994 den neuen Flächennutzungsplan beschlossen hat, seien dem Bezirk die Hände gebunden, betont Stadtrat Lembcke: „Die Senatsbauverwaltung hat den Bezirk angewiesen, einen Bauantrag der Degewo, den wir zunächst zurückgewiesen haben, zu bearbeiten“.
Die Degewo sieht sich vollkommen im Recht: „Seit der Flächennutzungsplan 1994 bestandkräftig wurde, ist die Lage vollkommen klar. Außerdem sind wir die rechtmäßigen Eigentümer. Aber wir haben auch immer den Dialog mit den Siedlern gesucht“, sagt Reinhard Fuch von Rabenau, der Justitiar der Degewo. Den DauerbewohnerInnen sei Ersatzwohnraum zum Teil auch an gleicher Stelle angeboten worden. Diejenigen, die vor den Gerichtsentscheiden freiwillig gegangen seien, hätten eine finanzielle Entschädigung erhalten und ihnen sei der Abriß bezahlt worden. Jetzt sei man immer noch bereit, bei der Suche nach Ersatzwohnraum zu helfen, aber die Kosten für den Abriß müßten die SiedlerInnen nun selbst zahlen, und sie würden auch keine Entschädigung erhalten.
Die Kirche, die durch die Kleingartensiedlung ins Gerede gekommen ist, sieht ihr Handeln als gerechtfertigt an: „Wir haben das Gelände nur unter der Vorraussetzung verkauft, daß dort durch sozialen Wohnungsbau bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Deshalb haben wir das 44.000 Hektar große Gelände mit 12 Millionen auch weit unter Wert der Degewo angeboten“, sagt der geschäftsführende Pfarrer Johannes Heyne der Gemeinde Alt-Wittenau. Das Vorgehen der Kirche „ist zynisch“, meint der 41jährige Thorsten Ermel: „Auf der Rückseite des Kündigungsschreiben der Kirche stand, daß die Koloniebewohner seelsorgerische Hilfe bei ihrer Gemeinde erhalten könnten, wenn sie die Kündigung nicht verkraften.“ Ermel ist wegen des Verhaltens der Gemeinde zur Kleingartenkolonie aus der Kirche ausgetreten. „Und ich war nicht der einzige, es gab hier rudelweise Kirchenaustritte“, sagt Ermel. Pfarrer Heyne weiß hingegen „nur von drei Austritten, die unmittelbar mit der Kolonie begründet wurden“.
Thorsten Ermel ist einer derjenigen, die Glück im Unglück haben. Seine 1991 „mit allen Genehmigungen des Bezirksamtes und der Kirche“ gebaute Laube kann er – allerdings für 7.000 DM statt der 28.000 DM Kaufsumme – verkaufen: Es ist ein Fertighaus. Den meisten ist das jedoch nicht möglich. Ihre Laube ist „Marke Eigenbau“ – so das Häuschen von Werner Schwidders. „Ich wollte nie in eine Partei eintreten, und daß mir das mal nur wegen 'nem Stückchen Grün passiert, hätte ich mir nicht träumen lassen.“ Schwidders ist Mitglied in der von den KleingärtnerInnen gegründeten Wählerinitiative Berliner Kleingärtner und Bürger (WBK). Diese will bei den nächsten Wahlen im Oktober antreten. „Der Kampf hier hat viele politisiert. Die Leute hier sind keine Radikalen, aber das Vorgehen lassen sich viele nicht mehr bieten“, sagt Thorsten Ermel: „Wenn die hier stehen mit Gerichtsvollzieher und Polizei, wird die Friedfertigkeit verschwinden. Dann wird hier Blut fließen.“
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