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Die Zukunft im Lotussitz erreichen

Magisch, mystisch, mau: Björk, Frau ohne Erwartungen, hat ihre „Post“-LP fertig  ■ Von Anke Westphal

1. Vorspann

Björk trägt neuerdings Veilchen: in sattem Lila, an jedem Auge eins. Die hat ihr ein Visagist für das Coverfoto zum zweiten Solo-Album „Post“ verpaßt. Was Kosmetik so alles vermag! Björk sieht aus wie – bitte Option treffen – ein mißhandeltes Kind oder eine geprügelte Gattin. Gerahmt von „Luftpost“- Streifen-Jacke und einem malvenfarbenen Heiligenschein in Sombreroform, guckt Björk, als verstünde sie die Welt nicht mehr. Täter? Opfer? Topfer! Weg mit der Ökoschönheit! Simulate yourself!

Seit „Basic Instinct“ zeigt die Frau wieder Schritt. Björks Höschen ist auf Fotos manchmal gelb, manchmal auch orange. Fun! Den Sonnenaufgang begeht die 29jährige gern, indem sie Flaschen in Felsschluchten wirft („Hyper-Ballad“). War da nicht mal was? Klar, Sun „Of An Orange County“ und anderwärtig Gelegenes. Norden geht gut. Der Däne Peter Høeg verkauft Millionen von „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“.

Björk Gudmundsdottir gefiel schon als Sängerin der isländischen Sugarcubes. Den trolligen Nachnamen hat das Label gefressen – „Björk“: Komm ruhig her, aber nicht zu nah. Björk ist ein introvertierter Mensch und langweilt sich schnell: „Ich dürste immer nach diesem Element von Überraschung, nach Zufall.“ Die „Post“-CD ist seitlich mit einer rosa Lotusblüte versiegelt. Geheime Verschlußsache. Wer hören will, muß deflorieren. Das alles sind Äußerlichkeiten, also Fakten und insofern wichtig.

2. Olle Kamellen – US-Story

Weil 1988 die Mauer noch stand wie das Amen in der Kirche, war es praktisch, mit einem NDR-Musikredakteur so gut befreundet zu sein, daß man ihn skrupellos anbetteln konnte. (Danke, Michael!) Im Radio wurde „Birthday“ von den Sugarcubes gespielt. Nach 14 Tagen traf die bestellte LP ein, bemerkenswert häßlich, giftgrün – „Life's too good“. Von der Hamburger Freundin war das Faible für drollige Sprachen ererbt: Go north! (Danke, Gabriele!) „Life's too good“ und das Nachfolgealbum „Here today, tomorrow next week“, vor allem aber „Birthday“ lieferten durch vitale Anarchie den Soundtrack zum Winter 89/90. Als die Mauer fiel, wurde das Begrüßungsgeld in Platten umgerubelt. Jahre später überlebten weder die Neubauten noch Norditaliens Techno-Vorläufer Pankow das vorläufige Ende des Aufbruchs. Wohl aber die Sugarcubes.

3. Hauptstück

Was man an Björk alles lieben kann: Sie ist clever. Sie schreibt Songs, betreibt „Björk Overseas Ltd.“, ein Plattenlabel und einen Verlag. Sie ist eine berufstätige Mutter mit neunjährigem Sohn. Sie ist apart. Nicht einmal ihr „Eskimo-Elfen“-Image, der orangefarbene Flauschpullover, die stummeligen Zopfknoten und Grimassen, können sie ganz entstellen. Am schönsten ist, daß Björk weder Jammerliese noch modisches Seelchen mimt, sondern klare Aussagen trifft über die Kongruenz von Musik und Sex. Die Komponistin und Sängerin Björk treibt im Stream Of Consciousness; ihr liebster Vergleich für die musikalische Produktion ist der Schlaf, das unbewußte Fließen von Eindrucksfragmenten, an dessen Ende man nicht weiß, wie man sich fühlen und was man daher vollbringen wird.

„Post“ illustriert diese Ansicht thesenhaft. Die Selbstheiligung des Ichs vollzieht sich in Songs, die gestreckt sind wie Sauce mit Mehlschwitze. Das kann eine gewisse musikalische Belanglosigkeit nicht verbergen, aber Björk ist schließlich nicht Penderecki. Das Stakkato-Atmen, das Auf-und Abschwellende des Gesangs, das Kreuzen der Melodie, den Soundtrack- Pomp und den breitflächigen, hellen Schrei hatte Björk bereits auf ihrem 93er „Debut“ kanonisiert, die wummernden (Keyboard-)Bässe gab es auch schon. Björk haßt Gitarren – Dancefloor, Techno und House sind dagegen eine Chance, für immer jung zu sein. „Rave-Satellite“-Marusha trägt die Müdigkeit unter grüngemalten Augenbrauen wie eine Herzogin. Der Druck, der von Whigfield & Co. ausgeht, muß enorm sein. Man beginne „Post“, statt mit dem bösen und gut genährten „Army Of Me“, mit „Hyper-Ballad“. Da klingt nicht allein die Lust am Genre durch, daß Björk das Marktgängige, ganz Banale kann und sogar will. Nein, gerade bei „Hyper-Ballad“ ist nicht zu überhören, daß die nächste Generation sehr nah gerückt ist und eine Obersurferin leicht in der eigenen Fun Wave untergehen kann. „Post“ bebildert, daß das Medium in erster Linie Björk ist und nicht die Musik. Die Message lautet allerorten „Enjoy“, und speziell auf „Post“: Transzendiere die häßliche Wirklichkeit mit der Lotusblüte, mit isländischen, indischen Mantras, vereine Natur und Technik („The Modern Things“). „Post“ erbaut einen Lego-Kosmos voller Imaginationsdesign und „Possibly Maybe“ – Simulation versus Handlungsverhinderung: „I wish I only look / and didn't have to touch.“ Schon der Flirt wird zum Problem, von Liebe ganz zu schweigen. Sei vielmehr cool, stell dir deinen eigenen Tod vor, den Flug in die Schlucht: „imagine what my body would sound like / slamming against those rocks“ („Hyper-Ballad“). Streicher, Trompeten und Jazzsätze münden in die Orange Sun. Laß es vom Bauch ins Hirn blubbern, babe, Trance („Headphones“). „Isobel“ wiederum skizziert die glorreiche Eine beim Spielen von Kings Quest VII: der Western, das Internet, die Frau aus den Wäldern, Magie, Cybersex, Fernost. „I definitely enjoy solitude“, heißt es. „Post“ bedeutet „married to myself“ zu sein. „Post“ ist modern im besten und schlechtesten Sinne. Es verhandelt die Verheißungen des Narzißmus, empört sich aber zugleich über die Leere. Wir danken Björk für diese Restesuppe, denn Appetit mag eine Laune sein, Hunger ist keine.

Doch Björk ist nicht nur modern, sie möchte leider auch alt sein. Swing, Big Band – Björks Version von Betty Huttons „Blow A Fuse“ (auf der CD: „It's Oh So Quiet“) ist so grauenhaft, und zwar aufgrund ihrer gepriesenen Kindlichkeit, der flachen Stimme, die Volumen durch Lautstärke kompensiert, daß es einen sofort nach einem Musical aus den 40ern verlangt. Als Experiment durchgefallen. „I‘m going to prove the impossible really exists“, singt Mdm. Schneekönigin. Hat sie das nötig? Will das überhaupt jemand wissen? Wirf Dich nicht weg, Björk! (PS: „Post“ wurde auf den Bahamas aufgenommen. Man müßte eben Björk sein!)

4. Abspann

„Ach Björk, die finden viele Männer toll, weil die so viele Zöpfe hat und immer ein bißchen x-beinig dasteht und niedlich von unten guckt. Das geht mir auf die Nerven, vor allem dieses Grinsen. Ich war bei einem Konzert, 70 Prozent da sind Männer, nur nebenbei. Musikalisch ragt die nicht raus, finde ich. Jetzt singen alle wie Björk – Dolores O'Riordan oder Tanya Donelly zum Beispiel“, so Coca, 30 Jahre, Berliner Clubberin. – Und wenn schon. Sind Popstars echte Menschen? Ist das überhaupt wichtig? Ist es nicht komplett egal, ob es großes Theater ist, wenn Björk bekundet, daß sie lange Zeit nicht an Männern interessiert war, weil sie diese Spezies für „shit“ hielt – weder einer netten Unterhaltung noch einem ordentlichen Besäufnis gewachsen. Macht es sich, wenn gute Laune regiert, bei allem Verschleiß an Originalität nicht noch immer recht hübsch aus, daß Björk einst sexuell nach Albert Einstein lüstete und jetzt George Bataille als Droge anwendet? Die lila Veilchen an Björks Augen sind nur eine der Masken der Sexualität; Björk findet sie kleidsam, interessant, kommunikativ und weniger langweilig als andere. Leute wie Sie und ich, die es eher mit so kapriziösen Geistern wie Julie Burchill als mit seriösen Poptheoretikern á la Greil Marcus halten, werden Björk immer lieben. Weil sie die Wölfe ins Eismeer hetzt und nicht umgekehrt.

Björk: „Post“ (Polydor)

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