: Alles nur ganz normale deutsche Exoten
Heute vor 75 Jahren überschritt der dänische König Christian X. die Grenze und feierte die Wiedervereinigung Südjütlands mit Dänemark / Seither gibt es in Dänemark eine deutsche Minderheit und in Schleswig eine dänische ■ Von Jürgen Karwelat
Im dänischen Südjütland stehen mehr Wiedervereinigungsdenkmäler als irgendwo sonst. Kein Dorf gibt es, das nicht einen riesigen Findling oder ein Monument hätte, das darauf hinweist, daß dieser Teil von Dänemark mit der Volksabstimmung vom 20. Juni 1920 in das dänische Königreich zurückgekehrt war.
1864 hatte sich Preußen im deutsch-dänischen Krieg Nordschleswig unter den Nagel gerissen. Als in der Folge des Ersten Weltkriegs die Grenzen neu gezogen wurden, fand auch in Schleswig eine Volksabstimmung über den weiteren Verbleib dieses Landesteils bei Deutschland statt. Ergebnis des Plebiszits: Das alte Herzogentum Schleswig wurde geteilt. Der südliche Teil mit der Stadt Flensburg stimmte mehrheitlich für Deutschland, der nördliche Teil bekannte sich zu Dänemark.
Am 10. Juli 1920 überschritt König Christian X. die alte Grenze, am 11. Juli wurde in den Düppeler Schanzen kräftig gefeiert. Das Bild hing 100.000fach in dänischen Wohnstuben. Das Wort Genforenning („Wiedervereinigung“) gehört seitdem zum normalen Sprachgebrauch der DänInnen.
Städte wie Hadersleben, Tondern, Sonderburg und Apenrade – der Geburtsort des ehemaligen Berliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter – kamen wieder unter die dänische Krone. Die deutschen Ortsschilder wurden demontiert. Die neue Grenze schuf beiderseits der Grenze nationale Minderheiten, die bis heute ihre Selbständigkeit bewahrt haben. In augenzwinkernder Komplizenschaft sorgen die deutschen Dänen und die dänischen Deutschen für Unterstützung aus dem jeweiligen „Heimatland“, indem sie in wiederkehrender Regelmäßigkeit auf die gute Versorgung der anderen Minderheit jenseits der Grenze verweisen. Und tatsächlich, die dänischen Kindergärten in Schleswig-Holstein sind wegen ihrer Ausstattung genauso begehrt wie die deutschen Schulen in Südjütland.
Das Verhältnis der deutschen Minderheit und der dänischen Mehrheit in Nordschleswig, wie die Deutschen diesen Landesteil nennen, ist weitgehend entspannt. Konflikte, politisches Mißtrauen oder gar gewaltsame Auseinandersetzungen gehören schon lange der Vergangenheit an.
Zwischen den beiden Weltkriegen war das anders: Viele der deutsch Gesinnten hatten nach 1920 die Teilung nicht verwunden und waren mit ihren Forderungen „Heim ins Reich“ sogar radikaler, als den Nationalsozialisten lieb war, die die Grenze zum Norden selbst nach der Besetzung im Zweiten Weltkrieg nicht verändern wollten. Dänemark sollte von den Nazis eine Musterbehandlung bekommen, um die Bereitschaft für ein großgermanisches Reich zu fördern.
Die deutschen Nordschleswiger zogen für das alte Reich in den Krieg. Über 700 der 2.100 Kriegsfreiwilligen, die durchweg in der Waffen-SS dienten, kamen nicht zurück. Nach Kriegsende gab es die Abrechnung der Dänen. Über 3.000 Angehörige der Minderheit wurden in das Lager gebracht, das die Deutschen kurz zuvor noch als Internierungslager für dänische Polizisten und Widerstandskämpfer benutzt hatten. Mehr als vier Jahre war das Froslev/Fahrhus-Lager in Betrieb.
Zahlreiche Angehörige der Minderheit wurden wegen ihrer Zusammenarbeit mit Nazi- Deutschland zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Einige Mitglieder der Volksgruppe knabbern daran bis heute und finden es ungerecht, damals wegen ihrer Kriegsteilnahme bestraft worden zu sein. Eine Untersuchung, in welchen Waffen-SS-Truppenteilen die freiwilligen Nordschleswiger gedient haben, steht allerdings noch aus – bis heute ein heißes Thema, an das sich niemand so recht heranwagt.
Die Befriedung der Verhältnisse begann im November 1945 mit der Loyalitätserklärung der deutschen Volksgruppe gegenüber dem dänischen Königshaus – womit sie gleichzeitig die Grenze von 1920 anerkannten. Zehn Jahre später folgten die Bonn-Kopenhagener Erklärungen, in denen durch gegenseitigen Briefwechsel die Stellung und Rechte der jeweiligen Minderheiten festgeschrieben und vereinbart wurden.
Seitdem gehen die Minderheiten nördlich und südlich der Grenze in Europa förmlich hausieren mit ihrem Modell des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Gemeinschaften. Seit Jahren bemühen sich die Politiker von Südjütland um die Ansiedlung des europäischen Zentrums für Minderheitenfragen.
Vertreter der deutschen Volksgruppe kümmern sich vor allem um die Deutschen in Polen. Ständig sind irgendwelche Besucher aus Schlesien oder den baltischen Staaten zu Gast. Das friedliche Zusammenleben verschiedener Volksgruppen mag in den beiden reichen Nachbarländern Deutschland und Dänemark wegen der guten staatlichen Leistungen funktionieren. Ob das Modell aber auch in den wirtschaftlich darniederliegenden osteuropäischen Ländern klappt, muß die Zukunft erst noch zeigen. Siegfried Matlok jedoch, der umtriebige Chefredakteur des Nordschleswigers, der „deutschen Tageszeitung in Dänemark“ wird nicht müde, eben dies zu propagieren.
Matlok meint, daß seine Zeitung mehr als ein Heimatblättchen ist. Oft dient sie als Nachrichtenvermittler zwischen Deutschland und Dänemark, und wenn es um Entwicklungen im großen Nachbarland geht, ist Matlok Ansprechpartner der dänischen Medien. Die Zeitung existiert seit 1946, erst als Wochenzeitung, ab 1951 als Tageszeitung und ist eine wilde Mischung aus lokalem Käseblatt mit Meldungen vom örtlichen Kaffeekränzchen und ernst zu nehmender Publikation, die zur Meinungsbildung über die Staatsgrenzen hinweg dient.
Etwa die Hälfte des Inhalts übernimmt der Nordschleswiger vom Flensburger Tageblatt.
Ganze 4.000 Exemplare werden täglich gedruckt, nahezu genauso hoch ist die Zahl der Abonnenten. Der Träger, der deutsche Presseverein, hängt fast ganz am Bonner Tropf: Eigeneinnahmen von jährlich etwa 1,2 Millionen Mark stehen etwa 3,45 Millionen Mark aus dem Bundessäckel gegenüber. Davon werden die etwa 20 Redaktiongsmitglieder in vier Redaktionsfilialen und in der Apenrader Zentrale bezahlt.
Die Zeitung der deutschen Dänen ist damit genauso ein Subventionsprojekt wie das dänische Gegenstück aus Flensburg. Der Flesborg Avis erhält etwa fünf Millionen Mark aus dem dänischen Staatshaushalt. Mit 5.600 Abonnenten ist die dänische Zeitung in Deutschland unwesentlich größer als die deutsche Zeitung in Dänemark.
Die schätzungsweise 15.000 bis 20.000 deutschen Dänen haben sich in zahlreichen Vereinen für Schulen, Kindergärten, Bibliotheken, Landwirtschaftsberatungen oder Sport zusammengeschlossen, deren Dachverband der Bund der Nordschleswiger (BdN) ist. Fünf bis acht Prozent der Bevölkerung von Sonderjylland/Nordschleswig macht die deutsche Volksgruppe wohl aus. Genau weiß das keiner, denn Volkszählungen werden nicht gemacht. Herman Heil aus dem Sekretariat des BdN meint auf die Frage, was das eigentliche Ziel der deutschen Organisation ist: zu vermitteln, daß man guter dänischer Staatsbürger sein kann, ohne auf die deutsche Sprache und deutsche Kultur verzichten zu müssen.
Der politische Arm der Deutschen, die eher liberale Schleswigsche Partei, ist in einigen Stadtparlamenten und auch in der regionalen Amtskommune vertreten. Als einziger meßbarer Indikator für „deutsche Gesinnung“ beobachten die Funktionäre der deutschen Minderheit allerdings argwöhnisch das ständige Zusammenschrumpfen des Stimmanteils.
Von den Erfolgen des dänischen Pendants, des Südschleswigschen Wählerverbandes bei den diesjährigen Kommunalwahlen können die deutschen Dänen nur träumen. In Flensburg erhielt der SSW 25 Prozent der Stimmen. Mit Karl Otto Meyer sitzt ein profilierter Vertreter des SSW im Kieler Landtag.
Die deutsche Minderheit verlor dagegen Ende der Siebziger ihren Sitz im dänischen Folketing, als die Stimmpoolvereinbarung mit den (rechts-)sozialdemokratischen Zentrumsdemokraten zu Bruch ging. Geld für die Arbeit der Minderheit fließt aus Bonn und Kopenhagen. 40 Prozent der Gesamtsumme kommen aus dem Bundeshaushalt, weitere 45 Prozent schießt der dänische Staat zu. Und nur fünf Prozent sind Eigenleistungen. Die Gefahr drastischer Kürzungen sieht Herman Heil allerdings gelassen, nicht zuletzt wegen der „Außenpolitik“ der deutschen Dänen. Der BdN ist Mitglied in der föderalistischen Union europäischer Volksgruppen, einer mittlerweile auf 70 bis 80 Organisationen angewachsenen Vereinigung, in der Volksgruppen zusammengeschlossen sind, die für Europa ein Minderheitenrecht schaffen wollen.
Besonders engagiert sind die deutschen Nordschleswiger im Ostseeraum mit internationalen Kontakten nach Estland, Lettland, Litauen und Polen. Insoweit gehen die Interessen der deutschen Bundesregierung mit denen der Nordschleswiger parallel, nämlich die deutsch-dänische Minderheitenpolitik als nachahmenswerten Exportartikel anzusehen – weil sie auf Grenzrevision verzichtet und trotzdem schafft, die kulturelle Identität zu wahren.
Ähnlich wie Herman Heil formuliert der wohl reichste deutsche Nordschleswiger. Hans-Michael Jebsen, junger Chef der alteingesessenen Jebsen-und-Jessen- Gruppe in Aabenraa, meint, daß es für ihn selbstverständlich ist, loyaler dänischer Staatsbürger zu sein und gleichzeitig der deutschen Kultur und Nation nahezustehen oder sogar ein Teil davon zu sein.
Vor einigen Generationen gab es nur ein Entweder-Oder im Grenzland. Das Sowohl-Als-auch“ von heute hält er für eine große Bereicherung. Jebsen weiß, wovon er spricht. Sein Urgroßvater, der Reeder Michael Jebsen, saß Ende vorigen Jahrhunderts für die Nationalkonservativen im preußischen Landtag und im deutschen Reichstag. Der Bismark-Berater in Handelsfragen stiftete Nordschleswig Anfang des Jahrhunderts einen der schrecklichen Bismarcktürme, die damals in ganz Deutschland gebaut wurden. 1945 sprengten dänische Widerstandskämpfer das Monstrum.
Hans-Michael Jebsen versucht sich mit anderen Bauten. Der „König von Loit Land“, wie ihn dänische Zeitungen zuweilen titulieren, hat im Laufe der letzten Jahre zahlreiche heruntergekommene Höfe aufgekauft und stilecht sanieren lassen. Drei verfallene Hotels sind jetzt luxuriöse Schmuckstücke der Gegend. Viel hat er davon nicht, weil er nur zwei Monate pro Jahr in Dänemark lebt und die restliche Zeit samt Frau und zwei kleinen Kindern am Hauptsitz der Firma in Hongkong und China verbringt. Und auf die Frage, wo er denn am liebsten wohnen würde, kommt nicht die Antwort der bodenständigen Nordschleswiger, sondern der Hinweis, daß Heimat nicht nur geographisch zu sehen sei.
Die deutschen Dänen gelten bei ihren Nachbarn zum Teil als etwas verkniffener. Trotzdem spürt man bei ihnen die viel leichtere Lebensart der Dänen, die ihre Minister duzen und deren Armee im vergangenen Jahr ganz offiziell das Du als Anrede eingeführt hat.
Schaut man sich im dänischen Grenzland nach kulturellen Resten deutschen Lebensstils um, stellt man fest, daß man vor den Fundstücken glücklicherweise nicht zu erschrecken braucht: Egal, ob deutscher Däne oder dänischer Däne, Skatspielen ist beliebt. Es gibt Taubenvereine. Und nicht zuletzt haben sich die Freiwilligen Feuerwehren aus der preußischen Zeit im dänischen Südjütland gehalten. Im restlichen Dänemark gibt es so etwas nicht.
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