: Auf den Tasten lastet die Geschichte
■ Tiny Wirtz spielt Zimmermanns frühe Klaviermusik in authentischer Wiedergabe
Der 1918 geborene Komponist Bernd Alois Zimmermann, verstand sich nicht nur als „ältester unter den jungen Komponisten“, sondern fühlte sich auch philosophisch und kompositionstechnisch als Außenseiter. Als nach 1945 die ganz jungen westdeutschen Komponisten die Werke von Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern endlich kennenlernen konnten und sich sofort an deren Techniken orientierten, war Zimmermann fast dreißig Jahre alt.
Zimmermann müht sich von Anfang an um die Zusammenhänge von unentrinnbarer Geschichtlichkeit, um das Wesen der Zeit und deren Darstellung durch Musik. Das drückt sich nicht nur in einem Ineinander von Stilen und Gattungen aus, sondern auch in verschiedenen kompositionstechnischen Phasen.
Dacapo stellte jetzt in einem ganz besonderen Konzert im Übersee-Museum das klavieristische Frühwerk von Zimmermann vor. „Ganz besonders“, weil die Kölner Pianistin Tiny Wirtz bis auf eine Ausnahme alle Klavierwerke von Zimmermann uraufführte. Das entsprechende hohe Maß an Authentizität, die enorme innere Kenntnis der Werke vermittelten sich in jedem Augenblick, auch wenn wohl wegen des fortgeschrittenen Alters der Pianistin so manche kräftigen Akzente zu sanft erschienen.
Zimmermann formulierte seine musikästhetische und politische Position in der „Kugelgestalt der Zeit“, also der Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Spätestens mit der Oper „Die Soldaten“ und dem „Requiem für einen jungen Dichter“ erhebt er Einspruch gegen die Vergewaltigung der Menschen. 1970 setzt er seinem Leben ein Ende .
Und 1946? „Extemporale“ heißt das Stück mit den altertümlich anmutenden Sätzen „Präludium, Invention, Siciliano, Bolero und Finale“, und „Capriccio“ heißen die Improvisationen über Volksliedthemen. Auch wenn hier vieles als kompositorische Übung klingt, so sind doch das perfekte Formgefühl und die Funken zu bewundern, die beim „Improvisieren“ über vorgegebenen Themen geschlagen werden können. Das ist eminent klavieristisch konzipiert und heute noch sehr dankbar zu spielen, Tiny Wirtz spielte es mit Farbigkeit und zum Teil auch Witz.
In dem Zyklus „Enchiridion“ – in der Musikgeschichte übliche Bezeichnung für „Handbuch“ – bezieht sich Zimmerman 1949 wiederum auf alte Tänze und 1951 auf die Stundengebete der katholischen Kirche. Welten scheinen zwischen den beiden Sammlungen zu liegen, denn 1950 enstand Zimmermanns erste zwölftönige Komposition. Und endlich komponiert er sein unmißverständliches Bekenntnis zu Webern in den „Konfigurationen“ von 1956: kein Stück ist länger als eine Minute.
Die serielle Kompositionstechnik – also die Differenzierung des musikalischen Geschehens über die Parameter Rhythmik, Dynamik, Klang, Anschlagsart usw. – bezog Zimmermann in seine „Kugelgestalt der Zeit“ mit ein: mit den „Soldaten“, deren Erstfassung der Komponist leider vernichtete, entstand eine der vier bleibenden Opern des 20. Jahrhunderts: der Dirigent Michael Gielen nennt Alban Bergs „Wozzeck“ und „Lulu“, Schönbergs „Moses und Aaron“ und eben Zimmermann „Soldaten“.
Das Konzert provozierte dieses Nachdenken über einen der Großen des 20.Jahrhunderts, immerhin hat Zimmermann von jedem Kompositionsstudenten wenigstens eine Komposition für Klavier solo verlangt, um ihnen zu demonstrieren, wie schwer es ist, für Klavier zu schreiben.
Seine letzten Werke sind für zwei Klaviere geschrieben. Für sich genommen war die Musik dieses Konzertes eine zwischen Neoklassizismus und Zwölftontechnik, immer aber eminente Ausdrucksmusik, wie Tiny Wirtz mit großer Spannung und Intensiät deutlich machen konnte. Alle Stücke des jungen Zimmermann schlagen die meisten heutigen postmodernen Produktionen mühelos.
Ute Schalz-Laurenze
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