: Den Spirit weitergeben
■ Quo vadis, Love Parade? Ist Techno heute, wenn Hunderttausend den Ku'damm runterraven? Laß uns drüber diskutieren, meint Patrick Walder, (Mit-)Herausgeber des ersten Textbuchs zu Techno
taz: Am Samstag ist es wieder soweit: Die Love Parade zieht über den Ku'damm. Mit dir oder ohne dich?
Patrick Walder: Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Ich war noch nie bei einer Love Parade. Hat halt Volksfestcharakter, das Ganze. Aber ich muß es mir wohl schon mal anschauen.
Hast du die Debatte darüber verfolgt, ob und wie politisch die Love Parade ist?
Ich hab mir das aus der Ferne ein bißchen angesehen.
Und?
Ich habe wenig Lust, aus der Provinz von Zürich nach Berlin zu kommen und auf den Veranstaltern, sprich: den Low-Spirit-Leuten, herumzuprügeln. Ich weiß auch nicht, ob es richtig ist, die Diskussion um die Politizität von Techno an dieser Love Parade aufzuhängen. Ich find's einerseits richtig, daß sie stattfinden darf, und ich finde andererseits nicht, daß es eine Demonstration ist, die politische Forderungen trägt. Es ist eine Feier, und ich finde es legitim zu feiern.
Ein Legitimationsbedürfnis scheint mittlerweile doch da zu sein – wie man auch an eurem Buch sieht.
Das ist wahr, das ist witzig. Das höre ich nicht zum ersten Mal. Es war nicht primär unsere Motivation, aber offensichtlich muß da so was drinstecken. 1994 gab es das Bedürfnis, mal innezuhalten und eine Verlangsamung hineinzubringen in die ungeheure Beschleunigung, die von Techno ausgeht. Es ging auch darum, Positionen zu besetzen, noch vor der Legitimierung. Wir wollten der Szene zeigen, daß es auch etwas anderes gibt als Massen-Raves. Viele haben mittlerweile das Gefühl, Techno ist dann, wenn 20.000 Raver zusammenstehen.
Genau das passiert aber doch immer öfter. Wie ist der Blick von Zürich aus auf Berlin und die Low-Spirit-Posse?
Ihr wollt's ja wirklich wissen. (lacht) Es gibt keine Zürcher Position zu Low Spirit. Es gibt auch in der Schweizer Szene sehr verschiedene Strömungen oder Families, und ich glaube, da spielen sich im kleineren dieselben Differenzen und Grabenkämpfe ab. Der Unterschied ist, daß es in Zürich nicht so eine dominante Industrie gibt wie hier Low Spirit. Aber auch so was ist kein Grund, sich immerzu Asche aufs Haupt zu streuen und von Ausverkauf zu reden.
Ein Teil der Ressentiments, die mittlerweile den Low-Spirit-Leuten gegenüber da sind, entspringt sicherlich dem klassischen Sozialneid auf die, die es geschafft haben. Andererseits hat sich in Berlin Techno am klarsten mittelständisch durchgesetzt – mit einer hegemonialen Szene vorneweg.
Aber ist die denn so wichtig? Berlin kommt in unserem Buch kaum vor, es ist mehr die Peripherie, die uns interessiert hat: Detroit, Chicago oder die schwule Clubszene. Und diese Nischen hier in Europa, die genauso interessant sind. Da ist mehr Subkultur drin als in der weißen Berliner mittelständischen Geschichte. Es geht um die Brüche und Risse in den Schaltkreisen.
Trotzdem, auf dem europäischen Kontinent haben sich vor allem Berlin und Frankfurt durchgesetzt, nicht die Randströmungen. Während von hier aus die Vermassung vorangetrieben wird, sitzen in Detroit die Erfinder von Techno und wundern sich, daß der Markt sie aufsaugt und dann an ihnen vorbeizieht. Gibt es mittlerweile den Wunsch, Gerechtigkeit walten zu lassen nach dem Motto: Wir haben den Groove von unseren Detroitern nur geliehen?
Gute Frage, diskutieren wir darüber. Vorneweg will ich noch einmal sagen: Ich habe nichts gegen Figuren wie Sven Väth oder Westbam. Die machen ihr Ding, und das ist nicht unbedingt mein Ding, obwohl ich ganz gerne zu Sven Väth abtanze.
Hast du gesehen, daß Väth in Anzeigen für den SPD-Bürgermeisterkandidaten in Frankfurt geworben hat?
Ja, habe ich gesehen. Was soll ich dazu sagen, ich finde das sehr hilflos. Andere treten mit Sponsoren auf, er tritt für die SPD auf. Ich glaube, daß beides ungefähr ähnlich weit entfernt ist vom Politikverständnis, was Techno vielleicht haben könnte.
Manchmal – gerade auch bei eurem Buch – bleibt der Eindruck, es ginge darum, die Widersprüche, die in der Diversifizierung von Techno angelegt sind, noch einmal magisch zu versöhnen, indem man einfach nur alles dokumentiert und auf Wertung verzichtet.
Ich finde, das stimmt nicht. Man kann das als elitär kritisieren – aber wir haben uns schon hingesetzt und uns ein Konzept überlegt, haben gezielt Leute angesprochen. Es ging uns darum, minoritäre Positionen zu stärken. Wir haben zwar das Laarmann-Manifest, wo er sich für die „Raving Society“ ausspricht, mit drin, aber das ist wirklich ein Dokumentationstext, der unbedingt in so ein Buch hineinmuß, weil sich ganz viele Texte oder Aussagen auf den Begriff beziehen. Wichtig ist auch, daß die Techno-Szene im Moment noch in der Situation ist, wo es eine gewisse Durchlässigkeit der Positionen gibt. Bei Diskussionen selbst innerhalb der Frontpage-Redaktion gibt es keine homogene Front. Vielleicht ist es der letzte Moment, wo die Szene sich noch einmal versammeln konnte, bevor alles auseinanderstrebt. So gesehen ein Versuch, den Spirit weiterzugeben.
Der Versuch einer „wahren Geschichte des Techno“ – gegenüber Fremdzugriffen?
Laß mich mit einer Geschichte antworten. Letzten August fand am Wochenende von Street Parade und Energy [zwei Schweizer Techno-Großveranstaltungen; d. Red.] in Zürich ein Managerseminar statt: „The Way to the hard- sell Generation“, von einer Trendagentur mit dem Gottlieb-Tuttweiler-Institut organisiert. Die haben für Manager ein Techno-Seminar abgehalten, wo es abends zum Energy ging. Ich wurde da eingeladen, weil ich zu der Zeit das Buch über Ecstasy herausgebracht hatte, auch Günther Amendt war da. Die Street Parade tanzte draußen vor dem Haus vorbei, und wir waren also da drin. Das Interessante aber war die klare Zweiteilung der Referenten. Es gab auf der einen Seite die Leute, die über ihre Erfahrungen in der Techno-Szene berichteten – als Veranstalter oder als Sponsor, die Camel-Frau Elke Schwellenbach als zynischstes Beispiel. Und auf der anderen Seite diejenigen, die über die Szene erzählt haben, über die Drogen, das Lebensgefühl – alles durchweg Linke, zumindest aus der Alternativkultur, Underground, nicht universitär und nicht bürgerlich. Das ist ja eine klassische Situation mittlerweile, daß sich eine Alternativkultur anderen andient, um zu vermitteln, daß man sich also auch kaufen läßt ein Stück weit. Ich habe mich aber doch gewundert, wie klar da die Plätze verteilt waren: Daß die Manager, wenn sie sich informieren wollen, die Linken einladen müssen. Das war eine ganz starke Motivation, diese Vormachtstellung bei der Interpretation. Die müssen wir halten. Ich will mir nicht von den Bürgerlichen in einem Jahr erzählen lassen, was Techno gewesen ist.
Am gleichen Wochenende war in Zürich die Ausstellung „When Techno turns to Sound of Poetry“, die aus einer linksfeministischen Position Biotechnologie kritisiert hat. Gab es Berührungspunkte?
Jede Erweiterung über das sehr beschränkte Publikum hinaus, das am Nachdenken über Techno interessiert ist, finde ich prinzipiell begrüßenswert. Die Leute von der Shed-Halle, wo die Techno-Ausstellung stattgefunden hat, machen ein gutes Programm, aber sie haben einen wahnsinnig akademischen Zugriff auf Themen. Bei diesem Thema waren sie zu weit entfernt von dem, was in Techno abging.
Wird die Techno-Bewegung sich politisieren?
Uns ging es darum, verwandte Positionen zu suchen oder – ganz banal – das Phänomen zu beschreiben und dabei einen geraden Satz hinzukriegen, was die ganzen Techno-Magazine nicht leisten. Und es ging um Leute, die mehr darüber wissen, als nur die Computerkabel zusammenzustecken. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß die Techno-Szene sich politisiert. Das wäre doch ganz schön gespreizt. Was richtig ist: Wir haben eine gewachsene Alternativkultur in der Schweiz, wo auch Autonome in die Clubszene hineingekommen sind. Man kriegt nicht unbedingt eine Lizenz, also werden viele Clubs illegal betrieben. Der wichtigere Grund ist, daß wir aus der Provinz, von der Peripherie sind und deshalb nicht so leicht in den Motor hineinkommen und in die Pose der Nabelschau verfallen.
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Wenig nachgedacht wurde bislang über den ganzen Bereich der betriebswirtschaftlichen Organisation: vom Club über die Gastronomie und die Klamottenläden bis hin zum DJ-Booking und zu den Türstehern. Dabei macht doch erst der hohe Grad von Marketing Techno heute zu dem Phänomen, mit dem man sich kulturell beschäftigt.
Uns war es halt wichtig, zwischen Motor und Förderband zu unterscheiden. Wir haben uns auf den Motor beschränkt, weil ich glaube, daß Musik immer noch der Motor ist, auch wenn Laarmann sagt, es seien die Maydays, die Techno ausmachen. Man muß sich vor Augen halten, daß Techno weiterhin eine chaotische Szene mit tausend Kleinlabels ist und daß DJs unter sieben verschiedenen Namen veröffentlichen. Das steht noch immer als Bedrohung der Musikindustrie da – auch wenn jetzt Pop daraus gemacht wird.
Eine der Techno-Utopien besteht darin, nicht suizidgefährdet und zynisch zu sein wie die Generation X, sondern fit, gesund und frei. Man tanzt gerne, differenziert Geschlechterfragen aus, gibt sich tolerant und denkt visionär in die Zukunft hinein. Die ideale Jugend als Status quo in einer technisch revolutionierten Welt?
Nein, eben nicht. Günther Amendt hat mir letztens gesagt, daß wir vielleicht die letzten Exemplare einer Jugendszene sind, die das alles noch reflektieren, und das hat damit zu tun, daß ich eben nicht '70, sondern '67 als Kind der linken, antiautoritären Bewegung geboren bin. Ich hätte also eigentlich mehr zur Generation X gehören müssen, habe es aber doch noch so hingekriegt, auf Techno abzufahren. Aber es greift noch weiter: Techno bedeutet Modernität. Es wird von denjenigen als Beispiel für Modernität gebraucht, die die neue Informationsgesellschaft durchsetzen wollen. Wie gehen wir damit um? Manche sagen: Was prügelt ihr auf uns rum, wir sind ja die Leute, die Designer, die Kreativen, die Computerfreaks, die zukünftige Elite. Unser Ansatz ist, daß wir nicht mehr um Technologie herumkommen, aber Techno ist vom Ansatz her immer auch die Technologie gegen den Strich gebürstet. Acid wurde entwickelt, weil Musiker an der TR303 herumgebastelt haben, ohne die Gebrauchsanweisung gelesen zu haben, und daraus entstanden dann diese merkwürdigen Töne. Man erobert sich Netze. So wie im Internet, wo die Zapatisten ihre eigenen Kommuniqués veröffentlichen. Dazu mein Lieblingssatz von Sascha Kösch: Techno, das ist die Zerbröselung und Wiederauferstehung der Welt im Computer. Man zerhaut sich die Welt in Samples und gibt nicht mehr vor, daß es wahr oder echt ist. Das ist das Faszinierende. Es ist ein Modell zur Bewältigung von Alltagssituationen, wo du die permanente Überforderung hast. Die Forderung nach Rollenspielen, wo die Identität immer wechseln muß. In Techno gibt es den Wahrheitsanspruch nicht mehr. Das ist ein Befreiungsakt, der ziemlich wohltuend ist. Die Vorstellung einer Elite entsteht erst dann wieder, wenn man die Künstlichkeit als echtes Gefühl ausgibt, wie zum Beispiel Marusha es tut.
Die klassische kulturpessimistische Interpretation wäre, daß die Durchsetzung neuer Technologien in aller Regel erst mal mit einer Romantik- und Glamour- Phase verbunden ist ...
Das Love-Peace-Unity-Ding ...
Noch nicht einmal Love-Peace- Unity, sondern das, was in Manifesten „Tanz auf dem Vulkan“ heißt: Man ist zur Hälfte schon von der Technologie überwältigt, die man aber noch zu beherrschen glaubt ...
Das würde ich absolut nicht bestreiten. Ich kann mir vorstellen, daß wir Wegbereiter sind, auch auf unangenehme Weise. Aber wir wollen das Ganze erst einmal verstehen – wo sich schon viel zu viele Linke gleich ausklinken, weil sie es einfach nicht mehr verstehen oder auch nicht mehr verstehen wollen. Wir suchen nach anderen Zugängen. Das kannst du als romantische Phase abtun, aber das ist in der Szene Realität. Der soziale Umgang zum Beispiel: Techno ist die erste Jugendkultur der neunziger Jahre, die primär nichtnationalistisch, -rassistisch, -sexistisch und -gewalttätig ist. In diesem Umfeld, gerade in Deutschland, ist das doch eine Sensation. Das Party-Feeling, die Party mit allen – setz mal dagegen den Rechtsruck in Deutschland. Der wurde auch mit Techno zurückgedrängt.
Interview: Harald Fricke
und Thomas Groß
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