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■ ÖkolumneGrüne Traversale Von Manfred Kriener

Das Schönste an der Startbahn-West war immer die „Küchenbrigade“, die echten Muttis und Omas aus Mörfelden-Walldorf mit ihrem legendären Marmorkuchen. Dicht dahinter folgten auf der Skala des Entzückens die Tirolerhut- und Kniebundhosen-Demonstranten. Im badischen Wyhl faszinierten uns die Winzer und rotgesichtigen Bauern, die ihren Schweinen Namensschilder von Spitzenpolitikern umhängten, um sie anschließend gröhlend durchs Dorf zu jagen. Und auch in Gorleben ließen vor allem protestierende Pastoren, Bauern, Rentner und Schüler unsere Herzen höher schlagen. Die Mobilisierung von Nora Normal und Dieter Durchschnitt, die ganz große Koalition quer durch alle gesellschaftlichen Schichten: Sie hat uns schon immer den Kopf verdreht. Unzählige Male wurde sie herbeigesehnt, -geschrieben und -geschrien. Zuletzt kam sie ganz von allein. Die Koalition gegen Shell war nicht mehr und nicht weniger als eine veritable Öko- Revolution. Eine gelungene noch dazu. Es war der bisher größte Erfolg der Umweltbewegung in den 90er Jahren. Es war die Geburt einer gesellschaftlichen „Traversale“ vom CSU-Minister bis zur Greenpeace-Kämpferin, vom Papa mit Golf bis zum Autonomen mit Brandsatz. Es war die Stunde des Triumphs der Umwelt. Da wurde ein ebenso mächtiger wie mieser Öl-Multi in wenigen Tagen von einer wachsenden Zwergenschar so gründlich zur Sau gemacht, daß die schlotternden Konzern-Vorständler in ihren schweißnassen Oberhemden schon beinahe einen Mitleid-Bonus bekamen.

Kurz: Es war wunderbar!

Das Verrückte ist nur, daß viele die neue großartige Konstellation noch nicht richtig begreifen (wollen). Ein bißchen ist es wie an Weihnachten. Nach der Bescherung kommt die Depression. Und schon wird der eigene Triumph von ideologisch mäkligen Links- und Rechthabern kleingeredet. Statt Aufbruch kleinkariertes Gemecker. Da wird die CSU als Trittbrettfahrerin beschimpft, da wird Papas Boykott als „läppische Aktion, die nichts kostet“, relativiert. Und da wird das neugewonnene Instrument inflationär eingesetzt, der nächste „richtige“ Boykott gegen Frankreich gefordert, um Chiracs Atombombentests zu stoppen.

Aber der Reihe nach: Die Wut auf die Trittbrettfahrer von CSU und FDP ist schon wieder originell. An einem Boykott dürfen sich, folgt man den Kritikern, also nur aufrechte, gestandene Ökologen mit grüner Weste beteiligen. Boykottieren darf demnach nur jene kleine Gemeinde, die schon seit Jahren erfolglos zu unzähligen Aktionen aufgerufen hat und entsprechend gestählt ist. So baut man Ghettos und zementiert seine Niederlagen.

Dabei braucht der Zug in die Zukunft Millionen Trittbrettfahrer. Die CSU sollte nicht länger arrogant beschimpft, sondern beim Wort genommen werden. Bravo Waigel, Porzner! Weiter so! Wann trifft sich Greenpeace mit den weißblauen Jungs, um die nächste gemeinsame Aktion zu besprechen?

Und Papa mit dem Golf? Der ist doch nur 100 Meter weiter zur nächsten Tankstelle gefahren. Richtig. Aber genau darauf kommt es an. Boykottaktionen sind dann unsinnig, wenn sie zuviel von den Akteuren verlangen. Sie müssen unkompliziert und leicht durchführbar sein. Statt A tanke ich B oder C. Statt Rindfleisch esse ich Pute oder Hammel. Die Geringschätzung der simplen, aber ungeheuer wirkungsvollen Meidung von Shell-Tankstellen ist typisch für eine asketisch-masochistische Neigung in der Ökogemeinde, die gerne Opfer verlangt und Verzicht predigt.

Aber wie ist es eigentlich zu dem durchschlagenden Boykott gekommen? Warum hat diesmal funktioniert, was sonst regelmäßig in die Hose ging? Diese Fragen sind noch nicht beantwortet. Ein wichtiger Punkt dabei: Die Öko-Rhetorik, die den öffentlichen Diskurs seit Jahren prägt, hat längst eine eigene Dynamik entwickelt. Das ständige „Umwelt-Geschwätz“ von Konzernen, Politikern, Werbeagenturen und Medien hinterläßt Bewußtseinsspuren – auch dann, wenn es nicht aufrichtig gemeint ist. Je häufiger Bayer, Hoechst, Opel, Mercedes und Shell ihr Umweltengagement beschwören, desto höher hängen sie das Thema. So werden sie Opfer ihrer eigenen Lippenbekenntnisse.

Die Zeit ist reif für den Boykott. Jetzt heißt es: Selbstbewußt den nächsten Kandidaten suchen. Und dann mit Porzner und Waigel reden!

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