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Atombewaffnung nie angezweifelt

■ Der Europaabgeordnete der Bündnisgrünen, Dany Cohn-Bendit, zur französischen Haltung gegenüber den eigenen Atomwaffen

taz: Was halten Sie von den angekündigten Atomtests?

Cohn-Bendit: Ich bin selbstverständlich dagegen. Das Europaparlament hat die Franzosen in einer Resolution nachdrücklich aufgefordert, das nicht zu machen. Und auf dem letzten EU-Gipfel in Cannes wurde Chirac auch von EU-Mitgliedsregierungen gebeten, auf die Testserie zu verzichten.

Das hat den neuen Staatspräsidenten der Republik offenbar nicht sehr beeindruckt ...

Die Franzosen haben eine Macke – so wie die Deutschen auch. Die Deutschen glauben, daß sie mit einer demokratischen Armee, die in ein Bündnis demokratischer Staaten eingebunden ist, nicht dort eingreifen dürfen, wo die Wehrmacht des faschistischen Deutschland vor mehr als 50 Jahren barbarische Greueltaten begangen hat. Gerade von meinen Parteifreunden wird mit dieser Argumentation ein Militäreinsatz etwa in Bosnien abgelehnt. Das ist eine isolationistische und eigentlich auch nationale Politik. Die Franzosen glauben dagegen, daß sie nur die Atomwaffen davor schützen, noch einmal von einer fremden Armee überrollt zu werden – wie 1940 von der Armee aus Hitlerdeutschland. Mit dieser Argumentation hat de Gaulle in Frankreich eine nationale Atomwaffenstreitmacht aufbauen können. Und selbst in der kommunistischen Partei war der Atomwaffenbesitz der Grande Nation nie ein Diskussionsthema. Die französischen Atombomben sind Ausdruck der umfassenden Niederlage von 1939/40 – so wie die deutsche Abstinenz von Kampfeinsätzen der Nato etwa für die UNO auch ein Ausdruck der Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg ist.

Muß die Weltgemeinschaft die Atombombenversuche also hinnehmen?

Nein. Eliminieren lassen sich die nationalen und isolationistischen Tendenzen allerdings nur, wenn es gelingt, sie in internationalen Zusammenhängen aufzulösen. Frankreich muß Vollmitglied in der Nato werden – und Deutschland seine Sonderrolle innerhalb der Nato aufgeben. Erst wenn die Franzosen glauben, daß ihnen ein international organisiertes Verteidigungssystem, in das der deutsche Nachbar – normal – integriert ist, ausreichend Schutz bietet, werden sie bereit sein, auf ihre Atomwaffen zu verzichten.

So lange können die Menschen in der Region, die vom radioaktiven Fallout unmittelbar betroffen sein werden, aber nicht warten. Ist ein Boykott der richtige Weg, um die Testserie noch zu verhindern?

Das glaube ich nicht. Ein Boykott französischer Waren ist nicht zu organisieren und würde wirkungslos verpuffen. Den politischen Boykott müssen die betroffenen Länder wie Australien oder Neuseeland organisieren – und wir müssen auf allen politischen Ebenen intervenieren. Es muß gelingen, das Meinungsklima in Frankreich zu verändern. Das wird schwer werden. Doch wichtige Medien in Frankreich gehen schon auf Distanz zu Chirac und verurteilen die angekündigten Atomwaffenversuche. Zu einem Stimmungsumschwung in Frankreich könnte auch Deutschland beitragen, indem wir sagen: – Okay, Franzosen. Ihr verzichtet auf die Atomwaffenversuche – und wir beteiligen uns dafür an Einsätzen zur Befreiung von Sarajevo. Interview: Klaus-Peter

Klingelschmitt

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