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Zwischen Holz und Mensch

■ Nach dem Erfolg von "Woyzeck on the Highveld": Die Handspring Puppet Company aus Johannesburg spielte auf dem Weimarer Kunstfest ihren "Faustus in Africa"

Zwischen zwei Rülpsern erschließt sich Kolonialgeschichte. Faust mampft und schlürft in wahnwitzigem Tempo eine Reisemahlzeit in sich hinein. Auf der Leinwand im Hintergrund wird Afrika im Zeichentrickfilm zerteilt, zermalmt, zerbröselt. Mit schlagender Selbstverständlichkeit verknüpft die Johannesburger Handspring Puppet Company europäische Forscherhybris mit dem Schicksal des ausgewrungenen Kontinents.

„Schon zu Anfang des Faust- Projekts war für uns klar, daß es um die Last gehen würde, mit der Europa auf Afrika drückt“, meint Regisseur William Kentridge, zugleich Schöpfer der Animationssequenzen. „Die psychologische Last, mit Europa verbunden zu sein, aber dennoch ganz woanders zu leben. Auch die Last der europäischen Klassiker. Oder auch die Last des Zentrums auf der Peripherie. Die Metapher all dessen ist die Kolonie.“

Im holzgetäfelten Kontor geht Faust im weißen Forscherkittel seinen Experimenten nach. Eine Puppe mit scharfgeschnittenen Zügen. Markenzeichen der schwarz-weißen Truppe ist die Kombination von Schauspielern und lebensgroßen Holzfiguren; eine merkwürdige Vereinigung zwischen Puppe und Puppenführer, der die ganze Zeit sichtbar neben der Puppe agiert. „Wir wissen immer noch nicht genau, wie diese Übertragung funktioniert. Wenn der Schauspieler auch nur für einen Augenblick seine Konzentration von der Puppe abwendet, verschwindet sie, wird zu einem Stück Holz in seiner Hand.“ Dramaturgische Schizophrenie, die die Figur auffächert, sich selbst entfremdet, im ständigen Oszillieren zwischen Holz und Mensch dennoch mit sich identisch sein läßt.

Die dreihundert Seiten von Goethes „Faust“ quetscht Kentridge auf zwanzig, verbindet sie mit Rap-Texten des afrikanischen Dichters Lesego Rampolokeng. Im Sog der metamorphosierenden Animationen und dem Rhythmus afro-karibischer Musik verschwinden die Nahtstellen von Rap-Reimen und Knittelversen, ist kaum mehr auszumachen, wo Goethe endet und Rampolokeng beginnt. Auch Bulgakow zieht in Fausts Afrika ein, mit einer räudigen Hyäne, die in „Der Meister und Margarita“ im Hofstaat des Teufels einherstreunt. „Um ehrlich zu sein, haben wir die feige Katze nur eingeführt, weil zwei Ensemblemitglieder noch eine Rolle brauchten“, gesteht Kentridge ein. In seiner Verschlagenheit nahm das Biest während der Proben immer mehr Raum ein, macht schließlich Mephisto das Revier streitig.

Über das Hegelsche Diktum vom Weltgeist, der Afrika nach den Pyramiden verlassen hat, um nie mehr wiederzukehren, regt sich Kentridge richtig auf. „Wenn Sie so wollen, zeigen wir Hegel mit unserer Aufführung den Vogel. Aber leider ist seine Haltung eine ziemlich zeitgenössische: Afrika kann man getrost vergessen.“ Um Weltalter vom antiimperialistischen Politgedröhne entfernt, betreibt die Handspring Company Analyse per Analogie. Wenn Gretchen, schwarze Krankenschwester im Kolonialdienst, am Spinnrad seufzt: „Meine Ruh' ist hin ... mein armer Kopf ist mir verrückt, mein armer Sinn ist mir zerstückt“, wollen der farbigen Puppenführerin die Worte „verrückt“ und „zerstückt“ nicht über die Lippen. Faust höchstselbst, fahlgesichtiger Europäer, wird den Goethe-Vers süffisant aus dem Off soufflieren. Auch noch das Vokabularium des eigenen Untergangs wird dem schwarzen Kontinent vom Norden eingestanzt. Indessen verwandelt Mephisto – konsequenterweise ohne hölzernes Alter ego – die Savanne mit souveräner Eleganz in einen Kolonialwarenladen, läßt afrikanische Dynastien stürzen, von Marionetten ersetzen, die wieder von Marionetten der Marionetten. „My witness is in Europe says the liar“ – neben das Abkommen mit Faust, der unaufhaltsam zum kolonialen Krösus avanciert, tritt der Pakt zwischen Mephisto, Diener Europas, und den afrikanischen Emporkömmlingen. Zahlungsmittel: bunte Uniformen, Waffen, Cash flow. Auf der Leinwand wandeln sich Flugzeuge in brummende Schmeißfliegen. Als gierige Gattin rotgeschärpter Präsidenten rafft Helena, ganz Madame Bokassa, hektisch teure Stoffe, Geschenke und Juwelen. Diamanten werden zu wimmelnden Mikroben, ein verkrüppelter Arm erscheint. „Warum sollte man nicht andeuten, daß die Diamantenkolliers an europäischen Hälsen alle einen gemeinsamen Ursprung haben: Afrikanische Minenarbeiter, die unter harten Bedingungen unter Tage arbeiten.“ „Fumez Helena pour la qualité“, sagt die Kolonial-Reklame.

Zu Mephistos Katalog der Korruptionen gehört natürlich auch die Großwildjagd. Kaum halten kann der tattrige Faust den riesigen Wildtöter. Als Beutetiere erscheinen auf der Leinwand unter anderem Albert Schweitzer, Peng! – Stalin, Peng! – Hegel, Peng! Nur Goethe, den Guten, kriegt er partout nicht vom Sockel geschossen. Von Katja Nicodemus

„Faustus in Africa“, von der Handspring Puppet Company Johannesburg. Die Gruppe gastiert vom 27. Juni bis 1. Juli am Hebbel Theater, Berlin

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