: "Prophet und Poet liegen dicht zusammen" Die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli in Bremen : "Kuß, Kuß, Kuß"
In ihrer Heimat Nicaragua hat Gioconda Bellis letztes Buch Die Werkstatt der Schmetterlinge noch immer keinen Verleger gefunden. Fast ein Skandal. Denn wer das Buch über die Schöpferwerkstatt von Rodolfo, dem Gestalter der Dinge, liest, ist sicher: Nur in Lateinamerika kann diese Werkstatt gestanden haben – dort, wo Schmetterlinge sind wie das Niesen des Regebogens.
Was wie ein fürchterliches Mißverständnis wirkt, daß Bellis Buch zuerst in Deutschland erschien, hat nur vordergründig eine äußerliche Begründung: „Die Zeichnungen im Bilderbuch entsprechen nicht lateinamerikanischem Geschmack“, bekam Belli zuhause zu hören. Dahinter aber steckt brutale Armut in Nicaragua: Zu wenig Leute können aufwendig gemachte Kinderbücher überhaupt noch bezahlen. Von drei Verlagen im Land stehen zwei am Rande der Pleite. „Wir leben in der Krise“, erklärt die nicaraguanische Erfolgsautorin, die am Montag auf ihrer Lesereise in Bremen Station machte. Die kulturellen Erfolge von rund zehn Jahren sandinistischer Regierung, in denen zusammengerechnet mehr Bücher erschienen als in allen Jahren je zuvor, sind nur noch Erinnerung. „Heute müssen AutorInnen ihren Verleger bezahlen, wenn sie wollen, daß ihr Buch erscheint.“
Nein, Gioconda Belli muß keine Vorauszahlung leisten. Sie ist zu berühmt. Allein ihr bekanntestes Werk, Die bewohnte Frau, erreichte eine Auflage von bisher 700.000 Exemplaren. Trotzdem wird ihr nächstes Buch wieder in deutscher Erstausgabe erscheinen. Wieder heißt der Herausgeber Hermann Schultz: Er ist der Chef des kleinen Wuppertaler Hammer-Verlages mit der Intuition für die Internationale der DichterInnen – vor allem der lateinamerikanischen und der afrikanischen.
Waslala wird der neue Roman Bellis heißen. Er spielt im 21. Jahrhundert. Waslala ist zugleich der Name eines legendären utopischen Landes, in dem Freiheit herrscht – wie in den Träumen der Schriftstellerin Gioconda Belli. „Prophet und Poet – diese Worte liegen doch dicht beieinander“, sagt Gioconda Belli.
Aber weckt der Umstand, daß ihre Utopien zuhause erst verspätet bekannt werden, kein eigenartiges Gefühl in der Anhängerin der sandinistischen Revolution der 80er Jahre? Sollte ihr Schmetterlings-Sinnbild von Schönheit und ungehinderter Bewegungsfreiheit, an dem ihr Rodolfo so beharrlich gearbeitet hatte, zuhause nicht schnellstmöglich bekannt werden?
Eher ist diese Frage eigenartig, vermittelt die lateinamerikanische Bestsellerin, die oft mit Isabel Allende oder Gabriel Garcia Marquez in einem Atemzug gennant wird. Erfolg sei doch großartig – auch in Europa. „Und ich glaube, er liegt darin, daß wir lateinamerikanischen SchriftstellerInnen den EuropäerInnen viel anbieten. Imagination und Vision von Befreiung.“
Vision von Befreiung? Wählte das nicaraguanische Volk nicht vor rund fünf Jahren selbst die Revolution ab, für die es zuvor gekämpft hatte – und für deren Ideen Gioconda Belli zuvor jahrelang im mexikanischen Exil gelebt hatte. Woher nimmt die Schriftstellerin heute die Kraft für Visionen und für einen Optimismus, von dem sie sagt: „Er ist nötiger als alles . Schlechte Dinge erleben die Menschen genug?“
Ihre Antwort klingt erstaunlich einfach: „Ich glaube fest daran, daß die Menschen tief in sich drin die Sehnsucht nach Gerechtigkeit spüren“, sagt sie. „Aber viele drücken dieses Gefühl weg. Sie haben Angst vor seiner ungestümen Macht.“ An dieser Spalte zwischen Angst und Sehnsucht setzt die zierliche Lateinamerikanerin an: „Bei dieser kleinen Welt im Kopf“, sagt sie. Dann interessiert sie nicht, ob ihr Publikum europäisch ist oder nicht. „Weil alle dieselbe Sehnsucht spüren“ – nach Gerechtigkeit und nach Liebe. Das sind die großen Themen von Gioconda Belli mit denen sie ihre ZuhörerInnen am Montag im Bremer Überseemuseum in Wechselbäder aus betretenem Schweigen und befreitem Gelächter warf: Eben noch trug sie das Kampfgedicht über die Minenarbeiter vor, die in Dynamit eingekleidet die Ministerien stürmen wollen, „das Streichholz in der Hand“. Aber dann springt Belli unvermittelt in eine andere Szene: In „Liebe in zwei Tempi“, einen unverhüllten Orgasmus in seiner lyrischsten Form. „Los-laß-ich-die-Zügel“, hastet sie voran, bis zum rythmischen „Kuß. Kuß. Kuß.“ Kraftvoll und entschieden kommt sie zum Höhepunkt. Mit derselben Eindringlichkeit wie bei ihren politischen Gedichten. ede
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