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Schindlers Semmel

■ Neu im Kino: „Hades“ von Herbert Achternbusch, eine Heldengeschichte aus bedrückend deutscher Zeit

Bayern 1994: Ein Mann sprengt eine Tankstelle in die Luft, nachdem seine Frau ihm gestanden hat, daß der Tankwart ihr Kind aus vorehelichen Tagen ist. Durch Münchens Straßen marschieren im Stechschritt volkstümliche Ausflügler, die nur die Wörter „Deitsch“ und „Bier“ kennen. Neonazis posieren für Fotos und killen Juden, während die Polizei Wurstsemmeln ißt. Ausländerinnen stürzen sich immer wieder in die Isar. Ein Mann allerdings kämpft tapfer gegen den alltäglichen Wahnsinn: Hades, der jüdische Bestattungsunternehmer mit indianerhafter Kriegsbemalung.

Hades rettet die Ausländerinnen aus dem Wasser. Hades stellt sie in seinem Unternehmen ein, wo sie Särge und Suppen verkaufen, Telefonanrufe entgegennehmen und Bier trinken. Zumindest bis ihr neues Heim einem Bombenanschlag zum Opfer fällt. Hades selbst wird im heroischen Schwertkampf gegen eine Skinhead-Bande Opfer eines geworfenen Backsteins. Im Sterben erzählt er einem Polizisten seine Lebensgeschichte: Wie er als kleiner Junge im Kamerakasten eines Wehrmachtfilmers dem Warschauer Ghetto entkam; wie er seine Mutter und Schwester zurücklassen mußte und wie er schließlich das Bestattungsunternehmen seines Vaters übernahm, der derweil in Stalingrad gefallen war.

„Und trotzdem, wenn man das nicht witzig gestaltete, wäre es der Mühe wert?“ fragt Regisseur, Autor und Hades-Darsteller Herbert Achternbusch rhetorisch bezüglich seines 25. Spielfilms. Zwar wird der streitbare Bayer nicht müde, zu betonen, wie sehr ihn „Schindlers Liste“ ermutigt habe, sich selbst dem Thema Judenvernichtung filmisch zu nähern. Aber wo Spielbergs Film die korrekten Empfindungen vorgibt, läßt „Hades“ das Publikum mitdenken und selbst entscheiden, wo es was fühlen möchte.

Wie sowas funktionieren kann, zeigt Achternbusch z.B. beim Umgang mit Dokumentaraufnahmen aus dem Warschauer Ghetto. Diese benutzt er, um Hades' Kindheitsgeschichte zu illustrieren. Achternbuschs Erzählerstimme läßt die Bilder zu einer Geschichte mit eindringlichen Charakteren werden. So kann das Publikum sie nicht als allgemeine Elendsbilder vorbeiziehen lassen, die man nach Verlassen des Kinos einfach wieder abschütteln kann . Bei einem weniger gewissenhaften Künstler hätte dieses Experiment zu weinerlicher Betroffenheitsduselei mißraten können. Achternbusch aber streut in seine Geschichte Bilder bunter Wandmalereien ein, streicht beschwingte Paganini-Musik drauf und macht so ein Kunstwerk daraus, das den Bildern keineswegs ihre Würde nimmt.

In den Spielszenen treibt der Humor des Filmemachers surrealistische Blüten. Beispielsweise, wenn er die Darstellerlnnen ihre Texte eher aufsagen als frei sprechen läßt: „Als Fische mögen die Fische ja ganz schön sein, aber als etwas Anderes gewinnen sie mein Vertrauen nicht.“ Achternbusch-Anhängerlnnen sind darauf ebenso gefaßt wie auf das esoterische Finale, in dem der tote Hades erneut zum Tode verurteilt wird. Die Kamera wackelt, es gibt Dialoge statt Zwischentitel und irgendwie hätte man das Ganze auch abkürzen können. Hat man aber nicht. Und das ist natürlich gut so, weil künstlerisch konsequent. Andreas Neuenkirchen

Kino 46 (Waller Heerstr. 46), tägl. bis Samstag um 18.30 Uhr; Sonntag bis Dienstag 20.30 Uhr

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