piwik no script img

Koalitionsvereinbarung: „Warum wir dagegen stimmen“

■ Eine innerparteiliche Kritik von Heinz-Gerd Hofschen und Reinhold Wetjen

Die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU liegt auf dem Tisch. Da die SPD die Bürgerschaftswahl verloren hat, und da sie sich in einer merkwürdigen Mitgliederbefragung, in der nicht politische Inhalte, sondern lediglich pauschale Sympathien für die eine oder die andere Koalitionsoption abgefragt wurden, auf Verhandlungen mit der CDU festgelegt hatte, war natürlich ein Kompromiß zu erwarten. Da man sich durch den Mitgliederentscheid bereits vorab der CDU ausgeliefert hatte, und diese im Parlament über die gleiche Stärke verfügt wie die SPD, war auch kein besonders günstiger Kompromiß zu erwarten. Doch das, was nun als Koalitionsvertrag vorliegt, ist kein Kompromiß, sondern auf wichtigen Feldern ein klares Zurückweichen der SPD, zumindest wenn man die programmatischen Ziele und die Wahlkampfäußerungen der Sozialdemokratie als Maßstab nimmt. Selbst gemessen am praktischen Regierungshandeln der letzten Jahre, das ja schon mehr als genug vom Vorrang der Wirtschaftsinteressen und von einer unsozialen Sparpolitik geprägt war, stellt der Koalitionsvertrag eine neue Qualität auf dem Wege zu einem Umbau unserer Stadt dar, bei dem soziale Gerechtigkeit und vernünftige Entscheidungen für unsere ökonomische und ökologische Zukunft immer mehr auf der Strecke bleiben.

Verschärfung des unsozialen Sparkurses

Im Koalitionsabkommen ist eine Verschärfung der Sparpolitik vereinbart worden, die allen Äußerungen Henning Scherfs widerspricht, die SPD werde darauf achten, daß die Haushaltskonsolidierung nicht allein von den Arbeitnehmern und den sozial Schwachen bezahlt werden muß. Bis 1998 sollen 570 Mio DM bei den konsumtiven Ausgaben eingespart werden, um das magische Ziel des §18 der Landeshaushaltsordnung zu erreichen, nach dem die Schuldenaufnahme nicht höher als die Investionsausgaben sein darf. Schon bisher sind die Sparmaßnahmen fast ausschließlich im Sozialbereich, bei Bildung und Kultur und durch Abbau von Stellen im Öffentlichen Dienst vorgenommen worden. Auch die jetzt vereinbarte gewaltige Kürzungssumme wird aus diesen Feldern kommen, denn das Wirtschaftsressort und die Investionsprogramme sind von allen Einsparungen ausgenommen. Der Koalitionsvertrag sieht eine pauschale 10prozentige Kürzung bei allen Zuwendungsempfängern vor. Mit dieser bürokratischen Vokabel sind alle nichtstaatlichen Einrichtungen gemeint, die öffentliche Zuschüsse erhalten, also von den Wohlfahrtsverbänden über Beschäftigungsinitiativen und Frauenhäusern bis hin zu Theater und Kunsthalle. Wo ist bei dieser Rasenmäherkürzung, die alle diejenigen trifft, die bislang die Folgen der Arbeitslosigkeit zu mindern und die sozialen und kulturellen Standards einigermaßen aufrechtzuhalten versucht haben, noch der Anspruch sozialer Gerechtigkeit erkennbar? Die Verschlechterung der Lehrer-Schüler-Relationen und der Rückzug des Staates aus der Kinderbetreuung für die Kinder unter 3 Jahren, die Absage an eine Erweiterung der städtischen Kindergartenkapazitäten und die angekündigte Absenkung der ABM-Gehälter unter die bisherigen Tariflöhne – wie lassen sich diese Maßnahmen mit dem Anspruch der SPD vereinbaren, die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitslosen und sozial Benachteiligten zu vertreten? Es wird jetzt der Einwand kommen, daß angesichts der prekären Haushaltslage auf jeden Fall gespart werden muß. Aber warum wird dann den Privatschulen jede Kürzung erlassen (was 3 Mio. DM kostet, die woanders eingespart werden müssen), warum werden die Wirtschaftsförderung und die zum Teil unsinnigen Investitionsprogramme nicht auch nach Sparmöglichkeiten durchforstet, bevor man die sozialen und kulturellen Einrichtungen unserer Stadt weiter ruiniert?

Betonpolitik

Die soziale Schieflage des Koalitionsvertrages wird noch deutlicher, wenn man die Vereinbarungen zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik betrachtet. Es herrscht eine vollständige Konzentration auf eine wachstumsorientierte Wirtschaftsförderung vor, der die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nachgeordnet wird. 4,3 Milliarden DM sollen in den nächsten vier Jahren für Investitionen ausgegeben werden. Große Teile davon fließen in die traditionelle Gewerbeflächenpolitik, die auch bislang die Arbeitslosigkeit kaum hat senken können, den Unternehmen, deren Investitionen auch weiterhin bis zu 28 Prozent öffentlich bezuschußt werden, aber weitere Finanzspritzen gibt und die geringen Naturflächen versiegelt. Großprojekte, die zwar schon jetzt viel Geld kosten, deren Gelingen aber unsicher ist und deren Arbeitseffekte gering sein dürften – wie der Space-Park und der Ocean-Park – sind ebenso vereinbart worden, wie eine geradezu horrende Betonpolitik beim Ausbau der Infrastruktur – vom achtspurigen Ausbau der A1 bis zur Georg-Bitter-Trasse. Von einer Verzahnung von Wirtschaftsstrukturpolitik mit der Arbeitsmarktpolitik, für die die SPD vernünftige Konzepte entwickelt hat, findet sich nichts wieder. Eine vorausschauende Industriepolitik fehlt gänzlich und der Stellenwert der Arbeitsmarktpolitik, mit der in den vergangenen Jahren die Arbeitslosigkeit wenigstens gedämpft werden konnte, läßt sich schon daran erkennen, daß das Arbeitsressort unter Aufgabe seiner Weiterbildungskompetenzen als Appendix an das Häfenressort angegeliedert wurde. Es paßt in das Bild einer einseitig die Wirtschaftsinteressen betonenden Politik, daß der Bremische Mustergrundstücksvertrag, mit dem Gewerbeflächensubventionen an die Schaffung von Arbeitsplätzen gebunden werden sollen, diese Bindung verlieren soll.

Eine der heikelsten Festlegungen des Koalitionsvertrages betrifft die Gewoba. Den Wahlkampf hat die SPD mit dem Versprechen bestritten, mit ihr käme eine Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes nicht infrage. Nun sollen 49 Prozent der Gewoba als Aktien an der Börse verkauft werden. Ein solches Verhalten pflegte die SPD als Wahlkampflüge zu brandmarken, zumindest wenn andere Parteien so etwas taten.

Die Ressortverteilung

Daß sich die CDU in diesem Koalitionsvertrag deutlich durchgesetzt hat, wird besonders an der Verteilung und dem Zuschnitt der Ressorts deutlich. Angesichts der Übernahme der zentralen Ministerien für Finanzen, Wirtschaft, Bau und Stadtentwicklung und Inneres hat das Handelsblatt treffend von der Machtfülle für die CDU geschrieben. Es ist in den letzten Tagen in vielen Kommentaren darauf hingewiesen worden, daß die SPD mit ihren Ressorts Soziales, Gesundheit, Jugend, Umwelt und Bildung, Wissenschaft und Kultur die Bereiche übernommen hat, in denen gespart werden wird, und auf die sich entprechend der Unmut der von den Kürzungen Betroffenen konzentrieren wird. Manfred Muster, der Bremer IG-Metall-Bevollmächtigte, hat das passend auf die Formel gebracht, die CDU habe die Politikgestaltung übernommen und die SPD die Mangelverwaltung.

In der Tat hat der Finanzsenator, der die Eckwerte für die Ressorts festlegen kann, die Schlüsselposition in der neuen Regierung, und auch die Zuteilung von Mitteln aus dem Wirtschaftsaktionsprogramm auf die Ressorts für Einzelprojekte, was die SPD-Verhandlungskommission als großen Erfolg wertet, unterliegt der Zustimmung von Finanz- und Wirtschaftssenator. Bei den Haushaltsberatungen im Herbst werden wir sehen, wie diese von ihren Kompetenzen Gebrauch machen werden, und die beiden sozialdemokratischen Senatorinnen, die übrigens Mammutbereiche übernommen haben, mit denen auch erfahrenere Politikerinnen unter diesen Umständen überfordert wären, werden das zu spüren bekommen. Die zahlreichen Leerformeln und die vielen Prüfaufträge in diesem Koalitionsabkommen, die alle noch der praktischen Ausfüllung bedürfen, erhöhen noch die Einflußmöglichkeiten derjenigen, die das Geld verwalten. Daß selbst die Europapolitik, mit deren Hilfe bislang viel für Arbeitsmarktmaßnahmen und für die Umstrukturierung der Bremer Wirtschaft getan werden konnte, ebenso an die CDU fällt wie das zentrale Bauressort mit den Zuständigkeiten für Stadtentwicklung und Verkehr, rundet das Bild ab, daß die SPD sich weitgehend von der Politikgestaltung im Senat verabschiedet hat.

Konsequenzen

Auch wenn sich in dem Koalitionsabkommen auf einzelnen Feldern sozialdemokratische Vorstellungen haben durchsetzen lassen – dies gilt besonders für den Umweltbereich – so ist die Gesamtbilanz doch keineswegs akzeptabel. Diese Politik wird die Probleme Bremens nicht verringern, sondern zur weiteren sozialen Polarisierung und Entsolidarisierung beitragen. Sie wird der SPD einen weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit und an Unterstützung in der Wählerschaft bringen. Wir werden daher auf den Parteitagen und in den Gremien der SPD, die über den Koalitionsvertrag befinden müssen, gegen dieses Abkommen stimmen.

Wir wissen, daß die Mehrheit der Partei sich wohl anders entscheiden wird, weil sie zu dem jetzt ausgehandelten Ergebnis keine Alternative sieht, weil sie den Bürgermeisterkandidaten stützen will oder weil sie meint, mit der Regierungsbeteiligung Schlimmeres verhindern zu können. Aber wir hoffen, daß sich ein relevanter Teil der Partei gegen eine so weitgehende Aufgabe sozialdemokratischer Zielsetzungen aussprechen wird und durch die Ablehnung des Vertrages deutlich macht, daß die SPD kein bequemer Partner für die CDU sein darf.

Ein weiterer Profilverlust der Sozialdemokratie, der den seit Jahren fortschreitenden Niedergang der Bremer SPD besiegeln würde, kann nur durch eine konfliktbereite, die Interessen der eigenen Wählerinnen und Wähler vertretende Politik aufgehalten werden. Ein gemeinsames Handeln von sozialdemokratischen Senatsmitgliedern, der SPD-Bürgerschaftsfraktion und der Parteibasis wird in den nächsten Jahren nicht möglich sein. Dazu sind die Aufgabenstellungen zu unterschiedlich. Die SPD-Mitglieder im Senat werden im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen Konsens mit dem Koalitionspartner herstellen. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion wird vielleicht versuchen, im Parlament und in der Öffentlichkeit sozialdemokratische Politik zu vermitteln. Aber nur wenn sie die Vermittler-Rolle zwischen Regierungshandeln auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung und der Bevölkerung verläßt und die von der CDU besetzten Bereiche Finanzen, Wirtschaft, Bau und Inneres kritisch begleitet und eigene Konzepte einbringt, kann sie wieder politikfähig werden.

Der Parteibasis fällt die eigentlich entscheidende Rolle zu, die Partei zu reformieren und die Sozialdemokratie in Bremen inhaltlich zu profilieren. Das bedeutet, daß die Partei sich nicht mehr vom Senat und von der Bürgerschaftsfraktion deckeln lassen darf. Sie müßte einen eigenen Weg der Erneuerung und der inhaltlichen Profilierung gehen.

Will die SPD in Bremen die Politik wieder wesentlich mitgestalten, muß sie wieder lernen, innerparteilich solidarisch zu streiten und mit dem politischen Gegner um sozialdemokratische Inhalte zu ringen. Schon bald wird sich zeigen, ob sie in der Lage ist, diese außerordenliche Kraftanstrengung durchzuhalten oder wieder in Lethargie verfällt. Denn am Anfang muß eine schonungslose Analyse des Zustands der Partei stehen. Schon 1992 nach der Wahlniederlage hat es keine Reform der Partei gegeben, was sich bitter gerächt hat. Das Selbstbewußtsein der Basis ist am Ende, das ihrer Mandatsträger nicht viel besser.

Bei der Beschlußfassung über die Koalitionsvereinbarung auf den Parteitagen muß die Partei mit der kritischen Begleitung der Regierungsarbeit zu beginnen. Die Bevölkerung muß erkennen und unterscheiden können, was die SPD will und was ihr der Koalitionspartner abgerungen hat. Eine schwache SPD, die den ausgehandelten Koalitionsvertrag einfach nur hinnimmt, schwächt die Position der Mandatsträger der SPD. Die SPD und ihr Landesvorstand dürfen sich nicht vom Präsidenten des Senat oder der SPD-Bürgerschaftsfraktion – wie in der Vergangenheit – die politischen Vorgaben diktieren lassen, sondern müssen gemeinsam mit Initiativen und Gewerkschaften, mit denjenigen, die für eine soziale und umweltverträgliche Stadt kämpfen wollen, auch außerparlamentarisch aktiv in die Politik eingreifen. Die SPD in Bremen wird scheitern, wenn sie nicht wieder als Garant für soziale Gerechtigkeit und für eine lebenswerte Stadt erkennbar wird.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen