: Wachsen und wachsen lassen
■ Ausstellung über die erste Bremer antiautoritäre“ Versuchsschule
Wer bisher dachte, früher ging es in der Schule nur um „Zucht und Ordnung“, der kann sich seit gestern in der Stadtteilbibliothek Walle vom Gegenteil überzeugen. Dort ist bis zum 30. Juni eine Ausstellung über Bremens erste Versuchsschule, die „Scharrelmann-Schule“, zu sehen.
Diese Schule wurde vor 75 Jahren von dem bekannten Reformpädagogen Heinrich Scharrelmann gegründet. Derartige Schulen waren in den zwanziger Jahren in Deutschland weit verbreitet. Sie waren geprägt durch einen sehr freien Unterricht, sogenannte Pädagogik vom Kinde aus'. „In den Versuchsschulen gab es ein ganz eigenes Prinzip, den sogenannten –Gelegenheitsunterricht–“, erklärt Hans-Otto Steudle, Mitarbeiter der Bremer Schulgeschichtlichen Sammlung und Initiator der Ausstellung.
„Gelegenheitsunterricht“ hieß, daß das unterrichtet wurde, was die Kinder im Moment interessierte. Auch daß es ein gewähltes Lehrerkollegium gab war neu. „Man wollte den Kindern kein Paradies schaffen, aber doch eine Zone, wo sie sich entwickeln konnten“, sagt Steudle zur Motivation der Lehrer. Deshalb lautet das Motto der Ausstellung auch – „Wachsen lassen“. Eine Folge dieses „Wachsen lassens“ war, daß die Kinder sich stark mit der Schule identifizierten. Dem Vorurteil, die Kinder hätten nichts gelernt, tritt Steudle energisch entgegen: „Es war keine Doofenschule, man hat genug gelernt, nur nicht das was Norm war.“
Kaum verwunderlich ist daher, daß die Versuchsschulen ab 1933 wieder in die alten Zwänge gepresst wurden. Trotzdem versuchten die Lehrer, so viel wie möglich ihrer Unterrichtsweise beizubehalten. Mit Kinderlandverschickung und totalem Krieg endete, was schon 1933 abgebrochen worden war.
Nach dem Krieg wurde die Schule zwar wieder eröffnet, aber das pädagogische Konzept der Versuchsschule nicht wieder eingeführt. Heute sind dort die Musikschule und die Waller Stadtteilbibliothek beheimatet.
Auf die Frage, ob es heute vergleichbare Schulen gibt, sagt Scheudle: „Schulen mit diesen Freiheiten wird man mit der Lupe suchen müssen.“ Die üblichen Lehrpläne seien Gift für –Gelegenheitsunterricht–. „Ich war selbst Lehrer, man nimmt sich nicht die Zeit für einen etwas daneben liegenden Stoff“, so Steudler. Er kann sich nicht vorstellen, „warum es nicht möglich sein sollte, heutzutage so etwas wieder einzuführen“
. sch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen