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Déjà-vus bis ins Dreistellige

Oper als Musical für den Bildungsbürger, das aber auf allerhöchstem Kitsch-Niveau: John Dew inszenierte in Hamburg Alfred Schnittkes „Historia von D. Johann Fausten“ à la Postmoderne  ■ Von Till Briegleb

Regisseur John Dew spricht im Zusammenhang mit Alfred Schnittkes Musik gerne von der siegreichen Postmoderne. Postmodern, so seine Definition, wird die zeitgenössische Musik dadurch, daß sie endlich wieder für ein Publikum und nicht gegen es komponiert ist. So absurd diese Erklärung in einer Diskussion über Postmoderne sein mag, die Verwendung des Begriffs sagt sowohl über Dews Inszenierungsstil als auch über seine Begeisterung für Schnittke einiges aus. Denn John Dews Postmoderne ist rein ästhetischer Natur und deckt sich ungefähr mit dem, was der allgemeine Sprachgebrauch von der Bedeutung übrig gelassen hat: die Lust am Zitat, der Orgasmus der Applikationen, die zügellose Wanderung durch Stile im Dienst poppiger Unterhaltung. Postmodern ist in seinem Sinne eine modische Erscheinung, wie wir sie von der architektonischen Postmoderne oder als Bezeichnung von Rockmusik-Kritikern für den Zitat-Pop und den New Wave der Achtziger kennen. Und eben diese ästhetischen Konzepte überbringt Dew beharrlich der Oper, wofür er landauf, landab als „Erneuerer“ gepriesen wird. Daß er hierfür in Alfred Schnittke den idealen Doppelpartner gefunden hat, erklärt sich schnell aus dessen Konzept. Denn was Dew seine Postmoderne, ist Schnittke seine Polystilistik. Der in Hamburg lebende russische Komponist bezeichnet damit seine musikalische Collagetechnik, die Fetzen aus den letzten 500 Jahren Musikgeschichte zu einem Patchwork vernäht. Natürlich gibt es darin auch Dissonantes, Neutönerisches, aber dank der reichen Auswahl, die ihm seine Vorgänger hinterlassen haben, kann der Komponist doch stets Werke schaffen, denen auch ein Abonnentenpublikum dankbar applaudiert. Nicht umsonst ist Schnittke der „meistgespielte Komponist der Gegenwart“. Da seit einigen Jahren auch sein Sohn Andrej, ein junger Mann mit Vorliebe für schmatzige Synthesizer-Sounds und schlecht programmierte Drum- Computer, bei ihm mitkomponieren darf, finden sich in Schnittkes neuester Partitur sogar Ansätze von HipHop und Andrew Lloyd Webber. Warum auch nicht? Schließlich ist die „Historia von D. Johann Fausten“, Schnittkes dritte Oper, die jetzt in Hamburg uraufgeführt wurde, ein Werk, das für und nicht gegen das Publikum komponiert wurde. Und da kann es nicht falsch sein, wenn man neben dem Stausee der Klassik auch aus den Quellen von Musical, Operette, Gassenhauern und Pop schöpft. Zudem man damit ja nicht den Goetheschen „Faust“ und mit ihm die deutsche Bildungsseele beleidigt, wenn man das Spiessche Volksbuch zu diesem Thema aus dem 16. Jahrhundert als Vorlage nimmt und es in Form einer religiösen Moritat verarbeitet. Moritaten sind nun mal eher derb und für den Geschmack jener Leute erdacht, die in der Kirche an Sex denken und beim Essen den lieben Gott verspotten. Kurz und gut: Man tut sicherlich weder dem Komponisten noch dem Regisseur einen Gefallen, wenn man in ihrem gemeinsamen Werk nach Tiefgang sucht. Schnittke wollte ein unterhaltsames Bilderbuch schaffen, und John Dew hat gemeinsam mit dem Bühnenbildner Heinz Balthes daraus einen schrillen Comic gemacht. Darin ist Faust ein eher einfaches Gemüt, das dem zweigeschlechtlich besetzten Mephostophiles mit der langweiligen Gradlinigkeit des Größenwahnsinnigen in die Falle geht. Und weil diese Figur nur wenige Szenen zur Verfügung hat, um den ganzen Weg vom Blutpakt bis zur höllischen Zerfleischung zurückzulegen, ist Dews Entschluß sehr weise, Psychologie und Differenzierung ganz aus dem Regiebuch zu streichen. Statt dessen komponiert das Regieteam berauschende Bilder in schneller Folge, für die sie ihrerseits die Kunstgeschichte plündern. Picassos „Guernica“ in 3D, bereichert um ein paar tote Soldaten, liefert den Hintergrund für den Auftritt der Helena. Die Reisen zur Hölle, in den Himmel und zum Paradies arrangiert man launig in bombastischen Tableaus im Stile von Bruegel, James Turrell und König- Ludwig-Kitsch. Und Fausts Abschied von seinen Studenten ist schließlich Leonardos „Abendmahl“ nachgestellt. Dazu läßt Schnittke, in Verkörperung seines örtlichen Orchesterleiters Gerd Albrecht, die Bläser krachen, wenn es die Dramatik verlangt, die Geigen – analog oder digital – wimmern, wenn die Unheimlichkeit der Stimmung es fordert, oder die geeignetste Karikatur, sei es Tango, sei es Monteverdi, erklingen, wenn die Szene danach schreit. Das sind Prinzipien des Musicals oder der Filmmusik, die Schnittke hier auf der Ebene der großen Oper einführt, und die dazu beitragen, daß man unterhalten, aber nicht gefordert wird. So hoch der Ereigniswert dieser Opern-Revue ist, so gering ist ihr Eigenwert – die Addition der Wiedererkennungen geht in die Dreistelligkeit: Von Robert Wilson zu Mahler, von Prokofjew zu Cabaret, von Bach zu Grunge-Mode, von der Bajuwarischen Befreiungsarmee zu Liberace reicht die Postmoderne/Polystilistik. Und wohin führt nun dieser Verlust des Zusammenhangs und der inneren Ordnung? Zu Kitsch auf höchstem Niveau, also zum Musical für den Bildungsbürger. Wenn dies die ersehnte Verjüngung der Oper sein soll, dann wird es höchste Zeit, daß die Intendanten Werbepausen zwischen den Akten einführen, damit sich diejenigen endlich die Oper leisten können, die sich sonst nur zu Justus Franz trauen.

Alfred Schnittke: „Historia von D. Johann Fausten“; Uraufführung an der Hamburg Oper; Regie: John Dew; Musikalische Leitung: Gerd Albrecht; Bühnenbild: Heinz Balthes; Kostüme: Jos-Manuel Vazquez; mit: Jürgen Freier, Arno Raunig/Hanna Schwarz u.a.

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