: Großkoalitionäre besetzen das Rathaus
■ Parlamentseröffnung verschoben / Stehende Ovationen des SPD-Parteitags für Scherf
Obwohl die erste Sitzung der neu gewählten Bürgerschaft gerade erst auf den 4. Juli verschoben wurde, haben es sich die künftigen Großkoalitionäre von SPD und CDU auch ohne Mandat des Parlaments gestern schon einmal im Rathaus gemütlich gemacht. Gut umsorgt vom „perfekten Rathaus-Service“ (Senats-Sprecher Klaus Sondergeld) fanden sich die Verhandlungsdelegationen der beiden Parteien im Kaminsaal zur ersten Sitzung zusammen.
In einem „offenen und von Vertrauen getragenen Klima“ (Nölle) wurde gestern der Fahrplan für die Koalitionsverhandlungen festgelegt. Heute soll zunächst eine Einigung über den zur Verfügung stehenden Fianzplan der gesamten Legislaturperiode erzielt werden. Weiter geht es in thematischen Arbeitsgruppen, bis der fertige Entwurf der Koalitionsvereinbarungen am 25. Juni den Parteigremien zur Abstimmung vorgelegt werden wird. Über die Verteilung der beiden höchsten Posten im Lande (Präsident des Senats und Bürgerschaftspräsident) sollen die Fraktionen von SPD und CDU am Freitag entscheiden.
Am Montag abend hatte der SPD-Landesparteitag die Tür zur Verhandlung über die Große Koalition endgültig aufgestoßen. Mit überwältigender Mehrheit billigte er das knappe Ergebnis der Mitgliederbefragung und bestätigte auch mit 157 von 173 Stimmen die Entscheidung für Henning Scherf als Nachfolger von Klaus Wedemeier. Nur zehn Delegierte stimmten gegen Scherf, sechs enthielten sich.
Zuvor hatten vor allem die BefürworterInnen einer rot-grünen Koalition ihre „Solidarität“ bekundet und versichert, daß sie sich an das wenn auch knappe Ergebnis der Mitgliederbefragung halten werden. „Wir hoffen, daß die andere Seite es genauso macht, wenn beim nächsten Mal das Ergebnis umgekehrt ausfällt“, forderte ein Delegierter unter Applaus. Die Landesvorsitzende Tine Wischer warnte ihre Partei nach der zweiten herben Wahlschlappe in Folge vor einer „Flucht in die Depression“. Die Verantwortung dafür sei breit verteilt: „Pleiten, Pech und Pannen hat es auch in Senat und Fraktion gegeben.“
Protest gegen den rot-schwarzen Schwenk der SPD gab es lediglich von einer Gruppe Bremerhavener Jusos, die mit einem Transparent „SPD=CDU“ angereist waren. Ihr Sprecher, Michael Müller, verkündete am Rednerpult die Gründung einer „sozialistischen Partei“ und warf dem Landesvorstand sein Parteibuch vor die Füße..
Zweimal gab es dafür Applaus für eine harsche Kritik an Klaus Wedemeiers Ankündigung einen Tag vor der Mitgliederbefragung, er wolle bei einer rot-grünen Entscheidung sein Bürgerschaftsmandat zurückgeben. Doch es gab auch Applaus für Klaus Wedemeier, als Scherf und Wischer ihm für seine zehnjährige Arbeit als Spitzenkandidat der SPD dankten.
Stehende Ovationen erhielt lediglich Henning Scherf, als er die Partei zur Geschlossenheit aufforderte, Widerstand gegen eine weitere Privatisierung öffentlicher Unternehmen ankündigte und versprach: „Das Verscherbeln von sozialem Wohnungsbau und das schutzlose Ausliefern von Mietern wird es mit Sozialdemokraten nicht geben.“ Sogar mit Bremens schwieriger Finanzlage konnte Scherf seine GenossInnen zu Begeisterungsstürmen hinreißen als er rief: „Wir können die Zinsen nicht abschaffen. Der letzte, der das versucht hat, war Che Guevara, und den hat sogar Fidel Castro in den Busch geschickt, weil er gesagt hat, das geht nicht.“
Ase
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen