■ Die britische Regierung ist empört. Heldenhaft hatte John Major Shell bei der Unterwasserentsorgung der Brent Spar unterstützt - bis Shell sich dem Druck fügte und die Aktion zurückpfiff...: Greenpeace versenkt Shell
Die britische Regierung ist empört. Heldenhaft hatte John Major Shell bei der Unterwasserentsorgung der Brent Spar unterstützt – bis Shell sich dem Druck fügte und die Aktion zurückpfiff. Greenpeace feiert einen seiner größten Erfolge
Greenpeace versenkt Shell
Wut und Rachegefühle in London. Es sei keineswegs sicher, daß die britische Regierung ihre Genehmigung zur Demontage der Brent Spar an Land geben werde, sagte Tim Eggar, der Staatssekretär im Londoner Energieministerium. „Die Erlaubnis gibt es nicht automatisch, das Industrieministerium hat den Vorschlag für die Versenkung erst nach dreijährigen Gesprächen akzeptiert. Falls Shell jetzt eine Alternative vorlegen möchte, wird die Regierung darüber beraten müssen.“ Er sei gespannt, welche Lösung Shell für die Probleme vorschlagen wird, die das Unternehmen damals als Argument für die Versenkung vorgebracht habe, fügte Eggar hinzu. „Nur weil Shell sehr kurzfristig die Entscheidung rückgängig gemacht hat, sehe ich nicht ein, warum Großbritannien jetzt eine weniger umweltfreundliche Alternative hinnehmen sollte.“
Das britische Kabinett ist von der Shell-Wende kalt erwischt worden. Noch am Montag hatte Premierminister John Major im Unterhaus erklärt, daß die Versenkung der ausgemusterten schwimmenden Versorgungsstation – sie gehört je zur Hälfte Shell und Esso – „der richtige Weg“ sei. Shell habe seine volle Unterstützung in dieser Sache. Die Forderung von Greenpeace und verschiedener europäischer Regierungen, die Brent Spar an Land zu demontieren, wies Major als „unglaublich“ zurück.
Keine 24 Stunden später tat Shell das „Unglaubliche“ und ließ Major im Regen stehen.
„Ich finde, der Premierminister hat sich beispielhaft verhalten und hätte von Shell eine bessere Behandlung verdient“, monierte Industrieminister Michael Heseltine. Für Major geht es jetzt um Schadensbegrenzung. Seit Monaten schwankt er zwischen Eurofans und Eurogegnern in der eigenen Partei hin und her und hat es sich inzwischen mit beiden Flügeln verdorben. Es gilt als sicher, daß sich auf dem Parteitag im Herbst ein Gegenkandidat für die Parteiführung melden wird. So muß Major nun den Eindruck vermeiden, daß Shell und Großbritannien die Entscheidung von „Europa“ aufgezwungen worden sei.
In der britischen Öffentlichkeit haben die kontinentalen Proteste gegen die geplante Versenkung der Brent Spar eher Verwunderung ausgelöst – genauso wie die militanten Aktionen britischer TierschützerInnen gegen den Kälberexport auf dem Festland staunend aufgenommen wurden. Die britische Presse schreibt die Verhinderung der Meeresbestattung vor allem Greenpeace zu. Aufgrund des Stellenwerts von Umweltthemen in Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien hätten sich die dortigen Regierungen der Umweltschutzorganisation fügen müssen, heißt es in den Zeitungen.
Der Guardian prangerte „die Heuchelei der Kontinentaleuropäer“ an und wies darauf hin, daß britischer Müll aufgrund der Meerestiefe und der Gezeiten weggewaschen werde, während die Industriegifte aus Elbe, Rhein, Weser, Meuse und Scheldt ungehindert in die Nordsee fließen. Der Independent schrieb, daß die Behauptung, die Versenkung sei die umweltfreundlichste Alternative, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ stimme. Doch im Recht zu sein ist nicht genug, heißt es weiter: Man müsse die Öffentlichkeit auch davon überzeugen.
Was mit der Brent Spar jetzt geschehen soll, steht noch nicht fest. Zunächst müsse ein geschützter Ankerplatz gefunden werden, sagte der Vorsitzende der britischen Shell, Chris Fay. Allerdings verfügt die Brent Spar über keine Ankerketten: Sie sind beim Abtransport zum Seebegräbnis gerissen. „Ich weiß zur Zeit nicht, wo die Spar jetzt hin soll“, sagte Fay. Er will die anderen europäischen Regierungen um Hilfe bitten. Vermutlich wird die Ölfirma die Erlaubnis beantragen, die Versorgungsinsel vorübergehend in einem norwegischen Fjord zu stationieren. Der Transport ist nicht ungefährlich: Bei einer Kollision mit einem Öltanker ist die Brent Spar vor Jahren beschädigt worden.
In der Nordsee schwimmen mehr als 400 Öl- und Gasbohrinseln, 208 davon in britischen Gewässern. Nach Schätzungen von Greenpeace enthalten die Inseln rund 250.000 Tonnen Giftmüll, darunter Schwermetalle, PCB-verseuchte Flüssigkeiten, Industriegase, Altöl und radioaktive Sulfate. Die Börsenmaklerfirma Wood Mac Kenzie aus Edinburgh hat errechnet, daß die Ausmusterung im Laufe der nächsten 35 Jahre umgerechnet etwa 21 Milliarden Mark kosten wird – also fast soviel wie der Eurotunnel unter dem Ärmelkanal.
Das wirtschaftlichste und umweltfreundlichste Verfahren ist die Zerlegung an Land, glaubt Greenpeace. Einer unabhängigen Studie zufolge könnten dadurch 3.186 Arbeitsplätze geschaffen werden. Hinzu kommt der Wert des Altmetalls: mehrere Millionen Tonnen Stahl, 193 Tonnen Aluminium und 184.000 Tonnen Edelstahl. Nach heutigen Preisen läge der Schrottwert bei 1,6 Milliarden Mark.
Nach der erzwungenen Shell- Wende, die dem Ruf des Unternehmens schweren Schaden zugefügt hat, scheint die Demontage an Land in Zukunft ohnehin die einzige Möglichkeit. Bereits in der Genfer Konvention von 1958 heißt es, „sämtliche Installationen müssen vollständig entfernt werden“. Und auf der Nordseekonferenz verabschiedeten die Teilnehmerstaaten vor zwei Wochen eine Resolution, wonach ausgemusterte Bohrinseln „entweder wiederverwendet oder an Land entsorgt werden“ müssen. Lediglich Großbritannien stimmte dagegen. Die Bestimmung tritt allerdings erst 1997 in Kraft.
Das britische Steuersystem für küstennahe Ölvorkommen bringt es mit sich, daß 60 Prozent der Kosten für die Demontage der 208 Inseln aus dem Staatssäckel bezahlt werden müßten. Allerdings, so merkte Greenpeace an, habe die britische Regierung in der Vergangenheit umgerechnet 230 Milliarden Mark an Steuern für das Nordseeöl einkassiert. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen